Lohbrügge. Unsere Praktikantin Birte Keller ist eine wahre Überfliegerin. Warum die spektakuläre Flugshow ein cooler Sport zum Angeben ist.

Seit einigen Jahren wird mein linker Ellenbogen von einer sieben Zentimeter langen Narbe geschmückt. Auf dem Trampolin wollte ich herausfinden, wie viele Rückwärtssalti ich hintereinander schaffe. Dann ist es passiert. Nachdem ich die ersten Salti sicher gelandet war, merkte ich, dass meine Kraft und Konzentration nachließen. Trotzdem setzte ich zu einem weiteren Salto an – im Nachhinein eine blöde Entscheidung. Mir fehlte es an Rotation, und ich versuchte, mich mit meinen Händen abzufangen, um nicht auf dem Kopf zu landen. Für meinen linken Ellenbogen war die Belastung zu hoch, ein Teil des Oberarmknochens ist abgebrochen.

Beim Trampolinspringen wirken enorme g-Kräfte auf den Körper. Bei der Landung aus voller Höhe sind es zwischen 14g und 16g. Zum Vergleich: In einem Kampfjet drücken etwa 9g den Piloten in seinen Sitz. Daher war der Versuch, mich mit den Händen abzufangen, auch ein echter Anfängerfehler. Mittlerweile würde ich mich in solch einer Situation klein zusammenkugeln und meinen Kopf einziehen, oder versuchen, meinen Körper zu drehen, sodass ich auf dem Rücken lande. Nach der Operation am nächsten Tag hieß es drei Monate Zwangspause. Manch einer wäre danach vielleicht nie wieder aufs Trampolin geklettert. Ich aber zählte die Tage bis zum nächsten Training.

Trampolinturnen – ein cooler Sport zum Angeben

Trampolinturnen ist für mich wie eine Sucht. Wenn ich durch die Luft fliege und das Adrenalin durch meine Adern pumpt, kann ich alles um mich herum vergessen. Der Wind in den Haaren, das Gefühl der Schwerelosigkeit, das ständige Spiel mit den körperlichen Grenzen, das alles gibt mir das Empfinden, völlig eins mit mir zu sein, meinen Körper komplett zu beherrschen. Und abgesehen davon: Trampolinturnen ist einfach auch ein cooler Sport zum Angeben!

Sogar das Trampolin heißt bei ihr „Birte“: Birte Keller (22) hat elf Jahre Erfahrung im Trampolinturnen beim VfL Lohbrügge.
Sogar das Trampolin heißt bei ihr „Birte“: Birte Keller (22) hat elf Jahre Erfahrung im Trampolinturnen beim VfL Lohbrügge. © Volker Koch | Volker Koch

Schon bevor ich in der Lage war zu krabbeln, hat meine Großmutter mich zum Kinderturnen gebracht. Genau wie mein Großvater war sie in ihrer Jugend selbst eine erfolgreiche Leistungsturnerin. Die alte HT 16-Turnhalle in der Nähe der Burgstraße mit den grünen Wänden und der roten Backsteinmauer wird mir für immer im Gedächtnis bleiben. Hier habe ich meine ersten Felgrollen – das ist eine Rückwärtsrolle in den flüchtigen Handstand – sowie Radschläge und Salti gedreht. Doch der ständige Leistungsdruck hat mir den Spaß am Leistungsturnen genommen. Mit zehn Jahren war Schluss. Stattdessen bin ich 2012 beim Trampolinturnen gelandet, wurde beim VfL Lohbrügge warm und herzlich aufgenommen. Wir trainieren montags und dienstags von 17 bis 20 Uhr am Ladenbeker Weg. Wer Lust zu einem Probetraining hat, kann sich an lohbruegger-trampoliner@gmx.de wenden.

In der Halle geht es höher hinauf als im Garten

Trampolinturnen ist leichter, als man denkt, und schwerer, als es aussieht. Der erste Satz vieler Anfänger ist: „Das ist ja ganz anders als auf meinem Gartentrampolin.“ Das stimmt, es geht deutlich höher hinauf. Die Kraft des drei Meter breiten und fünf Meter langen Hallen-Trampolins lässt Profis bis zu neun Meter in die Höhe springen. So werden Doppel- und Dreifachsalti mit und ohne Schrauben möglich, die auf großen Wettkämpfen gezeigt werden.

Ein Salto ist jedoch keine Voraussetzung, um auf dem Trampolin zu turnen. Anfänger beginnen häufig mit der Kombination „Sitz halbe Sitz“: Sprung in die Sitzposition, Landung auf dem Po, halbe Drehung beim Hochkommen, erneute Landung in der Sitzposition, um schließlich wieder auf die Füße zu kommen. Dabei kommt es darauf an, eine gute Körperspannung zu halten. Die ist wichtig, um auf dem Trampolin die Kontrolle zu behalten.

Warum ein Rückwärtssalto leichter ist als ein Vorwärtssalto

Die Körperspannung ist der Schlüssel zu immer höheren Sprüngen. Schon nach dem ersten Training war mein Ehrgeiz geweckt. Ich wollte hoch durch die Luft fliegen und dabei Salti und Schrauben drehen wie die Profis. Es dauerte nur einige Wochen, bis ich meinen ersten Rückwärtssalto sicher landete. Blind nach hinten zu springen, kostet eine Menge Überwindung, doch im Vergleich zum Vorwärtssalto ist die Landung sehr viel einfacher. Beim Vorwärtssalto ist die „Landebahn“ erst im letzten Moment zu sehen, während der Springer im Rückwärtssalto ausreichend Zeit hat, sich auf das Aufkommen vorzubereiten. Deshalb beginnt man üblicherweise mit dem Rückwärtssalto.

Damit sich keiner bei den ersten Versuchen verletzt, gibt ein Trainer Hilfestellung, und es wird im richtigen Moment eine Matte unter den Springer geschoben. Trampolinturnen ist ein effektives Ganzkörpertraining: Eine Nasa-Studie besagt, dass zehn Minuten Trampolinspringen so effektiv sind wie 30 Minuten Laufen. Es stärkt besonders den Rücken und sorgt für eine gute Balance.

Wann ist mein Kind alt genug fürs Trampolinturnen?

Speziell für kleinere Kinder besteht jedoch ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Eine Studie des Robert Koch-Instituts von 2016 zeigt, dass Trampolin-Unfälle besonders bei Ein- bis Sechsjährigen eine der häufigsten Verletzungsursachen im Zusammenhang mit Sportgeräten sind. Das liegt daran, dass die Körper der Kleinkinder noch nicht weit genug entwickelt sind. Sie können dem Druck des Trampolins noch nicht standhalten. Die Faustregel lautet: Erst wenn sich ein Kind mit der rechten Hand über den Kopf ans linke Ohr fassen kann, sollte es mit dem Trampolinsport beginnen. Auf dem Gartentrampolin entstehen Unfälle häufig dadurch, dass mehrere Kinder mit hohem Gewichtsunterschied gemeinsam springen. Dann kann es passieren, dass ein Kind hochgeschleudert wird, die Kontrolle verliert und unkontrolliert landet.

Leichter als man denkt und schwerer als es aussieht: Wer wie Birte Keller jahrelang geturnt hat, ist beim Trampolinspringen im Vorteil.
Leichter als man denkt und schwerer als es aussieht: Wer wie Birte Keller jahrelang geturnt hat, ist beim Trampolinspringen im Vorteil. © Volker Koch | Volker Koch

Wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, wird das Spiel mit der Schwerkraft bald nicht mehr missen wollen. Vor allem die Atmosphäre während der Wettkämpfe empfinde ich fast schon als magisch. Statt nach alten Socken riecht die Turnhalle plötzlich nach saftigen Waffeln und frischem Kaffee. Aufgeregt laufen Kinder in bunten Vereinsjacken auf und ab, Zuschauer sitzen auf den aufgereihten Stühlen, lauschen dem rhythmischen Quietschen der Trampoline oder unterhalten sich. Trampolinturnen ist eine kleine Randsportart, der Zusammenhalt ist groß. Gelegentlich ist ein Trainer zu hören, der „Hep!“ oder „Spannung!“ ruft.

Mit meinen 22 Jahren bin ich in diesem Sport schon ein Oldie

Bei den meisten Wettkämpfen springen Jungen und Mädchen gegeneinander, aufgeteilt nach Altersklassen. Mit meinen 22 Jahren gehöre ich mittlerweile zur höchsten Altersklasse, den Oldies. Nach oben gibt es keine Grenze: Unser Trainer Dieter ist 66 Jahre alt und fliegt immer noch durch die Luft wie ein junger Gott.

Pflicht und Kür bestehen jeweils aus zehn Sprüngen. Bewertet werden die Schwierigkeit und die Haltung. Mithilfe einer Lichtschranke werden die Flugzeit „Time of flight“ und das „Horizontal Displacement“, also die Landeposition der Sprünge, gemessen. Idealerweise soll jeder Sprung auf dem roten Kreuz in der Mitte abgesprungen und gelandet werden. Wer zu viel „wandert“, kassiert Punktabzug.

Vom Zirkus in die Sporthallen: Die Geschichte des Trampolins

Die Geschichte des Trampolins begann im Zirkus. Die Hochartisten ließen sich nach ihrer Nummer ins Sicherheitsnetz fallen, federten wieder hoch und begeisterten das Publikum mit ein paar Salti. Das brachte den US-Artisten George Nissen (1914-2010) Mitte der 20er-Jahre auf die Idee, Trampoline zu bauen und an Schulen und Feriencamps zu verkaufen. Schließlich trainierten während des Zweiten Weltkriegs Piloten und Fallschirmspringer auf den neuartigen Sportgeräten. Längst nutzen auch Astronauten das Trampolin zum Muskelaufbau nach einer Mission.

In Deutschland hatte Albrecht Hurtmanns eine ähnliche Idee. 1951 baute er einen Rahmen aus Stahlrohren und spannte darin ein Netz aus Gurten und Fahrradschläuchen. Diese Wurfmaschine diente Turmspringern zum Üben neuer Elemente. Die ersten Trampolin-Weltmeisterschaften fanden 1964 in London statt. Seit 1973 existiert die deutsche Trampolin-Bundesliga. Erst seit den Spielen von Sydney 2000 ist Trampolinturnen olympisch. In Athen 2004 wurde Deutschland mit einer Goldmedaille für Anna Dogonadze und einer Bronzemedaille für Hendrik Stehlik zur besten Trampolinnation. Heute kommt die Trampolin-Spitze aus China und Russland.

Wer Profis in Aktion erleben möchte, kann am 22. April beim SV Bramfeld in der Halle Langenfort/Lorichsstraße (15 Uhr) einen Bundesliga-Wettkampf anschauen