Hamburg

Das dunkle Herz der Stadt – Hamburger Gängeviertel im Film

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Matthias Iken
Die Wohnungen waren zumeist nur durch schmale Straßen und verwinkelte, labyrinthartige Hinterhöfe  zu erreichen.

Die Wohnungen waren zumeist nur durch schmale Straßen und verwinkelte, labyrinthartige Hinterhöfe zu erreichen.

Foto: staatsarchiv hamburg

Der Künstler Andreas Karmers beschäftigt sich seit Jahren mit dem Großprojekt. Inzwischen sind 90 bis 95 Prozent vollendet.

Hamburg und seine Gängeviertel – das ist die Geschichte einer Hassliebe: Auf alten Postkarten kommen die engen Wohnquartiere mit ihren verwinkelten Hinterhöfen aus dem 19. Jahrhundert wildromantisch daher, stehen sie doch für eine Zeit, die längst vergangen ist. Viele Zeitgenossen hingegen entwickelten für die engen, übervölkerten und schmutzigen Slums nur Verachtung: Hier wütete 1892 die Cholera, sodass der Mediziner Robert Koch an den Kaiser schrieb: „Eure Hoheit, ich vergesse, dass ich in Europa bin. Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim angetroffen wie hier.“ Auch politisch stand das Gängeviertel unter Generalverdacht – die Nazis schleiften nach der Machtübernahme das „Klein-Moskau“.

Den Untergang der Gänge am Beispiel seiner Familie verfilmt

Seltsam, dass die Geschichte dieser Viertel zwar auf alten Bildern allgegenwärtig ist, aber als Teil der Geschichte der Stadt zugleich weit weg erscheinen. Der Künstler Andreas Karmers, Zeichner, Maler und Regisseur, will das jetzt ändern. Unter dem Titel „Wir waren das dunkle Herz der Stadt“ verfilmt der 54-Jährige am Beispiel einer Familie über drei Generationen den Untergang der Gänge. Es ist die Geschichte seiner Familie: Karmers Urgroßmutter hatte einen Tabakladen im Gängeviertel, der Film hangelt sich am Leben seines Großvaters Walter Wed­stedt entlang. „Meine ganze Sippe hat dort gelebt. Das Gängeviertel hat mich schon immer fasziniert“, sagt Karmers. „Die Serie soll ein Hamburg in die Erinnerung zurückrufen, das nicht mehr existiert. Es soll darüber Auskunft geben, unter welchen Umständen die Hamburger Altstadt beseitigt wurde und wer davon profitierte.“

Karmers arbeitet seit sieben Jahren an dem Film. „Sieben Jahre dauern auch viele Blockbuster“, sagt er nicht ohne Ironie. Denn es ist auch ein Weg mit Problemen, Pech und Pannen. Gleich viermal musste er den Cutter wechseln. Als Künstler kann er nicht so viel zahlen wie andere Auftraggeber – und muss sich hinten anstellen. Derweil summierten sich die Kosten für die Erstellung, die Rechte, aber auch die Fotos. Auf Flohmärkten und bei Fotohändlern sicherte er sich in vielen Jahren Bilder aus den Gängevierteln.

Je tiefer er sich in das Projekt vorkämpfte, umso größer wurde der Film. Der ursprünglich eher dokumentarisch geplante 90-Minüter hat nun eine Länge von sechs Stunden, verteilt auf sieben Teile. „Die Familiengeschichte habe ich etwas hochgejazzt und fiktive Elemente eingefügt“, sagt Karmers. „Jetzt ist es mehr eine Tragödie.“ Der Film erstreckt sich inzwischen über fast ein Jahrhundert, vom Bau der Speicherstadt 1880 bis ins Jahr 1980. „Die Stadt Hamburg selbst hat storybedingt mehr Platz bekommen“, erzählt Karmers. Die zentrale Figur aber bleibt der Großvater, der erst ein „Roter“ ist und sich dann zum Nazi-Schläger wandelt. In ihm spiegeln sich die Irrungen und Wirrungen des 20. Jahrhunderts. „Der Wandel des Ich-Erzählers vom roten Barrikadenflegel zum SA-Mann und letztlich auch von dort in eine unpolitische Position ließ sich nicht in zehn Minuten runterbrechen, wenn es nachvollziehbar bleiben soll.“

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Auch Günther Jauch zählt zu den Geldgebern des Projekts

So spannend das Projekt, so schwer ist die Suche nach dem Geld. Die Filmförderung ließ Karmers abblitzen. „Als ich startete, waren sowieso alle Fördermaßnahmen, die es vielleicht noch im Förderdschungel irgendwo gegeben hätte, obsolet“, erzählt Karmers. „Denn ab der ersten gefallenen Kameraklappe ist keine Förderung mehr möglich.“ Vor fünf Jahren sammelte er deshalb über die Crowd-Funding-Plattform Startnext, die Geldgeber und Projekte zusammenbringt, 25.575 Euro von 105 Unterstützern. Einer davon, so erzählt Karmers, sei Günther Jauch.

Den Sponsoren stellte er für das Jahr 2016 einen Kinofilm in Aussicht, entschied sich angesichts des umfangreichen Materials dann aber letztlich doch für eine Serie. Die erhofften Geldmittel lösten sich schnell auf – zum einen, weil die Steuer nicht nur bei den Einnahmen mitkassierte, sondern auch bei den kleinen Geschenken, die Karmers als Lockmittel ausgelobt hatte. Als einige Geldgeber zum anderen ungeduldig wurden, zahlte Karmers ihnen ihren Einsatz zurück.

Viele aber hegen weiter die Hoffnung, dass das Werk eines Tages fertig wird. Immerhin seien inzwischen 90 bis 95 Prozent vollendet, sagt Karmers. Vor drei Jahren – damals sollte die Serie noch vier Stunden dauern, waren es erst zweieinhalb. Nun geht es um sechs Stunden. „Wir leben in einem Netflix-Zeitalter. Die Menschen wollen sich mehrere Folgen reinziehen“, sagt er. „Wir waren das dunkle Herz der Stadt“, wird eher traditionell erzählt mit einer klassischen Bildsprache. Für Neugierige hat er auf seiner Website www.karmers-hamburg.com die erste Folge bereits online gestellt.

30.000 Euro fehlen noch für Rechte und Korrekturen

„Ich bin nach acht Jahren schwer begeistert“, sagt er über sein Großprojekt. Ist das Hybris? Der 54-Jährige lacht, zögert kurz und antwortet: „Als Zeichner und Maler habe ich auch irgendwann angefangen.“ Zweifler kann der Künstler mit einem Erfolg kontern: Als völliger Novize nahm er zwischen 2008 und 2012 ein Hörbuch mit insgesamt 30 Sprechern auf, darunter Dieter Thomas Heck, Uwe Friedrichsen und Marc Bator. Als Regisseur vertonte er das fast vergessene Buch „Heeresbericht“ von Edlef Köppen – und erntete hymnische Rezensionen: „Die dreizehnstündige Lesung von ,Heeresbericht‘ wird zu einem packenden Hörbild über eine Gesellschaft im Krieg. Man wünscht ihm das große Publikum, das dem Roman zu Unrecht versagt geblieben ist“, hieß es beim Deutschlandfunk, der WDR lobte das „monumentale, außergewöhnliche Hörbuch“, die „FAZ“ sprach von einem „wirklichen Zugewinn!“ Bis heute bringt ihm das Hörbuch Tantiemen ein.

Nun will er seinen „ersten und letzten Film“ auf den Weg bringen. Der bekannte Schauspieler Hellmut Krauss hat vor seinem Tod die Rolle des Oberbaudirektors eingesprochen, Till Hagen übernimmt die Hauptrolle, auch Ulrich Tukur engagiert sich in der Rolle eines „Virgilanzbeamten“, auf Deutsch „Spitzel“. Insgesamt konnte Karmers 28 Sprecherinnen und Sprecher gewinnen. Mit Kameramann Bernd Meiners hat Karmers einen erfolgreichen Profi an seiner Seite, der schon mit Hermine Hundtgeburth oder Georg Stefan Troller drehte. Den Schnitt übernimmt Janne Jürgensen.

Nun will der Kunstmaler seine eigenen Werke verkaufen

„Ein langer Film bedeutet mehr Aufwand, was Zeit und Geld betrifft. Aber es muss so sein. Es soll ein episches Werk werden“, sagt Karmers. „Es wird auf alle Fälle der längste Hamburg-Film. Ich muss mir Gedanken über die restliche Finanzierung machen.“ 30.000 Euro fehlen noch für Rechte und Korrekturen, er hat Unternehmer angeschrieben, die heute im ehemaligen Gängeviertel residieren, nun versucht er es bei Architekten. Mit überschaubarem Erfolg: Nun will der Kunstmaler seine eigenen Werke verkaufen. „Schweren Herzens habe ich mich entschlossen, meine Gemälde anzubieten, um die weitere Finanzierung des Films vielleicht zu befördern.“ Ans Aufgeben aber hat er nie gedacht. „Mein Honorar ist null. Das ist ein dorniges Geschenk für Hamburg“, sagt er. Und fügt trotzig hinzu: „Ich halte das Projekt für einen wichtigen Film. Vielleicht wird er auch erst in einigen Jahren relevant.“

Wie wusste schon Rainer Maria Rilke? „Kunst hervorzubringen ist ein schlichtester und härtester Beruf, aber zugleich ein Schicksal, und, als solches, größer als jeder von uns, gewaltiger und bis jetzt unermessbar.“

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