Historikerin erinnert an die NS-Vergangenheit der “Landes-Heil-und Pflegeanstalt“. Idee bringt 60.000 Euro Fördermittel nach Lüneburg.

Lüneburg. Mit einer deutschlandweit einzigartigen Projektidee hat die Historikerin Dr. Carola Rudnick rund 60.000 Euro Fördermittel nach Lüneburg geholt. Ihre Idee: Die Historie der Psychiatrischen Klinik Lüneburg zur NS-Zeit in die Gegenwart zu transportieren, um anhand der Geschichte über die gegenwärtig diskutierte Inklusion zu sprechen. Anders gesagt: Was hat das Schicksal der während des Nationalsozialismus getöteten Psychiatrie-Patienten mit uns heute und morgen zu tun?

"Landes-Heil-und-Pflegeanstalt" hieß die heutige Psychiatrische Klinik damals, zwischen 1941 und 1945 gab es dort eine sogenannte Kinderfachabteilung. Eine Tötungsstätte, in der zwischen 260 und 370 Mädchen und Jungen umgebracht worden sind. An sie erinnert heute eine Bildungs- und Gedenkstätte, Träger sind die Geschichtswerkstatt und der Psychosoziale Verein.

Carola Rudnick hat in Lüneburg Angewandte Kulturwissenschaften studiert und anschließend über Gedenkstättenpolitik promoviert, zwei Jahre die pädagogische Arbeit in Bergen-Belsen betreut. Jetzt hat die freischaffende Historikerin für Lüneburg ein Projekt entwickelt, das der Europäische Sozialfonds und die Stiftung niedersächsische Gedenkstätten finanzieren: "Vielfalt achten, Teilhabe stärken" heißt das Programm, das Fortbildungen und Unterrichtsmaterial für Mitarbeiter der Klinik, Krankenpflegeschüler und Lehrkräfte an berufsbildenden sowie allgemeinbildenden Schulen entwickeln will.

"Es gibt bislang keine Gedenkstätte, die die zeitgeschichtliche Lücke zwischen Euthanasie auf der einen Seite und der Inklusionsdebatte der Gegenwart schließt", sagt Rudnick. Parallel zu den Fortbildungen und öffentlichen Veranstaltungen will die Wissenschaftlerin eng mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zusammenarbeiten, vor allem im Zusammenhang mit der sogenannten "T4-Aktion" der sechs zentralen Vernichtungsanstalten, bei der zwischen 1940 und 1941 rund 70.000 Psychiatrie-Patienten und behinderte Menschen durch Ärzte und Pflegekräfte systematisch ermordet worden sind.

"Wir wollen weitere Biografien von Tätern und Opfern erarbeiten", sagt Rudnick, "um ihnen Gesichter zu geben. Geplant sind dazu entsprechende Ausstellungen."

Dr. Sebastian Stierl, Ärztlicher Direktor der PKL, will außerdem Betroffene in die Fortbildungsarbeit einbeziehen, also Patienten, die zu Beratern ausgebildet worden sind und von ihren eigenen Erfahrungen in Sachen Inklusion - oder wohl häufiger: Exklusion - berichten.

Im Fokus des Projekts stehen die Landkreise Uelzen, Lüneburg und Harburg. Derzeit werden 120 Schulen nach ihren Bedürfnissen zum Thema Lehrerfortbildungen befragt. Rolf Sauer, Geschäftsführer der übergeordneten Gesundheitsholding, wertet das Projekt als weitere Öffnung der Psychiatrie.

"Wir wollen die Klinik näher ans Gemeinwesen heranbringen", sagt Sauer. "Dafür haben wir eine Kita auf unserem Gelände eröffnet, einen Radweg vom Neubaugebiet in die Stadt übers Gelände geführt und halten die Schranke am Eingang stets offen." Auch die Krankenpflegeschulen von Psychiatrie und Somatik sind zusammengefügt auf dem PKL-Gelände angesiedelt. "Doch die Frage bleibt: Wie bekommen wir einen normalen Umgang mit diesen Menschen hin?" Darauf kann und soll das neue Projekt Antworten liefern.

c-rudnick@t-online.de