Dohren. Nach epischem Kampf unterliegt der Bundesligist dem sechsfachen deutschen Meister Heidenheim mit 2:3-Siegen. Warum der Coach vom Platz flog.

Nehmen Insider einer Sportart, die keine besondere Beziehung zum beschriebenen Verein haben, eine überschwängliche Bewertung vor, hat das mehr Gewicht, als wenn ein Verein die eigene Leistung positiv darstellt. So geschehen am Wochenende anlässlich des epischen Kampfes der Dohren Wild Farmers gegen die Heidenheim Heideköpfe – selbst wenn sich der Club aus dem Landkreis Harburg im Play-off-Viertelfinale der deutschen Baseball-Meisterschaft 2023 mit 2:3-Siegen geschlagen geben musste.

„Wild Farmers haben sensationell ein Spiel fünf gegen Heidenheim erzwungen“

Auf der offiziellen Internetseite der Baseball-Bundesliga ist Folgendes zu lesen: „Die Dohren Wild Farmers haben sensationell ein Spiel fünf gegen die Heidenheim Heideköpfe erzwungen“ oder auch „Am Ende hat es länger gedauert, als man vor der Serie hätte vermuten können.“ Die nackten Zahlen vor dem Duell des Südmeisters gegen den Nord-Vierten sprachen eine klare Sprache.

Auf der einen Seite der sechsfache deutsche Meister Heidenheim, der sich von 2019 bis 2021 dreimal in Folge den Titel geholt hatte und von den 24 Hauptrundenspielen 2023 nur zwei verlor. Auf der anderen Seite Dohren, für das jedes Jahr aufs Neue das Erreichen der Play-offs ein Erfolg ist. Das 5:2 vor Wochenfrist in Heidenheim war der erste Play-off-Sieg der Vereinsgeschichte überhaupt. Es sollte nicht der einzige bleiben.

Heidenheim verliert zwei von 24 Hauptrundenspielen, gegen Dohren zwei von fünf

Doch der Reihe nach. Mit je einem Sieg traten die Kontrahenten zur Entscheidung der Best-of-five-Serie im Ballpark am Kakenstorfer Weg an. Fast 200 Zuschauer (Saisonrekord) sahen am Sonnabend bei bestem Baseballwetter ein hochklassiges Duell, in dem beide Teams fünf Innings lang keinen Punkt auf die Anzeigetafel brachten.

Ein Fehler von Wild-Farmers-Catcher Yodai Nakamura ermöglichte den Gästen das 1:0. Für viele Beobachter eine Fehlentscheidung der Schiedsrichter, zumindest aber eine höchst umstrittene, sorgte kurz danach für die Vorentscheidung im dritten Duell. Heidenheims Hitter Drew Janssen schlug einen Ball über den Zaun auf das benachbarte Feld, die Gäste bekamen zwei Punkte zum 3:0 zugesprochen.

Umstrittene Entscheidung sorgt für Vorentscheidung in Spiel drei

Nicht nur viele Anhänger der Gastgeber waren der Meinung, der Ball habe den Zaun außerhalb der Markierung passiert, damit wäre er ein wertloser „Foul Ball“ gewesen. Wild-Farmers-Coach Pedro Fernandez Ruiz sprach ruhig mit dem Schiedsrichter an der dritten Base, forderte ihn auf, seinen Kollegen an der Homeplate zu befragen, da dieser eine bessere Sicht die Auslinie entlang habe. Der Umpire wollte sich darauf nicht einlassen.

Die Vereinsfahne der gastgebenden Dohren Wild Farmers weht bei Sonnenschein über dem Ballpark am Kakenstorfer Weg.
Die Vereinsfahne der gastgebenden Dohren Wild Farmers weht bei Sonnenschein über dem Ballpark am Kakenstorfer Weg. © HA | Markus Steinbrück

Wenig später eskalierte die Situation: Ein Jugendspieler fand den Baseball im Weizenfeld, offensichtlich klar außerhalb des erlaubten Bereichs. Das erzürnte Wild-Farmers-Spieler Alejandro Hiraldo derart, dass er den Schiedsrichter anzugehen drohte. Fernandez Ruiz ging dazwischen, wurde laut, schleuderte seinen Helm zu Boden, kickte einen Schuh in Richtung Auswechselbank und wurde vom Referee disqualifiziert – „Ejected“ nennt man das im Baseball.

Stealers-Coach David Wohlegmuth nimmt Trainerkollegen in Schutz

Später äußerte sich David Wohlgemuth, selbst einige Jahre Trainer in Dohren, verständnisvoll über die Aktion des Kollegen. „In solch einer Situation ist es üblich, dass der Manager die Strafe auf sich nimmt“, sagte der Coach der Hamburg Stealers. Pedro Fernandez Ruiz musste den Platz für den Rest dieses Spiels verlassen, saß fortan auf dem Zaun vor dem Clubheim, durfte am Sonntag aber wieder coachen. Für Spieler Alejandro Hiraldo, der immerhin zwei der fünf Hits für Dohren verbuchte, hätte eine Disqualifikation zwei Spiele Sperre bedeutet.

In die Partie fanden die Wild Farmers indes nicht mehr, verloren Spiel drei ohne eigenen Punkt mit 0:6. Nicht nur der abschließende Applaus der Fans machte Mut für den Folgetag, Coach „Patico“ erinnerte an die ersten zwei Matches in Heidenheim: „Da haben wir fünf und sechs Punkte gemacht. Warum soll uns das nicht wieder gelingen?!“

Pitcher Roldan Ochoa führte Gastgeber zum umjubelten 5:3-Sieg

Er sollte Recht behalten. Denn die Dohren Wild Farmers kamen noch einmal in die Serie zurück – und wie. Der schon in Heidenheim so starke Pitcher Roldan Ochoa führte die Gastgeber zu einem umjubelten 5:3-Sieg. Sebastian Jaap hatte sein Team im vierten Inning in Führung gebracht. Im siebten Inning der spektakuläre Höhepunkt: Auf allen drei Bases standen Akteure der Wild Farmers, als Litauens Nationalspieler Edvardas Matusevicius ein perfekter Schlag gelang, er den Baseball über den Zaun drosch.

Ein sogenannter Grand-Slam-Homerun – vier Punkte auf einen Schlag zur 5:0-Führung. Zwar kamen die Heideköpfe, die die Nacht am Snow Dome in Bispingen verbracht hatten, gegen Ende auf 3:5 heran, aber die Wild Farmers erzwangen mit ihrem Erfolg ein fünftes und entscheidendes Spiel um den Halbfinaleinzug.

Entscheidende fünfte Partie eine klare Sache zugunsten Heidenheims

Diese Partie war dann eine klare Angelegenheit zugunsten des Favoriten. Heidenheim ging schnell 3:0 in Führung und gewann am Ende sicher mit 11:2. Die einzigen beiden Punkte für Dohren entsprangen im vierten Spielabschnitt einem Zwei-Punkte-Homerun von Matusevicius.

Ex-Coach Caleb Fenimore (rechts) reiste zum 30. Geburtstag seines langjährigen Gastbruders Jannis Wedemeyer aus den USA an. Hier stehen die beiden an Fenimores ehemaliger Nummer 31, die die Wild Farmers nicht mehr vergeben.
Ex-Coach Caleb Fenimore (rechts) reiste zum 30. Geburtstag seines langjährigen Gastbruders Jannis Wedemeyer aus den USA an. Hier stehen die beiden an Fenimores ehemaliger Nummer 31, die die Wild Farmers nicht mehr vergeben. © HA | Markus Steinbrück

So spielen die Heidenheim Heideköpfe im Halbfinale der deutschen Baseball-Meisterschaft (erneut Best-of-five) gegen die Guggenberger Legionäre Regensburg, das zweite Halbfinale bestreiten die Nord-Clubs Bonn Capitals und Paderborn Untouchables. Eine Neuerung gibt es in diesem Jahr für die unterlegenen Viertelfinalisten, für die die Saison nicht beendet ist, sondern mit Spielen um den Deutschland-Pokal fortgesetzt wird (Best-of-three).

Saison geht mit Deutschland-Pokal gegen die Hamburg Stealers weiter

Auf die Wild Farmers wartet in dieser Serie ein Nordderby gegen die Hamburg Stealers, das Sonnabend, 19. August, um 15 Uhr in Dohren beginnt. Spiel zwei und das mögliche dritte folgen tags darauf in Hamburg (12 Uhr). In der anderen Pokal-Paarung treffen die Mainz Athletics auf die München-Haar Disciples. Die Vereine, die in der nächsten Runde aus den Play-offs ausscheiden, steigen später in den Deutschland-Pokal ein. Der Pokalsieger qualifiziert sich für den Europapokal.

Zwischenfazit: Schöner Abschluss einer durchwachsenen Saison

Trotz der anstehenden Pokalspiele zogen die Baseballspieler des SV Dohren ein vorläufiges Saisonfazit. „Die Farmers können auf einen schönen Abschluss der durchwachsenen Saison blicken“, so Pressesprecherin Kirsten Dallmann. Nach dem Trainerwechsel von Jan Hassenpflug, der während der laufenden Saison aus familiären Gründen an Pedro Fernandez Ruiz übergab, und einigen mittelmäßigen Resultaten sei man sich nicht sicher gewesen, das Saisonziel „Einzug in die Play-offs“ erreichen zu können.

„Und dann schaffen die Jungs eine so tolle Atmosphäre im Stadion und im Team und besiegen zweimal den Südmeister Heidenheim. Darauf kann man sehr stolz sein“, sagte Dallmann.

Wild Farmers haben mit Play-off-Siegen nächsten Schritt gemacht

Pitcher Philipp Meyer formulierte seine Zufriedenheit anders: „Wir sind wieder ein Stück nach vorn gegangen. Dieses Jahr zwei Siege im Viertelfinale, dann gewinnen wir nächstes Jahr die Viertelfinalserie. Immer ein Stück weiter.“ Dem Verein aus der Nähe von Tostedt und seinen sympathischen Protagonisten sind weitere Entwicklungsschritte allemal zu gönnen. Allerdings müssten sich die Autoren der Baseball-Bundesliga dann neue Superlative für die Leistung der wilden Landwirte einfallen lassen.

Ex-Coach Caleb Fenimore zu Besuch bei Gastfamilie Wedemeyer

Drei ehemalige Trainer wollten sich das Play-off-Spektakel nicht entgehen lassen. Neben Jan Hassenpflug und David Wohlgemuth war auch Caleb Fenimore aus den USA angereist. Anlass war der 30. Geburtstag seines Gastbruders Jannis Wedemeyer. Von sechs Jahren in Dohren lebte der heute 31-jährige Fenimore den Großteil im Haus der Familie Wedemeyer. Die Idee, als Überraschungsgast bei der Geburtstagsfeier „Ganz in Weiß“ aufzutauchen, gelang nicht, weil vorher ein Foto durchsickerte.

Spaziergang durch Dohren als emotionale Wiedersehensrunde

„Insgesamt war ich elf Tage hier, meine Freundin ist nachgekommen“, erzählt Caleb Fenimore in sehr gutem Deutsch. Neben dem Hamburg-Besuch habe man einen Spaziergang durch Dohren unternommen. Was nach einer kurzen Angelegenheit klingt, geriet zur großen und emotionalen Wiedersehensrunde. „Ich konnte Alisha fast zu jedem Haus und jeder Familie etwas erzählen“, sagte Caleb lächelnd.

Seit seinem Abschied aus Dohren im Herbst 2020 arbeitet er als Assistenztrainer am Wabash College in Indiana und ist glücklich. Wie beliebt er in der Wild-Farmers-Familie unverändert ist, beweist auch die Tatsache, dass Caleb Fenimore das vierte Spiel gegen Heidenheim mit dem „First Pitch“, dem symbolischen ersten Wurf, eröffnen durfte.