Hamburg. Alt werden in Deutschland ohne Sprachkenntnisse – wie kann das gehen? Diesem Thema widmet sich der 7. Dialog der Kulturen.

Werde ich gut versorgt sein, wenn ich alt bin? Werde ich meine Familie gar überfordern? Kann ich noch am Leben teilnehmen, wenn ich Hilfe von außen annehmen muss? All solche Fragen sollen beim nunmehr 7. „Dialog der Kulturen“ besprochen werden, zu dem Bergedorfs Integrationsbeauftragte Mirjam Hartmann gemeinsam mit dem Seniorenbeirat einlädt. Die Unterstützung im Alter steht am Sonnabend, 3. Juni, im Vordergrund, wenn im Körberhaus an der Holzhude von 14 bis 17.30 Uhr ein breites Programm angeboten wird.

Nach einer Begrüßung durch Bezirksamtsleiterin Cornelia Schmidt-Hoffmann wird Hürrem Tezcan-Güntekin ans Mikrofon treten. Die Soziologin, Erziehungs- und Gesundheitswissenschaftlerin ist seit 2017 Professorin für interprofessionelle Handlungsansätze in Berlin und schrieb eine Dissertation zum Thema „Stärkung der Selbstmanagement-Kompetenzen pflegender Angehöriger türkeistämmiger Menschen mit Demenz“. In Bergedorf spricht sie von 14.20 Uhr an über das „Altern in zwei Heimaten: Die pflegerische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund“.

Dialog der Kulturen thematisiert muttersprachliche Betreuung alter Menschen

„Wir haben in Bergedorf kein Seniorenheim mit einem kultursensiblen Hintergrund. Wohl aber private Pflegedienste von türkischen oder russischen Betreibern“, weiß Mirjam Hartmann und ahnt, wie wichtig eine muttersprachliche Betreuung für pflegebedürftige Eltern sein kann. Denn längst nicht immer will und kann sich die eigene Familie kümmern: „Da gehen die Erwartungen nicht automatisch mit der Realität einher, wenn die Kinder nun mal berufstätig sind.“

So gesehen hat Nazife Gülbey großes Glück gehabt. Die 74-Jährige stammt von einem anatolischen Bauernhof, ist Analphabetin – und wohnt seit Jahrzehnten in Bergedorf, ohne gut Deutsch zu sprechen. Aber sie hat vier Kinder und acht Enkel, die sie regelmäßig in ihrer Wohnung im sechsten Stock besuchen. Nicht undankbar schaut sie auf den Sander Damm hinaus, aber seitdem ihr Mann (78) gestorben ist, wächst das Heimweh: „Ich vermisse die alten Nachbarn und die Natur, habe Sehnsucht nach den Schafen und Hühnern“, sagt die Älteste von neun Geschwistern, die sich stets um den Haushalt kümmern musste, bloß zwei Schulklassen besuchen durfte.

Vier Kinder kümmern sich um Mama Nazife (74)

Nach dem großen Erdbeben ging ihr Mann 1971 zunächst alleine nach Deutschland und blieb drei Jahre lang als Dreher in Mannheim. Dann fand er Arbeit beim Unternehmen Jurid in Glinde und holte die Familie nach. Seine letzten zehn Jahre arbeitete der Alevit bei der Hauni in Bergedorf, wo seine Frau später auch stundenweise im Putzdienst war.

„Ich bin an der Töpfertwiete aufgewachsen“, erzählt Gülcihan Gülbey-Bozkurt, die Jüngste der vier Kinder, die heute abwechselnd ihre Mutter umsorgen: „Papa sprach ein gutes Deutsch, kümmerte sich um Behörden, Bank und Ärzte. Er kannte sich mit den Gesetzen aus.“ Sorge bereitete eigentlich stets eher die Mutter, samt Krebserkrankung und mehreren Herzinfarkten.

Bedarf an Hausbesuchen bei Senioren

Eine Schwester wohnt in Nettelnburg, die Brüder in Bergedorf und Börnsen. „Ich komme immer aus Escheburg, wenn Mama etwas braucht“, erzählt die 43-Jährige, die ihrerseits viel um die Ohren hat mit zwei Kindern (7 und 11 Jahre). Außerdem leitet die Krankenschwester einen privaten Pflegedienst in Wandsbek, der 80 Patienten betreut.

Sie kennt sich aus: „Das Entlassungsmanagement in den Kliniken ist nicht immer gut. Aber kein alter Mensch fragt von sich aus um Hilfe. Eigentlich müsste es also viel mehr Hausbesuche bei den Senioren geben, das macht der bezirkliche Pflegestützpunkt ja nicht automatisch.“ Dabei denkt sie an Anträge für einen Pflegegrad, an Einkaufs- und Putzhilfe – und schwärmt vom Billstedter Pflegekiosk, wo jedermann willkommen ist: „Die beraten nicht nur und verweisen auf andere, sondern packen auch richtig mit an.“

Billstedter Tagespflege auf Türkisch

Wenn Nazife Gülbey kocht oder ihr Brot backt, mit den türkischen Nachbarn schwatzt oder Fernsehen schaut, ist sie glücklich. „Solange es geht, soll sie in ihrer Wohnung bleiben“, meint die Tochter, die glaubt, dass es in ganz Hamburg nur zwei Pflegeheime für Muslime gibt – „in Lurup und Wilhelmsburg. Dazu kommt eine Tagespflege von türkischen Frauen in Billstedt“.

Aber auch in Lohbrügge findet sich Hilfe, etwa beim Projekt Yardim, einem Betreuungsangebot für Senioren mit und ohne Migrationshintergrund. Das von der Sozialbehörde geförderte Projekt im „Haus brügge“ an der Leuschnerstraße ließ ehrenamtliche Helfer durch die Hamburger Alzheimer Gesellschaft ausbilden. Koordinatorin Funda Kılıç Özkan (Telefon 040/735 92 77 16) hat Mitarbeiter, die beim Besuch zum Mittagstisch oder auch zu Einkäufen auf dem Wochenmarkt Deutsch und Türkisch sprechen, auch Arabisch, Dari und Farsi.

Sie stellen sich beim „Dialog der Kulturen“ ebenso vor wie das Bergedorfer Demenznetzwerk, die Seniorengruppen des Hamburger Vereins der Deutschen aus Russland und die Türkische Gemeinde Hamburg. Von 15.30 Uhr an wird es im Körberhaus „Dialog-Tische“ zu verschiedenen Themen geben, dazu wird zu Kaffee, Tee und Kuchen eingeladen. Der Nachmittag ist für alle Besucher kostenfrei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.