Der Alte Elbtunnel wird restauriert, damit auch die historischen Kacheln an den Wänden. Ein Besuch im Glasur-Labor der neuen Glanzstücke.

Hamburg. Das Geräusch von splitterndem Holz, ein Knirschen, beherzt drückt Hans Kuretzky das Brecheisen durch - dann hat er den Deckel der Holzkiste geöffnet. Der Keramikspezialist, ein kräftiger Mann mit wuscheligem, grauen Haar, hält einen Moment inne. Ein dunkelgrünes, matt schimmerndes Relief eines Fisches - es könnte ein Wels sein - liegt dort auf einem Stück Glaswolle. "Sieht noch gut aus, ein schönes Stück", sagt Hans Kuretzky und wuchtet das vielleicht 80 Zentimeter lange Teil ein paar Zentimeter hoch, um es genauer zu betrachten. Gut 100 solcher Kisten hat der 60-Jährige in einem Schuppen seiner Keramikwerkstatt in Borstorf bei Mölln noch liegen.

In ihnen lagert der kleine Schatz des Alten Elbtunnels.

Oder genauer: die kunstvollen Fliesen mit Tiermotiven aus der derzeit gesperrten Oströhre. 100 Jahre nach der Einweihung des Tunnels lässt Hamburg die Röhre gerade aufwendig sanieren. Um aber an die genieteten Tunnelelemente heranzukommen, mussten Kacheln und Reliefs weichen. Mit Spezialsägen wurden die grünen Figuren regelrecht aus ihrem Betonbett herausgeschnitten, fest kleben noch immer Zement und Brocken der grobkörnigen Drainage-Schicht an den Keramiken. Demnächst soll so auch mit den Figuren in der Weströhre verfahren werden - wenn dort voraussichtlich kommendes Jahr ebenfalls die Sanierung ansteht.

Das vielen vertraute Bild mit den grünen Tierdarstellungen und den hellen Gewölbekacheln ist das Werk des Bildhauers Hermann Perl. Zwar galt der Elbtunnel seinerzeit als höchstmodernes technisches Bauwerk - die Kunst war deshalb aber nicht ausgeschlossen. Oder gerade besonders gefragt, um der Ingenieursleistung einen entsprechenden Rahmen zu geben. "Perl hatte da weitgehend freie Hand - wunderbar", schwärmt nun Hans Kuretzky 100 Jahre später.

Sein Auftrag: diese Kunst wieder möglichst originalgetreu zu rekonstruieren und die Wunden auszugleichen, die Krieg und wohl auch die eher burschikose Betrachtung solcher alten Bauwerke durch die Ingenieure der 70er-Jahre geschlagen haben. So wurden dort Rolltreppen eingebaut - und wieder herausgerissen. In den Schachtgebäuden rekonstruierte Kuretzky wandbildartige Keramiken, die nach dem Krieg für große Ventilatoren einfach herausgehauen worden waren.

14 Tierdarstellungen zeigen die Röhrenreliefs, die, wie noch in der Weströhre zu sehen, etwa alle sieben bis acht Meter angeordnet sind. "Alles, was dort zu sehen ist, gab es vor 100 Jahren an der Elbe zuhauf", sagt Kuretzky. So auch Robben und Hummer, natürlich Aale und den Stör. Der 1967 mit 89 Jahren in Hamburg verstorbene Bildhauer Perl hatte offensichtlich auch Sinn für Humor. Selbst Motive mit Ratten, die sich über alte Stiefel hermachen, hat er als Tunnelbilder geschaffen. "Alles schwimmt in scheinbarer Unordnung", sagt Kuretzky. Doch tatsächlich sind die Tiere in beiden Röhren exakt spiegelbildlich angebracht - sodass er nun bei der Rekonstruktion der "Osttiere" in der Regel ein Vorbild bei den "Westtieren" vorfindet.

Manche dieser Reliefs müssen nur ausgebessert, andere völlig neu gebrannt werden. Und das sei die eigentliche Herausforderung, sagt Kuretzky und bittet in sein Glasur-Labor, das er sich neben seiner Werkstatt eingerichtet hat. Regale voll mit alten Eimern stehen dort, etliche Gläser mit grauem, blauen, gelben oder auch mal tiefschwarzen Pulvern. Nickel, Kobalt, Quarz, Kreide, Kalkspat - alles Stoffe, um feine Nuancen, schimmernde Schattierungen auf Kacheln zu bringen. Gut 2000 Glasuren hat er inzwischen katalogisiert. "Alles durch Probieren und langsames Herantasten." Eine Basis, um historische Fliesen wieder möglichst original rekonstruieren zu können. Vielfach wird der Baukeramiker aus der Nähe von Mölln gerufen, wenn Jugendstil-Treppenhäuser oder historische Keramikelemente wieder restauriert werden. So am Neuen Wall oder bei der Oberfinanzdirektion - und eben im Alten Elbtunnel. "Für mich etwas ganz Besonders, das ist dort nahezu kathedralenartig", sagt er. Und das gilt besonders für das Röhrengewölbe: Rund 10 000 Quadratmeter alter Kacheln müssen für die Tunnelsanierung herausgestemmt werden, 400 000 Stück pro Röhre.

Kuretzky hatte nun von der Hamburg Port Authority (HPA) den Auftrag bekommen, ein geeignetes Unternehmen zu finden, das die Fliesen möglichst wie das Original herstellen kann. "Für uns wäre eine solche Aufgabe viel zu groß." Für große Keramikfabriken aber ist es ein eher kleiner Auftrag, der zudem arg kompliziert ist. Die alten Kacheln waren damals aus einem besonders sorgfältig geschlämmten Ton gebrannt worden - sodass sie besonders hell wirken, sagt er. Darüber kam eine transparente Glasur. "So entsteht Tiefenwirkung", sagt Kuretzky und redet von Lichtbrechungen und einem "facettenartigen" Erscheinungsbild. "Das gibt Raum, schafft keine Enge im Tunnel." In Thüringen fand er dann die Fabrik, die seinen Vorstellungen entsprach. "Die haben einen verrückten Laboranten, der lange getestet hat", sagt er und lacht, weil man wohl auch ein wenig verrückt sein muss, um eine solche Kachelleidenschaft zu teilen.

Zu seinem Handwerk ist der 1951 in Delmenhorst geborene Kuretzky über einen kleinen Umweg gekommen: Zunächst wollte er Sozialarbeiter werden, bevor er in Krefeld Keramikdesign studierte und mit dem Abschluss als Diplom-Ingenieur beendete. Mit einem Freund ging er dann nach Jamaika, um dort eine Töpferei aufzubauen. Zurück in Deutschland, lernte Kuretzky seine heutige Frau kennen, folgte ihr in den Norden und arbeitet zunächst in einer Werkkunstschule, bevor er sich vor 22 Jahren selbstständig machte.

Die Arbeit im Elbtunnel sei dabei eine Art Höhepunkt dieser Entwicklung. "Wir lieben den Tunnel einfach", sagt Kuretzky. Und noch etwas sei dort faszinierend. "Ich finde es wunderschön, dass ein technisches Bauwerk auch verziert ist - einfach so."