Hamburg. „Die Dosis macht das Gift“, sagt Ernährungs-Doc Matthias Riedl. Welche Alternativen es gibt und warum nicht alle ratsam sind.

  • Eine Dose Cola oder Limo pro Tag soll nachweisbar das Risiko für Herzinfarkte steigern
  • Ernährungs-Doc Matthias Riedl: "Zucker ist ein dosisabhängiges Gift"
  • Süßstoffe stehen im Verdacht, die Darmflora negativ zu verändern
  • Bitterstoffe können den Appetit auf Süßes oder Zucker mindern

Wenn Süßes nur nicht so köstlich wäre. Warum liebt die Mehrheit der Menschen Süßigkeiten? „Das ist evolutionär bedingt“, erklärt Ernährungs-Doc Matthias Riedl. „Süßes signalisiert, dass es viel Energie enthält und sicherlich nicht giftig ist, weil Gift eher bitter ist.“

Süßes könne man essen, es schütze vor dem Verhungern, „und das war entwicklungsgeschichtlich immer das größte Problem – außer gefressen zu werden.“ Er verdamme Zucker nicht, sagt der Ernährungsmediziner im Podcast „Dr. Matthias Riedl: So geht gesunde Ernährung“, es gehe ihm vielmehr um den bewussten Umgang. „Zucker ist einfach nur ein dosisabhängiges Gift. Und darüber müssen wir reden.“

Ernährungs-Doc: Maximal 25 Gramm Zucker pro Tag

Die Weltgesundheitsorganisation sei sehr strikt und rate zu maximal 25 Gramm Zucker am Tag, so Riedl. „Die deutschen Fachgesellschaften sind ein bisschen großzügiger mit 50 Gramm.“ Aber dazu müsse man dann auch Fertigprodukte, Limonade oder Apfelsaft zählen. „Wir wären mit einer Dose Limonade schon deutlich über dem, was die WHO zulässt. Eine Dose Limonade oder Cola steigert schon nachweisbar das Risiko für Arterienverkalkung und Herzinfarkt.“

Dadurch, dass alles so maßlos versüßt ist, seien wir abgestumpft, sagt der aus dem Fernsehen bekannte Ernährungs-Doc. „Das heißt, wir müssen wieder sensibler werden für Süße. Dann essen wir unterm Strich auch weniger Süße. Es kommt uns so eine Limonade dann plötzlich fürchterlich verzuckert vor, was sie auch ist. Wir müssen in Sachen Süße abrüsten.“

Von künstlichen Süßstoffen rät der Ernährung-Doc ab

Gibt es denn gesunde Alternativen? Riedl spricht von der großen Gruppe der künstlichen Süßstoffe, deren Wirkung auf die Darmflora aber lange nicht untersucht worden sei. Das habe man jetzt gemacht. Riedl zitiert aus Studien – demnach stehen viele Süßstoffe im Verdacht, die Darmflora so negativ zu verändern, dass Betroffene eine höhere Neigung zu Diabetes haben.

„Ich versuche, Süßstoff, wo immer er auftritt, zu meiden, ich esse ihn nicht mehr“, sagt der Experte. Alternative Süßen wie zum Beispiel Erythrit oder Xylit hätten weniger Kalorien, seien in größerer Menge aber abführend, könne man aber als Süße-Ersatz verwenden. Erythrit sei genauso wie Xylit eine in der Natur vorkommende Substanz und das unterscheide sie erheblich von den künstlichen Süßstoffen.

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Und wie sieht es mit Honig aus? „Natürlich kann man auch Honig nehmen, Ahornsirup oder Blütenzucker. Aber da haben wir dann halt einen sehr hohen Fruktosegehalt“, sagt Riedl. Fruchtzucker habe man früher für eine gute Alternative gehalten, „weil Fruchtzucker den Blutzuckerspiegel nicht oder kaum anhebt und keine Insulinausschüttung verursacht.

Konsum von Limonaden ist für besser gestellte Jungen ein Statussymbol

Heute wissen wir, dass diese Fruktose direkt in der Leber eingelagert wird und dort zur Verfettung führt. Und diese Leberverfettung ist einer der Gründe für Typ-2-Diabetes“, sagt der Ernährungsmediziner, Internist und Diabetologe. Es sei ein „Waterloo der Medizin, Menschen etwas zu empfehlen oder empfohlen zu haben, was sie kränker macht. „Also ehrlich gesagt ein Drama“, sagt Riedl. Die Medizin sei immer mal wieder von Irrtümern belastet, aber das habe die Menschen sehr schwer geschädigt.

Die Zuckersteuer in England habe einen enormen Erfolg gebracht. Die Rate an adipösen Mädchen habe um acht Prozent abgenommen. „Ganz besonders haben Mädchen aus sozial schwachen Schichten profitiert. Wir haben ja ein höheres Übergewichts-Vorkommen in sozial schwachen Schichten.“ Interessant sei in dem Zusammenhang, dass Jungs aus sozial besser gestellten Schichten zugenommen haben. Der Limonadenkonsum sei für sie ein Statussymbol. „Die trinken viel zu viel Limonade. Möglicherweise ist die Steuer auch noch nicht hoch genug.“

Ernährungs-Medizinerin gibt Tipps: Gesundheit to go

Was mit dem Körper passiert, wenn er ständig mit Zucker gefüttert wird, erklärt Riedl so: „Wenn ich Zucker esse, dann steigt der Blutzucker an und der Körper reagiert mit einer Insulinausschüttung. Insulin soll den Blutzuckerspiegel wieder senken und es sorgt dafür, dass dieser Zucker in die Zellen kommt, da wo er verbrannt werden soll. Das ist der normale Zustand.“

Ständiger Zuckerkonsum erhöht den Insulinspiegel

Wer zu viel oder ständig Zucker zu sich nimmt, habe einen ständig erhöhten Insulinspiegel und die Zellen würden vollgestopft mit Zucker. Insulin habe den unangenehmen Nebeneffekt, dass es den Fettaufbau fördert, „das heißt, wenn wir ständig ein bisschen Zucker essen, sind wir ständig im Fettaufbau-Modus, dann wird der Zucker in der Leber eingelagert, alle Organe beginnen zu verfetten.“ Auch die Bauchspeicheldrüse werde in der Funktion gestört und produziere weniger Insulin. Das bedeute den Übergang zu Diabetes.

Wer meint, nach Zucker süchtig zu sein, habe eher eine Gewohnheitssucht, sagt Riedl und nennt ein Beispiel: „Ich komme nach Hause, bin total hungrig und gehe dann an die Schublade mit der Schokolade. Oder am Vormittag wird genascht. Das sind Gewohnheiten, die können wir super überschreiben, wie so eine Festplatte.“ Manchmal sei auch eine Verhaltenstherapie notwendig, „wenn wir merken, es ist sehr, sehr tief eingegraben, weil die Belohnung oder das Überspielen von schlechter Stimmung mit Lebensmitteln ist halt sehr stark verankert in unserer Gesellschaft.“

Bitterstoffe können den Appetit auf Süßigkeiten mindern

Mit Bitterstoffen könne man den Appetit auf Süßes mindern, sagt der Ernährungs-Doc. „Die docken an Appetitrezeptoren an und verderben uns tatsächlich die Lust auf Süßes.“ Auch Gewürze wie Zimt oder Minze eigneten sich. „Man könnte zum Beispiel ein Kaugummi mit Minzgeschmack nehmen oder sich einen ganz starken Pfefferminztee machen. Man muss ausprobieren, was funktioniert. Manchmal hilft auch das Riechen an Vanille. Oder ein Glas Wasser trinken. Oder Zähneputzen.“

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Manchmal verberge sich hinter dem Appetit auf Süßes auch nur Durst. „Das liegt im Hirn ganz dicht nebeneinander. Also das kann auch ein Grund sein“, sagt der Ärztliche Leiter des Medicum Hamburg. Man solle daher seine Getränke protokollieren. Er empfiehlt grundsätzlich ein Ernährungsprotokoll, wenn man seinen Zuckerkonsum reduzieren will. „Es ist wichtig, sich einen Überblick zu verschaffen. Ist Zucker mein Problem? Esse ich den anfallsartig, esse ich den über den ganzen Tag verteilt?“

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Die wichtigste Voraussetzung, um sich das Naschen abzugewöhnen, nennt Riedl auch: „Sich bei den Hauptmahlzeiten richtig satt und dabei ausreichend Eiweiß essen.“