Hamburg. Trotz aller Wehwehchen stehen Martin Frehse (60) und seine Teamkollegen allwöchentlich auf dem Platz. Doch es ist ein harter Kampf

Sie haben es wieder einmal geschafft. Mit Ach und Krach haben die 4. Supersenioren der Spielgemeinschaft von SC Vier- und Marschlande, SV Altengamme und SV Curslack-Neuengamme sieben Spieler für ihr Kreisklasse-Heimspiel am Zollenspieker in Kirchwerder zusammen bekommen. Sieben Mann. Klingt wenig, wenn drei Vereine zusammen legen. Doch in einer Spielklasse, in der alle Akteure mindestens 60 Jahre alt sein müssen, ist die Besetzung einer Siebener-Mannschaft schon eine gewaltige Herausforderung. Zwar umfasst der Kader des Vierländer Teams 25 Mann. Doch wenn es um Punktspiele geht, winken fast alle ab. Zu anstrengend und vor allem: zu gefährlich. Denn die Angst vor Verletzungen, sie spielt immer mit.

Sportverletzungen sind ein allgegenwärtiges Problem im Sport. Rund zwei Millionen Menschen verletzen sich pro Jahr in Deutschland beim Sporttreiben. Und das sind nur die, die ein Krankenhaus aufsuchen. Die Dunkelziffer derjenigen, die sich mit Schmerzen manchmal über Wochen oder Monate durchquälen, dürfte ungleich höher sein. Daher holt sich Norbert Grell so manche blutige Nase, wenn er versucht, ein Team zusammenzustellen. Bei den Vierländer Supersenioren ist Grell das Mädchen für alles, ist je nach Bedarf mal als Trainer, Torhüter oder Feldspieler im Einsatz. Heute als Aushilfsstürmer. „Wir verlieren bestimmt zweistellig“, unkt Grell vor dem Anstoß gegen den Tabellenführer SV Nettelnburg/Allermöhe/Atlantik 97.

Fußball 60+: Auch ein halber Platz ist ganz schön groß

Ist aber eigentlich auch egal. „Für uns geht es nur noch um den Spaß“, betont Andre Emrich, der ebenfalls zu dem dreiköpfigen Trainerteam gehört. Der dritte Coach, Dirk Griebel, kickt ebenfalls mit und ignoriert tapfer, dass er sich im Mittwochstraining eine Zerrung zugezogen hat. „Du musst“, hatte ihm Grell beschieden. „Sonst kriegen wir keine Mannschaft zusammen.“ Es geht quer über das halbe Spielfeld am Zollenspieker. Klingt wenig, ist aber reichlich Platz zum Laufen. Schnell wird klar, dass Grells Sorgen unbegründet sind: Der Vierländer Abwehrriegel hält. Jedenfalls halbwegs. Am Ende heißt es 0:5.

Der frühere Landesliga-Fußballer Martin Frehse (l.) hat eine Serie an Verletzungen hinter sich.
Der frühere Landesliga-Fußballer Martin Frehse (l.) hat eine Serie an Verletzungen hinter sich. © Volker Gast | Volker Gast

Zeit, die Wehwehchen zu pflegen. „Wir spielen zwar in der Kreisklasse, aber wir nennen es Verbandsliga, weil so viele Spieler Verbände haben“, scherzt Volker Pott, einer der Vierländer Spieler, die heute ihre Knochen hingehalten haben. Ebenso wie Martin Frehse. Der frühere Landesliga-Spieler des VfL Lohbrügge ist wahrscheinlich der beste Fußballer, den sie in ihren Reihen haben, und mit 60 Jahren auch einer der Jüngsten. „Wie fit die anderen noch sind, da ziehe ich den Hut vor“, sagt er bescheiden.

Aufwärmen für den Sport? Das interessiert die wenigsten

Frehse hat in seinen Jahrzehnten als Fußballer eine lange Serie an Verletzungen durchlitten: Kreuzbandrisse in beiden Knien, Muskelriss im rechten Oberschenkel, Kniescheibe rausgesprungen. Zuletzt laborierte er immer wieder an Wadenverhärtungen, bis der Zufall zu Hilfe kam. „Ich habe mir einen entzündeten Zahn ziehen lassen“, schildert er. „Seitdem sind die Wadenprobleme weg.“

Mit zunehmenden Alter werden die Erholungszeiten immer länger. „Man neigt ja auch nicht unbedingt zur richtigen Erstversorgung“, gibt Frehse zähneknirschend zu. Geschweige denn zur richtigen Vorbereitung vor dem Sport. „Ich habe mal versucht, im Training Gymnastik zum Aufwärmen anzubieten“, erinnert sich Grell. „Aber niemand hatte Interesse daran.“ „Doch wer einmal eine Verletzung hatte“, ergänzt Griebel, „der macht sich vernünftig warm.“

Vernünftig. Was ist das eigentlich? „Beim Dehnen, zum Beispiel, soll man schon an seine Schmerzgrenze gehen, aber nicht darüber hinaus“, erläutert Joachim Köhler. Der Arbeits- und Sportmedizinische Fachassistent war viele Jahre Mannschaftsarzt beim SV Curslack-Neuengamme und eine Kultfigur am Gramkowweg. Da ist oft entschlossenes Handeln gefragt.

„Einmal war unserem Torwart Gianluca Babuschkin die Kniescheibe herausgesprungen“, erinnert sich der 76-jährige. „War das ein Geschrei! Den umstehenden Zuschauern wurde schlecht, und auch der Schiedsrichter musste sich erst mal setzen. Was macht man also? Ich habe gesagt: ,Babu, sag mal Au!’ und habe in dem Moment mit dem Fuß gegen die Kniescheibe gedrückt, sodass sie wieder reingesprungen ist.“

Sportler schwören auf Tape, obwohl es nichts bringt

So handfest ging es bei Köhler natürlich nicht immer zu. Heute ist ja auch sanfte Medizin „in“. Doch es amüsiert ihn, wenn sich junge Sportlerinnen und Sportler über und über mit Kinesiotape bekleben, um den Muskeln mehr „Halt“ zu geben, statt sich vor dem Training lieber vernünftig zu erwärmen. „Man nennt Kinesiotape in der Medizin auch das ,Optimistenpflaster’“, schmunzelt er. „Es gibt Quellen, die belegen, dass Kinesiotape nichts bringt.“

Eine Ärztin legt einem Mann Kinesiotape am Knöchel an. Im Sport gelten die Klebestreifen hingegen als wirkungslos.
Eine Ärztin legt einem Mann Kinesiotape am Knöchel an. Im Sport gelten die Klebestreifen hingegen als wirkungslos. © picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Ein Fortschritt sei hingegen die Umstellung von Naturrasen auf Kunstrasen. „Auf dem alten Maulwurfsacker ist man einfach viel zu leicht umgeknickt“, betont Köhler. „Kunstrasen ist schon besser.“ Aber eben auch nicht ungefährlich. Daher komme es stark auf das richtige Schuhwerk an. Für den Kunstrasen sind das Multinockenschuhe, sogenannte „Tausendfüßler“.

Bei vielen Verletzungen ist gar kein Gegenspieler beteiligt

Viele Verletzungen entstehen beim Fußball, ohne dass ein Gegenspieler beteiligt ist. „Bei meinen beiden Kreuzbandrissen habe ich einfach einen unglücklichen Schritt gemacht“, erinnert sich Seniorenfußballer Martin Frehse. „Der Fuß blieb stehen, das Knie drehte weiter.“ Die Behandlungsmethoden bei dieser gefürchtetsten aller Fußballer-Verletzungen haben sich mit der Zeit stark gewandelt. „Bei meinem ersten Kreuzbandriss 1992 durfte ich mich eine Woche lang gar nicht bewegen, bekam sieben Wochen Krücken und musste ein Dreivierteljahr pausieren“, erinnert sich Frehse. „Beim zweiten Kreuzbandriss 2008 bekam ich eine Schiene, und es ging im Prinzip gleich am ersten Tag mit Bewegung los.“

Immer wieder hat sich der Produktionsplaner der Reinbeker Firma Wollenhaupt Tee nach solchen Rückschlägen zurückgekämpft. Fußball („Meine Frau steht voll dahinter“), das ist nun mal sein Ding. Genau wie bei seinen Mannschaftskameraden. Und so werden die 4. Supersenioren der SG SCVM/Altengamme/SVCN auch am Sonntag wieder ihre Körper befragen und dann irgendwie eine Mannschaft zusammenbringen für das Auswärtsspiel früh morgens um 9 Uhr beim TSV Glinde. Viel Glück dabei! „Wünsch uns kein Glück“, sagt Volker Pott zum Abschied. „Wünsch uns Gesundheit!“

Sportverletzungen von A bis Z

Achillessehnenriss: Sehnen werden mit der Zeit mürbe und können dann unter Belastung reißen. Beim Achillessehnenriss ist dabei oft ein lauter Knall zu hören.

Außenbandriss: Der klassische Bänderriss im Außenknöchel ist von starken Schmerzen, einem Anschwellen des Gelenks sowie immer von einem Bluterguss begleitet. Sofortiges Kühlen und Hochlagern ist wichtig. Früher wurden solche Verletzungen fast immer operiert, heute praktisch gar nicht mehr. Stattdessen wird das Gelenk durch Stützverbände oder Bandagen gestützt.

Knöchelverstauchung: Jede fünfte Verletzung im Fußball ist eine Verstauchung des Knöchels. Behandelt wird die Verstauchung nach der P.E.C.H.-Regel. P = Pause, E = Eiskühlen, C = Compression und H = Hochlagern.

Kreuzbandriss: Es gibt im Knie ein vorderes und ein hinteres Kreuzband. Typisch für den Fußball ist der Riss des vorderen Kreuzbands.

Leistenzerrung: Auch bekannt als „Adduktorenprobleme“. Es handelt sich um eine dauerhafte Überlastung der Muskulatur auf der Innenseite des Oberschenkels. Treten über längere Zeit Schmerzen beim Laufen und Gehen auf, sollte die Verletzung gut auskuriert werden

Meniskusriss: Der Meniskus ist ein halbmondartig geformtes Knorpelgebilde im Knie, das wie ein Stoßdämpfer zwischen den Oberschenkelknochen und dem Schienbeinkopf sitzt. Der Meniskusriss ist also im Gegensatz zum Sehnenriss kein Abriss, sondern eine Schädigung des Knorpels

Muskelfaserriss: Eine Muskelfaser der Muskelfibrille besteht aus mehreren Sarkomeren (siehe „Zerrung“). Wenn sie reißt, sind oft auch Nerven oder Blutgefäße mit betroffen. Behandelt wird der Muskelfaserriss nach der P.E.C.H.-Regel. P = Pause, E = Eiskühlen, C = Compression und H = Hochlagern.

Muskelriss/Muskelbündelriss: Joachim Köhler: „Reißt statt einer Muskelfaser gleich ein ganzes Muskelbündel, zieht das rund vier Monate Pause nach sich.

Schien- und Wadenbeinbruch: Hier gibt es sowohl Ermüdungsbrüche als auch – schlimmer – Brüche infolge von Gewalteinwirkung, etwa bei einem schweren Foul. Schien- und Wadenbeinbrüche müssen operiert werden und ziehen eine monatelange Pause nach sich. Ob das Bein hinterher wieder voll belastbar ist, hängt von der Art der Verletzung ab.

Zerrung: Eine Überdehnung des Muskels, die vor allem dann auftritt, wenn ein Sportler bereits müde ist. Denn dann sind die kleinsten dehnbaren Strukturen des Muskels, die Sarkomeren, überlastet. Ein gezerrter Muskel sollte geschont werden, damit er nicht reißt.