Kreative haben das Stück Freihafenschutzwall, an das Olaf Scholz persönlich Hand anlegte, wieder aufgebaut. Wer will, kann sich hier in Manier des Bürgermeisters in “Zollzaun-Besieger-Pose“ fotografieren.

Wilhelmsburg. Noch ist der Kulturkanal in Wilhelmsburg eine Idee. Der Bezirk Mitte entwickelt ein Konzept, entlang des Veringkanals bis hin zum Dockville-Gelände Künstler, Kreative und Handwerker anzusiedeln und Hamburgs größtes Kulturzentrum zu schaffen. Wie ein Kulturkanal der Bevölkerung Freude machen kann, zeigen die Kreativen in den früheren Zinnwerken jetzt schon mit einem Projekt zum Schmunzeln: Marco Antonio Reyes Loredo, Geschäftsführer der Hirn und Wanst GmbH, hat ein Originalstück des inzwischen abgerissenen historischen Zollzauns vor der Verschrottung bewahrt und vor den alten Zinnwerken wieder aufgebaut.

Nicht irgendein Stück Zollzaun, sondern genau das Bauteil, das Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz bei der Öffnung des Spreehafens mit großer Symbolwirkung aus der Verankerung geschweißt hatte. Der Kreative hat den Restzaun kurzerhand zum "Fotomaten" erklärt: Wer will, darf sich an dem Relikt in Manier des Bürgermeisters in "Zollzaun-Besieger-Pose" fotografieren.

Das Bild ging durch die Hamburger Medien: Olaf Scholz hat am 12. Januar mit einem Schneidbrenner eine Lücke in den Zollzaun geschnitten und damit den Abriss der Freihandelsgrenze eingeleitet. Stolz lehnte sich dabei der Bürgermeister in neonfarbener Bauarbeiterkluft an das Gitter - die "Zollzaun-Besieger-Pose" war geboren.

"Er schien glücklich gewesen zu sein", sagt Reyes Loredo. Diesen Moment hat der Kreative mit einem Foto an dem Gitter festgehalten. Dieses schöne Stück Zollzaun lasse sogar Bürgermeister wie einen gewöhnlichen Bauarbeiter aussehen, hat er unter das Foto geschrieben. Dazu die Empfehlung für Wilhelmsburg-Touristen: "Coole Kids können sich in Zollzaun-Besieger-Pose aufstellen und ablichten lassen."

Drei Meter hoch und gut zwei Kilometer lang war der Maschen- und Stacheldrahtzaun, der die Menschen in Wilhelmsburg und auf der Veddel vom Ufer der Elbe im Spreehafen trennte. Ab dem Jahr 1903 versperrte er den Bewohnern der Elbinseln den direkten Weg zum Wasser und riegelte das Gebiet des Hamburger Freihafens. Seit Januar ist der Zollzaun Geschichte. Heute führt ein 4,3 Kilometer langer Rundweg, ein Projekt der Internationalen Bauausstellung, um das Hafenbecken.

„Wie andere die Berliner Mauer haben, haben wird den Zollzaun"

Offenbar existieren heute nur noch vier Bauteile des historischen Zollzauns, die an drei verschiedenen Orten an ein langes Kapitel Hamburger und vor allem Wilhelmsburger Geschichte erinnern. Zwei Zollzaungitter hat das Deutsche Zollmuseum in der Hamburger Speicherstadt in seine Ausstellung integriert. Am Spreehafen an der Harburger Chaussee, also an historischer Stätte, hat der Bezirk Mitte als Reminiszenz an die Geschichte ein Gitter stehen lassen. Ob es dort bleiben darf, ist wegen seiner möglichen Gefährdung des Deichschutzes ungewiss.

Das prominenteste Stück Zollzaun hat sich Marco Antonio Reyes Loredo gesichert - das, an das Hamburgs Erster Bürgermeister selbst Hand anlegte. Das Veddeler Abbruchunternehmen Wilko Wagner hatte den Zollzaun beinahe komplett verschrottet, als der Kreative nachfragte. Das Bürgermeister-Gitter hatte die Firma bis zuletzt aufbewahrt. Der Abbruchunternehmer zeigte sich generös, schenkte Reyes Loredo den Rest-Zollzaun. Das Hafenmuseum auf der Veddel hatte weniger Glück. Es ging mit seiner Anfrage nach einem Rest Zollzaun leer aus.

Das Bauteil vor den Zinnwerken, in Beton verankert, ist sogar historisch authentischer als die Museumsstücke. Als einziges von den vier übrig gebliebenen Gittern ist es noch mit dem originalen Stacheldraht bewehrt.

Warum Reste des Zollzauns bewahren, der ästhetisch eine Zumutung darstellt? "Wie andere die Berliner Mauer haben, haben wird den Zollzaun", sagt Reyes Loredo. Der Stacheldrahtzaun erinnere ihn an seine Heimat, scherzt der gebürtige Weimarer und spielt dabei an die DDR-Grenzbefestigung an. Das vor den Zinnwerken fest gemauerte Teil sei keinesfalls nur ein Gag, versichert er: "Es ist ein Stück ernst gemeinte Erinnerungskultur."