Der Zollzaun fällt in Wilhelmsburg. Einheimische erzählen, was ihnen der wiedergewonnene Zugang zum Wasser bedeutet.

Wilhelmsburg. Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) fällt am Sonnabend, 12. Januar, die letzte innerdeutsche Grenze. Mit dem Schneidbrenner leitet er um 11 Uhr an der Harburger Chaussee in Wilhelmsburg bei einer Feier mit Anwohnern symbolisch den Abriss des Zollzauns ein. Bagger werden dann in den nächsten zehn Tagen den 1,8 Kilometer langen und drei Meter hohen Zaun aus massivem Maschendraht und Stacheldraht am Spreehafen abreißen. Mit der Auflösung der Freihafenzone erhalten die Menschen in Wilhelmsburg und Veddel nach 124 Jahren endlich das Inselgefühl zurück. Das Abendblatt fragte Menschen von den Elbinseln, wie sie sich die Zukunft ohne Zollzaun vorstellen.

Seit dem Jahr 2001 haben Bürger jedes Jahr ein Spreehafenfest organisiert. Ursprünglich wollten die Initiatoren damit gegen den Plan einer Autobahn quer über die Elbinsel demonstrieren. Schnell entdeckten sie, wie lebenswert das Gelände am Ufer für den Inselbewohner sein könnte. Der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg übernahm im Jahr 2002 die Regie des Spreehafenfestes und forderte den Fall des Zollzauns.

Dass Olaf Scholz am Sonnabend den Zaun endlich öffnen werde, sei ein schönes Symbol, sagt Manuel Humburg vom Verein Zukunft Elbinsel. "Es ist aber auch nicht sensationell. Er hat bis zum letzten Augenblick damit gewartet." Der Spreehafen biete Potenzial für Hamburgs größten Wohnboothafen. Die Bürgerinitiative fordert, dass die neu geschaffene Fährverbindung von Wilhelmsburg in den Hamburger Hafen über die Dauer der Internationalen Bauausstellung in diesem Jahr hinaus erhalten bleibt. Der Erste Bürgermeister müsse sich auch über die Folgen des Verkehrs an der Harburger Chaussee für die betroffenen 750 Anwohner kümmern, fügt Humburg hinzu.

Mit dem Fortfall des Zollzaunes am Spreehafen haben die Elbinselbewohner noch keinen Einstieg ins Wasser. Es müsse etwas gemacht werden, dass Menschen ihr Kanu ins Wasser tragen können, sagt Helga Arp. Ein Bootssteg müsste also gebaut werden. "Ich möchte, dass der Spreehafen ausgebaggert wird", fügt Dirk Holm hinzu, "damit man dort auch segeln kann." Bislang dürfen Menschen auf Hausbooten im Spreehafen nur arbeiten. Dirk Holm wünscht sich, dass in Zukunft Menschen dort auf Hausbooten auch leben dürfen.

Seit vielen Jahren hat Anke Kewitz bei den Spreehafenfesten für den Abriss des Zollzauns eingesetzt. Sie mahnt Hamburgs Stadtplaner, den Einheimischen den neu gewonnenen Zugang zum Wasser nicht wieder wegzunehmen. "Sie sollen uns keine Prestigeobjekte vor die Nase setzen, so dass wir wieder nichts von dem Wasser haben."

Der Designer und Kostümbildner Karsten Gollnick betreibt auf der Veddel ein Atelier mit Boutique. Mit seiner nicht-religiösen Kopftuch-Kollektion ist er in ganz Hamburg bekannt geworden. Er verbindet mit dem neuen Zugang zum Wasser die Hoffnung, dass Anreize für Menschen aus ganz Hamburg geschaffen werden, die Veddel zu besuchen. Ein Strand, ein Bootssteg oder ein Restaurant mit Wasserblick könnten dazu beitragen. Der Senat soll mehr Geld in wertvolle Quartiere investieren, fordert Gollnick. Noch sei die Veddel ein Stiefkind der Stadt. "Dieses Quartier ist lebenswert und deswegen muss die Stadt hier etwas bewegen und das Viertel aufpeppen", sagt Karsten Gollnick.

Schrittweise vorangetrieben hat die Gesellschaft Internationale Bauausstellung Hamburg (IBA) die Entwicklung des Spreehafens als Erlebnisfläche für die Bevölkerung. Löchrig geworden war der Zollzaun bereits im Juli 2010. Zwei eingebaute Pforten ermöglichten den Elbinselbewohner, zum Wasser zu gelangen. Im Oktober 2011 wurde an den neuen Hafenbahnbrücken die letzte Lücke eines Fuß- und Radweges geschlossen, auf dem Bewohner das Hafenbecken umrunden können.

"Durch den Wegfall des Zollzaunes rücken die Elbinseln und die Hamburger Innenstadt näher zusammen", sagt IBA-Geschäftsführer Uli Hellweg. Er wünsche sich, dass das nicht nur symbolisch geschehe, sondern dass auch die Hamburger nördlich der Elbe mit der Fähre oder dem Fahrrad die "Elbinsel-Alster", gemeint ist der Spreehafen, erkunden. Ein Stück Zollzaun soll laut der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) als Denkmal erhalten bleiben - in der Speicherstadt vor dem Zollmuseum.