Nach dem Selbstmord von Slawik C. sprechen sein Sohn und seine Frau über ihre Gefühle - der 58-Jährige hatte sich in Abschiebehaft erhängt.

Jesteburg. Es stürmt und regnet an diesem späten Nachmittag. Wo im Sommer die Familie auf der Terrasse saß, stehen jetzt die leeren Gartenstühle. Das gläserne Gewächshaus von Slawik C. steht noch im Garten. Die Tür ist offen. Es gibt keine jungen Pflanzen, die vor Wind, Wetter und Kälte geschützt werden müssen. Niemand hat Setzlinge angepflanzt. Der Gemüsegarten war die große Leidenschaft von Slawik C.. Hier baute er Tomaten, Auberginen und Paprika für seine Familie an. Aber Slawik C. ist tot. Im Juli vergangenen Jahres hatte er sich in der Abschiebehaft in der Justizanstalt Hannover-Langenhagen erhängt (das Abendblatt berichtete).

Im Haus der Familie C. läuft der Fernseher, eine Kindersendung. Der Enkel von Slawik C. Enkel hockt auf dem Boden und verfolgt die Zeichentrickserie. Bald ist er drei Jahre alt, dann soll er in den Kindergarten. Dort werde er auch Deutsch lernen. Mit seiner Oma, seinen Eltern spricht der Kleine armenisch, die Sprache, die die Familie auch schon in dem Land gesprochen hat, aus dem sie geflüchtet ist - Aserbaidschan. Dort gehörten die C. zur armenischen Minderheit. Über dem Fernseher an der Wohnzimmerwand hängt ein Kruzifix.

Die Erwachsenen unterhalten sich. "Von Normalität sind wir weit entfernt. Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, merke ich, wie sehr mein Vater uns allen immer fehlt", sagt der 29 Jahre alte Samuel C. und sieht dabei seine Mutter Asmik, 55, an. Die dunkelhaarige, in schwarz gekleidete Frau sitzt auf der Sofalehne.

Wenige Tage vor seinem Selbstmord war der Mann, der seit rund zwölf Jahren mit seiner Familie in Jesteburg lebte, im Winsener Kreishaus in der Ausländerbehörde festgenommen worden. Er sollte nach Armenien abgeschoben werden, obwohl er und seine Familie immer wieder beteuert hatten, nicht aus Armenien, sondern aus Aserbaidschan zu stammen. Vor zwölf Jahren hatte das Ehepaar C. und ihr Sohn Samuel in Deutschland um Asyl gebeten. Erst wurde der Asylantrag der Familie anerkannt, dann doch wieder abgelehnt.

Nur Samuel bekam eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, konnte einen Schulabschluss und eine Ausbildung als Maler und Lackierer machen. Die Familie C. gilt in Jesteburg als Musterbeispiel für gelungene Integration.

Vor dem Sommer haben Slawik und Asmik C. regelmäßig ehrenamtlich in der Jesteburger Kleiderkammer geholfen. Seit dem Selbstmord ihres Mannes hat Asmik C. noch nicht die Kraft aufgebracht, wieder in der Kleiderkammer zu helfen. Ihre Duldung wurde von der Ausländerbehörde in Winsen gerade für ein Jahr verlängert. Nach dem tragischen Selbstmord von Slawik C. hatte Harburgs Landrat Joachim Bordt (FDP) versprochen, sich persönlich dafür einzusetzen, dass Asmik C. eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommt. Asmik C. leidet unter der Angst, doch noch abgeschoben, wie ihr Mann von der Familie getrennt zu werden. Samuel C.: "Ich selbst habe keine Angst mehr vor den Behörden, was kann einem Schlimmeres passieren, als uns passiert ist. Ich habe meinen Vater verloren. Aber meine Mutter lassen wir nicht mehr alleine zur Ausländerbehörde gehen."

Asmik C. ist in psychologischer Behandlung, der jahrelange Druck, die jahrelange Angst, Deutschland verlassen zu müssen, mache die Menschen krank, sagt ihr Sohn. Asmik C. verlasse kaum noch das Haus. Was sie nicht völlig den Mut verlieren lasse, sei ihr Enkel. "Unser Sohn ist die beste Medizin für meine Mutter. Er lenkt sie von ihrem Kummer und von ihrer Trauer um meinen Vater ab", sagt Samuel.

"Bis jetzt durfte meine Mutter den Landkreis nur mit Genehmigung der Ausländerbehörde verlassen. Wenn wir sie nach Hamburg zum Arzt bringen wollen, müssen wir das vorher zwar immer noch anmelden. Aber mit der Duldung darf sie wenigstens innerhalb Niedersachsens frei reisen", sagt Samuel. Nein, von Normalität sei seine Familie auch ein halbes Jahr nach dem Selbstmord seines Vaters weit entfernt. Die Nachbarn kümmerten sich um die Familie, und Jesteburg sei nach wie vor das Zuhause der Familie. Aber die Angst davor, dass Asmik C. doch das Land verlassen muss und damit die Familie eine weitere Tragödie erlebt, ist allgegenwärtig.

"Es hat bereits Gespräche gegeben mit dem zuständigen Ministerium in Hannover. Unser Bestreben eine endgültige Lösung für Frau C. zu finden, damit sie in Deutschland bleiben kann, wird auch grundsätzlich vom Land unterstützt. Auch wenn es dazu noch kein endgültiges Ergebnis gibt, gibt es doch die klare Aussage des Landrates, dass Frau C. sich darauf verlassen kann, nicht abgeschoben zu werden", sagt Kreishaussprecher Georg Krümpelmann.

Auch ein halbes Jahr nach dem Selbstmord seines Vaters, der damals in der Ausländerbehörde vor den Augen seiner Familie festgenommen und in Abschiebehaft gebracht wurde, ist der junge Mann fassungslos über diese "Unmenschlichkeit". Samuel: "Ich verstehe bis heute nicht, wie die Menschen in einer Behörde einen anderen Menschen behandeln können. Man darf doch über einen Menschen nicht einfach anhand seiner Akte urteilen. Das ist doch nur Papier. Man muss doch denjenigen sehen, der hinter dem Papier steht."

Man verlange von den Asylanten, dass sie sich integrieren, aber, so fragt Samuel, wie sollen sie das tun, wenn man sie nicht einmal arbeiten lässt? Auch Slawik C. durfte als geduldeter Asylant nicht arbeiten. Deswegen haben er und seine Frau Asmik ehrenamtlich in der Gemeinde Jesteburg gearbeitet und geholfen. Vor der Abschiebung hat ihn das nicht bewahrt.