Neugrabener Konfirmanden beteiligten sich an einer Frühjahrsputzaktion für Stolpersteine der Initiative Gedenken.

Harburg. Die Inschrift auf der Messingplatte ist nicht mehr so gut lesbar: "Hier wohnte Ursula Bohlmann, Jahrgang 1935. Heil- und Pflegeanstalt Eichberg. Ermordet 23.09.1943." Die zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatte im Gehweg der Julius-Ludowieg-Straße in Harburg ist ein "Stolperstein" und erinnert an ein acht Jahre altes Mädchen, das hier vor 67 Jahren lebte. Ursula war Patientin der Alsterdorfer Anstalten und kam im August 1943 in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" bei Hattenheim im Rheingau. "Dort hat man sie verhungern lassen", sagt der Sottorfer Historiker Klaus Möller (74) von der Initiative Gedenken in Harburg.

Am Freitag und am Sonnabend hat die Initiative zu ihrer traditionellen "Frühjahrsputzaktion für Stolpersteine" eingeladen. Sie will damit ein Zeichen setzen gegen das "Verwittern und Vergessen". "Wer die Steine putzt, der setzt damit auch ein Zeichen, dass wir die unfassbaren Verbrechen nicht einfach vergessen können", sagt Klaus Möller.

Mehr als 20 000 "Stolpersteine" mit den Namen und Lebensdaten von Opfern des Nationalsozialismus hat der Kölner Künstler Gunter Demnig in den vergangenen 15 Jahren in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas verlegt. Sie liegen vor Häusern, in denen die Ermordeten einst wohnten oder arbeiteten. Mehr als 2500 dieser kleinen Denkmale liegen in Hamburg, davon 130 im Hamburger Süden. Und diese Messingplatten haben die Eigenschaft zu verwittern. Sie verlieren dann ihren ursprünglichen Glanz und sind kaum noch wahrzunehmen.

Mit Putzmittel und Lappen zog deshalb auch die Konfirmandengruppe der evangelischen Michaelisgemeinde Neugraben mit Pastorin Bettina von Thun sowie Klaus Möller und Claus Kollatsch, 49, von der Initiative Gedenken in Harburg los und putzte die Steine von zehn Harburgern, die in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet wurden: Ursula Bohlmann, Robert, Salka und Hella Beer, David Linden, John Franz, Alfred Gordon, Rebecca Rotter, Elisabeth Lange und Oswald Kranzler.

Johannes, 14, aus Neugraben hat vor einem Monat das erste Mal in seinem Leben einen Stolperstein am Störtebekerweg entdeckt. Jetzt putzt er hingebungsvoll die Steine von Salka, Robert und Hella Beer an der Julius-Ludowieg-Straße 48. Die Familie Beer wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. "Ich finde das gut, dass wir diese Platten putzen", sagt Johannes. "Es ist richtig, dass dies keine Massengedenkstätte ist, sondern jedes Opfers einzeln gedacht wird."

Lars, 14, sagt, "das Putzen bringt Spaß, weil man sich wieder an die Opfer erinnert". Kirstin, 14, sagt, "die Putzaktion ist eine gute Sache. Ich wäre beinahe auf einen verwitterten Stein getreten, weil ich ihn nicht erkannt habe. Jetzt blitzt er wieder schön, und man kann des Opfers gedenken."

Pastorin Bettina von Thun sagt, ihre Konfirmanden hätten ja selbst meist Großeltern, die die nationalistische Gewaltherrschaft nur als Kinder erlebt hatten. "Unsere Jugendlichen sollen den Gedanken des Gedenkens im Herzen weiterleben. Es ist schön, dass sie bei dieser Putzaktion etwas anfassen können und der Rundgang nicht nur eine reine Kopfsache ist."

Klaus Möller und Claus Kollatsch informierten die Jugendlichen auch über die NS-Zeit, zeigten Bilder, die nachdenklich machen, wie das Schild "Baden für Juden und Hunde verboten". Claus Kollatsch zeigte das Bild einer brennenden Synagoge und fragte, "was fällt euch auf? Vor der Synagoge ist keine Feuerwehr im Einsatz."

Der Kölner Künstler Gunter Demnig möchte mit den "Stolpersteinen" den Opfern ihre Namen zurückgeben und alle Passanten zum Nachdenken anstoßen. Er weist mit seinen Steinen darauf hin, dass das Grauen nicht erst in Auschwitz oder Sachsenhausen begann, sondern in unserer unmittelbaren Umgebung. Hier holte die Gestapo die Opfer ab, oder die Vermieter vertrieben sie aus ihren Wohnungen, weil sie unerwünscht waren.

"Und alle", sagt Gunter Demnig, "haben es gewusst, gesehen und gehört. Der Stein schafft einen Ort der Erinnerung an Menschen, die oft keinen Grabstein haben. Der Sottorfer Klaus Möller von der Initiative Gedenken in Harburg sagt: "Diese Harburger Opfer haben sich nicht ausgegrenzt, sondern sind ausgegrenzt worden in einer ganz normalen Wohnsiedlung."