Die Mordkommission der Kripo hat es mit einem der spektakulärsten Tötungsdelikte zu tun, die sich je in der Hansestadt ereignet haben.

Harburg. Morgens, gegen 6 Uhr am Bahnhof Harburg: Mitarbeiter einer Reinigungsfirma finden einen Mann türkischer Herkunft, Orhan J., 53, schwer verletzt in einem Gebüsch. Er hat Stichverletzungen am Hals und am Oberkörper. Die Polizei geht von versuchtem Mord aus.

Gegen 12.30 Uhr: Ein Mann findet am P+R-Parkhaus in der Nähe der Post, nur wenige Meter vom ersten Tatort entfernt, Leichenteile, die in einen blauen Müllsack gestopft wurden. Hier ermittelt die Mordkommission. - Diese Vorfälle haben sich nicht, wie man vermuten könnte, in der Kriminalitätshochburg Rio de Janeiro ereignet, sondern in Harburg, am Bahnhof und an der Harburger Poststraße.

Erst am Wochenende haben zwei erheblich alkoholisierte Jugendliche, Mesut S. und Zana D., spätabends am Seeveplatz einen 42-jährigen, körperbehinderten Radfahrer überfallen und halb tot geprügelt. Dass im September 2009 ein 44-jähriger Winsener ebenfalls am Seeveplatz totgeschlagen wurde, weil er Jugendlichen keine 20 Cent geben wollte, wird zurzeit vor Gericht verhandelt.

+++ SO SICHER IST IHR STADTTEIL +++

Wieder dreht sich die Spirale der Gewalt in Harburg. Unterdessen suchen Polizisten im Gebüsch an der Harburger Poststraße nach weiteren menschlichen Überresten. Auch Leichenspürhunde werden dort eingesetzt. Denn nicht alles, so ein Polizist, war in der blauen Tüte. Um wen es sich dabei handelt "müssen wir noch herausfinden", sagt Polizeisprecher Andreas Schöpflin. Das 53-jährige Opfer einer Stichverletzung - es ist noch nicht klar, ob Orhan J. mit einem Messer attackiert wurde - wird im Krankenhaus notoperiert. Weshalb und von wem der Buchholzer überfallen worden ist, ist ebenfalls noch unklar, weil der Mann noch nicht vernommen werden konnte. Allerdings schaut sich die Polizei gerade die Video-Aufzeichnungen der Tunnelkamera an, erhofft sich davon schnelle Ermittlungsergebnisse.

Vertreter der Politik sind geschockt von den Taten. Jürgen Heimath, Vorsitzender der SPD in der Bezirksversammlung, greift massiv die Innenbehörde an. "Wieder einmal zeigt sich, dass die Kriminalitätskonzepte nichts bewirken. Da wird gegen Auto-Brandstifter ein großes Polizeiaufgebot aufgefahren, und hier werden die Leute totgeschlagen. Daran zeigt sich doch, dass beim Senat falsch gewichtet wird. Die sind unfähig", so Heimath aufgebracht.

Die Präsenzbeamten, die, wie berichtet, beim Harburger Polizeikommissariat tätig waren und aufgelöst wurden, hätte man laut SPD-Fraktionschef "niemals aus dem Stadtteil abziehen dürfen". Diese Beamten kennen ihre Pappenheimer und hätten diese Gewaltexzesse verhindern können. "Ich kann verstehen, dass Harburger Angst haben, vor die Tür zu gehen. Da muss etwas unternommen werden."

Auch den CDU-Kreisvorsitzenden Ralf Dieter Fischer lassen die Ereignisse nicht kalt. Weshalb es seiner Auffassung nach immer wieder zu Horror-Gewalttaten in Harburg kommt: "Viel zu lange hat man sich gescheut, dieses Thema anzugehen.", sagt er im Abendblatt-Gespräch. Die Entwicklung sei sicher auch eine Folge des prekären sozialen Umfeldes, das sich im Hamburger Süden angesiedelt hat.

Um Täter abzuschrecken, schlägt der Jurist eine stärkere Videoüberwachung des Bahnhofs- und Innenstadtbereiches vor. "Dabei sollen unbescholtene Bürger nicht bespitzelt, sondern potenzielle Gewalttäter davon abgehalten werden, ungehemmt zuzuschlagen." Weiterhin schlägt er vor, die Innenstadt weiter zu beleben. Allerdings schränkt er ein: "Maßnahmen wie bessere Ausleuchtung dunkler Ecken oder auch Sauberkeit in den Straßen fördern eher das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger." Ob sich davon Schläger beeindrucken lassen bezweifelt er.

Unterdessen trauen sich mittlerweile Harburger Bürger nicht mehr auf die Straße. "Abends schon gar nicht", sagt Rentner Karl Thränert, 84, aus Harburg. Er sagt, dass die Politik dafür sorgen müsse, dass die Jugend vernünftige Freizeitangebote erhalte und nach der Schule gleich in Lohn und Brot komme. "Die dürfen sich nicht langweilen, dann kommen die auch nicht auf dumme Gedanken."

Lessing-Gymnasiastin Inga Mannott, 19: "Hier leben einfach zu viele gewaltbereite Menschen. Ich weiß nicht, was mit der Gesellschaft los ist." Tagsüber hat die junge Frau keine Angst, in Harburg unterwegs zu sein, "abends sehe ich zu, dass ich nach Hause komme".

Das sagt auch Daniel Messling (28) aus Wilhelmsburg, der mit seiner Frau Sandra (29) und Söhnchen Tim, sieben Monate, zum Einkaufsbummel nach Harburg gekommen ist. Außerdem: "Die Polizei sollte stärkere Präsenz zeigen." Er fühlt sich mit seiner Familie alles andere als sicher in Harburg. "So ganz wohl ist mir hier nicht. Auch am Bahnhof müssen mehr Sicherheitsbeamte eingesetzt werden."

Heute tagt die Lenkungsgruppe der Harburger Sicherheitskonferenz.