Verpachtung von Grünland

Flächenfraß für Wohnungsbau in Hamburg verdrängt Pferdehöfe

| Lesedauer: 7 Minuten
Axel Ritscher
Die Stadt Hamburg hat dem "Reitstall am Herrenhaus" in Wohldorf zwei große Flächen gekündigt.

Die Stadt Hamburg hat dem "Reitstall am Herrenhaus" in Wohldorf zwei große Flächen gekündigt.

Foto: privat

Auch Landwirtschaft betroffen. Verband fordert Offenlegung der städtischen Strategie zu Verpachtung und Entwicklung von Grünland.

Hamburg. Der Hamburger Landschafts- und Klimaschutzverband (HLKV) hat die Stadt aufgefordert, ihre Grundstückspolitik offenzulegen und die Strategie einer öffentlichen Debatte zuzuführen. Der Vorstoß zielt vor allem auf Grünland. „Die Stadt hat in großem Maßstab angefangen, Pachtverträge zu kündigen bzw. auslaufende Verträge mit Landwirten oder Pferdehöfen nur noch kurzzeitig oder gar nicht mehr zu verlängern, hieß es in der Mitteilung des Verbandes.

„Diese derzeitige Intransparenz schafft Misstrauen und es drängt sich die Befürchtung auf, dass die Stadt die coronabedingte Ausnahmesituation nutzt, um zumindest Teile der betroffenen Flächen einer Bebauung zuzuführen“, sagte HLKV-Sprecher Niels Hanßen.

Pferdehöfe keine ökologischen Nutzer, sondern „Nichtlandwirte"

Umwelt- und Finanzbehörde bezeichneten die Befürchtung als „unbegründet. Gemäß dem Agrarpolitischen Konzept 2025 werden Pachtverträge mit landwirtschaftlichen Betrieben möglichst mit langen Laufzeiten versehen, um diesen ein Höchstmaß an Plansicherheit zu gewähren. Dabei werden je nach Fallkonstellation Laufzeiten von 5 bis 18 Jahren angestrebt“, hieß es in einer abgestimmten Stellungnahme der beiden Behörde auf eine Abendblatt-Anfrage. „Kürzere Laufzeiten werden vergeben, wenn die Verpachtung an Nichtlandwirte wie z. B. private Tierhalter erfolgt oder wenn die Fläche absehbar im Rahmen des Planrechts andern Nutzungen zugeführt werden soll.“

Das Agrarpolitische Konzept sieht auch vor, bei der Flächenvergabe ökologische Landwirte zu bevorzugen. Reitställe und Pächter der für die Pferdehaltung erforderlichen Grünflächen aber sind keine ökologischen Nutzer, sondern „Nichtlandwirte und private Tierhalter.“ Einer von ihnen ist Ulrich Lorenzen aus Wohldorf. „Die Stadt hat unserem ‚Reitstall am Herrenhaus‘ ohne Angabe von Gründen zwei große Flächen gekündigt, so dass der Betrieb des Reiterhofs perspektivisch nicht mehr möglich ist. Wenn die Pachtverträge für die beiden kleineren Flächen nächstes Jahr auslaufen, wird es ganz vorbei sein.Lorenzens Reitstall ist als „Vorwerk des Guts Wohldorf“ Teil des behördlich empfohlenen „historisch-ökologischen Erlebnispfads Wohldorf/Ohlstedt“.

Stadt nicht verpflichtet, Pächtern Gründe für Kündigungen zu nennen

CDU-Fraktionschef Dennis Thering bedauerte die Entwicklung. „Vor allem Pferdehöfe, die ihre Tiere in Offenställen praktisch den ganzen Tag lang artgerecht draußen lassen, haben geringe Kosten und können den Sport verhältnismäßig preiswert anbieten. Das ist vor allem für Kinder gut. Aber dafür brauchen die Betriebe Flächen, die ihnen nicht ohne Not genommen werden sollten.“

Bei der laut Lorenzen aufwändigen Recherche nach den Kündigungsgründen und möglichen Gesprächspartnern habe die Stadt ihm „in einem Zweizeiler“ erklärt, dass die „agrarstrukturelle Prüfung abgeschlossen“ sei und die rechtliche Prüfung noch laufe. Ansonsten könne er sich das Agrarpoltische Konzept ansehen, das im Internet zu finden sei. Formal ist die Stadt nicht verpflichtet, Pächtern Gründe für Kündigungen zu nennen.

Laut Behörden wurden nur zehn von 596 Pachtverträgen gekündigt

Im Agrarpolitischen Konzept steht laut Lorenzen aber auch, dass die Stadt in solchen Fällen Lösungen für die Betriebe finden solle. „Davon war nichts zu bemerken.“ Jetzt hat er sich anwaltliche Hilfe gesucht. „Der Reiterhof ist von der Stadt verkauft worden mit der Maßgabe, ihn zu erhalten. Aber ohne Grünland drum herum geht das nicht“, sagte Lorenzen.

Die Behörden gaben an, bis zum November nur zehn von 596 Pachtverträgen gekündigt zu haben. Gemäß der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Fraktionschefs Dennis Thering war von 13 Flächen mit insgesamt gut 26 Hektar vorwiegend in den Walddörfern die Rede. Der Verbleib der Tiere, die an Offenstall-Haltung im Freien gewöhnt sind, liege „in der Verantwortung der Pächter.“ Ihre Flächen würden an „aufstockungsbedürftige landwirtschaftliche Betriebe“ gehen. Gemeint sind Höfe, die möglichst ökologisch Nahrungsmittel produzieren. Der Hof neben Lorenzens Reitstall ist ein solcher, auch wenn er mit rund 200 Hektar Fläche nicht „aufstockungsbedürftig“ erscheint.

Hamburg: Reiterhöfe oft eine Folge schrumpfender Hofgrößen

Mit dem Wohnungsbau der letzten Jahre hat sich die Konkurrenz um die diversen Nutzungsmöglichkeiten des Bodens verschärft. Wohnen, Naturschutz, Infrastruktur, Naherholung und Landwirtschaft streiten um die immer knapper werdende Ressource.

Hinzu kommt der wachsende Bedarf an sogenannten Ausgleichsflächen, die die Stadt im Sinne des Naturschutzes zur Kompensation für Wohnungsbauprojekte nachweisen muss. Sie müssen kraft Gesetz als Grünflächen nicht nur gesichert, sondern ökologisch aufgewertet und damit der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung entzogen werden.

Reiterhöfe sind oft eine Folge schrumpfender Hofgrößen, da sie mit vergleichsweise wenig Fläche rentabel zu betreiben sind. Unter Naturschützern aber sind sie umstritten, weil sie Verkehr anziehen. Und aus landwirtschaftlicher Sicht sind sie Ausweichbewegungen, weil sie typischerweise an Siedlungsrändern entstehen, wo auch Ferienwohnungen, Hofläden und -cafés oder Kitas mit Naturbezug den Betrieben Entwicklungsperspektiven bieten, aber keine landwirtschaftliche Nutzung im engeren Sinne mehr darstellen.

In Hamburg gibt es 15.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche

In der Sülldorfer Feldmark am anderen Ende Hamburgs tobt seit Jahren genau entlang dieser Linien ein erbitterter Streit zwischen Landwirten und Reiterhöfen auf der einen und Naturschützern auf der anderen Seite. Ein Bebauungsplan der Stadt, der mit erheblichen Einschränkungen für die Landwirte und Reiterhöfe verbunden gewesen wäre, ist gerade gerichtlich gestoppt worden.

Derzeit gibt es etwa 15.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche in Hamburg. 6000 davon sind städtisches Eigentum, das in der Regel verpachtet wird. 2200 Hektar davon sind Ausgleichsflächen. Vor etwa einem Jahr hat sich die Stadt ein gesetzliches Vorkaufsrecht für Höfe verschafft, die keinen Nachfolger finden. Seitdem sei es sechs Mal ausgeübt worden, erklärten Umwelt- und Finanzbehörde auf Nachfrage.

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Trend zur Verdrängung der Landwirtschaft aus Ballungsräumen

Zugleich weigert sich die rot-grüne Koalition laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und CDU seit Jahren beharrlich, den veralteten Flächennutzungsplan auf Stand zu bringen und einen Masterplan zu erarbeiten. Umwelt- und Finanzbehörde sprachen dagegen von „regelmäßigen Aktualisierungen“. Doch da der alte Plan aus den 1990er Jahren bloß von Fall zu Fall aktualisiert wird, sehen Nabu und CDU darin planloses Stückwerk ohne demokratisch legitimiertes, sprich: öffentlich diskutiertes, Konzept.

Der Hamburger Bauernverband bestätigte, dass die Flächenkonkurrenz immer häufiger zu Lasten der Landwirtschaft „gelöst“ werde. Von einer hamburgweit systematisch geänderten städtischen Politik bei der Verpachtung wollte Verbandspräsident Martin Lüdeke aber nicht sprechen. „Es sind Einzelfälle.“ Der Trend zur Verdrängung der Landwirtschaft aus den Ballungsräumen bestehe schon seit Jahren.

Abholzung des Regenwaldes beklagen, aber Ackerflächen betonieren

Sein Vorgänger im Amt, Heinz Behrmann, warnte: „Wir haben seit der Wiedervereinigung in Deutschland 850.000 Hektar Ackerland an Infrastruktur und Wohnungsbau verloren. Die Ausgleichsflächen kommen noch dazu, werden aber auf Bundesebene nicht zentral erhoben.“ Die Entwicklung laufe auf eine Verlagerung der Nahrungsmittelerzeugung in andere Länder und Weltregionen hinaus. „Wir können aber nicht einerseits die Abholzung des Regenwaldes beklagen und im gleichen Atemzug die eigenen Ackerflächen betonieren oder in Schutzzonen für seltene Tiere und Pflanzen verwandeln.“

Der dezentral vor der eigenen Haustür produzierende Hof sei wichtig und wertvoll, sagte Behrmann. „Der Handel hat allerdings andere Interessen.“

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