Die Bürostadt im Grünen ist in die Jahre gekommen. Obwohl kaum Büros leer stehen, ist das Image dürftig. Der Boom beim Wohnungsbau könnte das jetzt ändern.

Der Betonklotz wirkt unheimlich. In den oberen Etagen fehlen die Fenster. Auf Teile der Fassade wurden Graffiti gesprüht. Im Hof spiegelt sich die Sonne in bräunlichen Pfützen, die vom letzten Regen übrig sind. Nur das frische Grün der Sträucher macht den Anblick halbwegs erträglich.

Auf dem nahe liegenden sechsspurigen Jahnring fließt der Autoverkehr im Rhythmus der Ampeln. Wer vom Stadtpark kommend zum Flughafen will, der muss hier, am früheren Verwaltungsgebäude der BP Deutschland, genauso vorbeifahren wie Besucher, die in das Zentrum der City Nord wollen.

Sylvia Soggia winkt ab. „In diesem Zustand kein schöner Anblick“, sagt die Sprecherin der Grundeigentümer-Interessengemeinschaft City Nord. „Und das gerade am ‚Tor‘ zur City Nord.“ Sie ist froh, dass der Klotz demnächst abgerissen wird. Ein schnittiges Hotel und ein Bürogebäude sollen hier entstehen.

Das Ex-BP-Gebäude steht stellvertretend dafür, wie die City Nord in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Nur wer sich ein wenig mit Hamburgs Stadtentwicklung in den 50er- und 60er-Jahren beschäftigt, kann seine frühere Einzigartigkeit erahnen.

Aus der Luft betrachtet, besteht der Komplex aus mehreren sechseckigen Teilen und erinnert an einen Benzolring. Die Deutsche BP hatte das Gebäude von den Kölner Architekten Kraemer, Sieverts & Partner planen lassen und 1971 bezogen. Seine Großraumbüros galten als der letzte Schrei.

Andererseits versinnbildlicht der Betonklotz das schmuddelige Image der City Nord. Wer nach Sonnenuntergang durch das Viertel fährt, erlebt eine Geisterstadt. Aussteigen mag man nicht. Auch tagsüber wirkt der als „Zentrum“ deklarierte graue Betonkomplex mit seinen verwinkelten und dunklen Gängen eher abschreckend als einladend.

Kritiker sprechen von brutalistischer 70er-Jahre-Funktionsarchitektur

Egal, mit wem man spricht, fast jeder bestätigt: Das Zentrum der City Nord bedarf einer Verjüngungskur. Am besten wäre es, wenn ein Teil abgerissen würde, sagen die härtesten Kritiker. Manche von ihnen bezeichnen es als Beispiel für „brutalistische 70er-Jahre-Funktionsarchitektur“.

„Die City Nord ist eine Ansammlung von Wunderkakteen“, sagte Meinhard von Gerkan, Architekt des Shell-Gebäudes, 2004 in einem Zeitungsinterview: „Es gibt zwischen den Häusern keinen städtischen Zusammenhang, kein einziges anständiges Restaurant, die Geschäfte sind niedrigstes Niveau. Das bisschen Grün wird nicht angenommen. Es ist eine Demonstration, wie man Stadt nicht machen darf.“

Sylvia Soggia betrachtet das anders. „Während der Planungs- und Bauphase galt die City Nord als eines der herausragenden Bauprojekte in Europa.“ Die Ansiedlung des Geschäfts Die Wäscherei zeige modernen Lifestyle und locke neue Kunden – auch von außerhalb – in die City Nord . Oder sie verweist auf das Parkhaus am südlichen Ende des Zentrums. „Es wird saniert und bekommt im Erdgeschoss eine Ladenzeile.“

Es mangelt nicht an Befürwortern, die darauf verweisen, dass die City Nord ein Juwel sei, das unterschätzt werde. Nun könnte ausgerechnet die Wohnungsbauoffensive des Senats das Quartier nachhaltiger verändern als politische Ideen der jüngeren Vergangenheit. Auf Kleingartenflächen, die an das Büroviertel grenzen, sollen von 2016 an rund 1400 Wohnungen – das Pergolenviertel – errichtet werden.

Damit könnte aus der City Nord etwas werden, das ihm nicht in die Wiege gelegt wurde. Ursprünglich stammt die Idee vom früheren Oberbaudirektor Werner Hebebrand. Der Chefplaner hatte 1958 New York besucht und von dieser Reise die Idee von einer „Bürostadt im Grünen“ mitgebracht. Geplant war ein Park mit 30 bis 40 Bürohochhäusern für bis zu 35.000 Beschäftigte.

Der wirtschaftliche Aufschwung war in jener Zeit in vollem Gange. Konzerne wuchsen. Was fehlte, waren ausreichend große Büroflächen. Wohngebiete kamen nicht infrage, weil man ohnehin knappen Wohnraum nicht zugunsten einer Bürostadt abreißen wollte. Die Hebebrand-Idee von einem „Commercial Park“ kam genau richtig.

Die City Nord sollte Hauptverwaltungen großer Konzerne an einem attraktiven, stadtnahen Standort optimale Ansiedlungsbedingungen bieten. Der Flughafen Fuhlsbüttel ist in einer Entfernung von drei Kilometern schnell erreichbar, ebenso Hamburgs Innenstadt in sechs Kilometern.

Das Grundstück bot mit seiner Größe von 117 Hektar ausreichend Platz für bis zu 40 Verwaltungsgebäude. Zugleich gab es die Möglichkeit, nach neuesten Erkenntnissen eine Bürostadt zu errichten, die zur Freilichtbühne der Architektur wurde. Die Unternehmen konnten ihre Vorstellungen umsetzen.

Und sie machten von dieser Möglichkeit ausreichend Gebrauch. Renommierte Büros gewannen die Architekturwettbewerbe. In der Folge entstanden in der City Nord einzigartige Gebäude wie die BP-Verwaltungszentrale oder der Unternehmenssitz der damaligen Hamburgischen Electricitäts-Werke, der nach Plänen von Arne Jacobsen von 1966 an erbaut und 1969 von den Mitarbeitern bezogen wurde.

Zudem trafen die Stadtplaner damals Entscheidungen, die der City Nord heute gegenüber anderen Bürostandorten zum Vorteil gereichen. „Vergleichen Sie mal die City Nord mit der City Süd“, sagt Andreas Rehberg von Grossmann & Berger. „Sie werden feststellen, wie viel grüner die City Nord ist und wie groß der Abstand zwischen den einzelnen Bürokomplexen ist.“

Die Stadtplaner sorgten für genügend Abstand zum Nachbargebäude

Der Grund dafür liegt in den Festlegungen der Stadtplaner in den 50er- und 60er-Jahren. Sie verlangten, dass die Größe eines Grundstücks mindestens 8000 Quadratmeter umfassen musste. Zudem galt: Der Abstand eines Gebäudes zur Grundstücksgrenze musste mindestens die halbe Gebäudehöhe betragen. Nicht zuletzt gab es Vorgaben für Pkw-Stellplätze und die Anordnung, dass der Fußgängerbereich vom Straßenverkehr getrennt sein musste.

Da die Stadtplaner eine „Bürostadt im Grünen“ wollten, wurden den Bauherren auch in Bezug auf die Grünflächen Vorgaben gemacht. 35 Prozent der Grundstücke – später nur noch 25 Prozent – wurden für Grünflächen reserviert. Wer heute ein Luftbild der City Nord betrachtet, kann die grüne Achse zwischen dem östlichen und dem westlichen Teil des Viertels nicht übersehen. Und trotzdem begegnet einem in Hamburg viel Skepsis, wenn man über die City Nord spricht. Die Zweifel rühren in erster Linie aus der Entwicklung zum Ende des vergangenen Jahrhunderts. In der Arbeitswelt ging der Trend weg von Großraumbüros hin zu kleineren Arbeitsflächen. Großunternehmen erlebten zudem interne Umstrukturierungen, Zentralisierungen, Umzüge in andere Städte und Fusionen.

Hinzu kam, dass viele der in den 60er- und Anfang der 70er-Jahre errichteten Bürogebäude nicht mehr den Anforderungen der modernen Arbeitswelt entsprachen. Sie waren im Unterhalt viel zu teuer und genügten nicht modernen Anforderungen des Umweltschutzes. Nicht zuletzt geriet die ursprüngliche Idee, Wohnen und Arbeit zu trennen, in Verruf, weil dadurch das Verkehrsaufkommen in den Städten überdurchschnittlich stieg. Die City Nord litt zusätzlich darunter, dass die in den 60er- und 70er-Jahren geplante U-Bahn-Linie 4, die das Büroviertel mit dem Jungfernstieg verbinden sollte, nicht gebaut wurde.

All diese Gründe führten dazu, dass in den 90er-Jahren in mehreren der großen Bürogebäude der Leerstand größere Ausmaße annahm. Erschwert wurde die Lage dadurch, dass die Büroflächen weitgehend dem übrigen Immobilienmarkt entzogen waren, weil die Unternehmen sie selbst nutzten.

Das alles gehört der Vergangenheit an. Die Eigentümer der Bürokomplexe haben in den vergangenen Jahren viele Millionen Euro in die Sanierung gesteckt. Gebäude wie die Verwaltungen von Vattenfall oder der Allianz erfüllten inzwischen strengste Umweltvorgaben und suchten in anderen Bürovierteln der Hansestadt ihresgleichen, sagt Soggia. Dort, wo es möglich war, wurden die Großraumbüros zu deutlich kleineren Einheiten umgebaut.

In der Folge siedelten sich immer häufiger kleinere Unternehmen an. Zudem sind einige der rund 300 Firmen, die in der City Nord ihren Standort haben, weit über Hamburg hinaus bekannt: seien es Tchibo, die Postbank, Allianz, Signal Iduna, DEA, Edeka oder Vattenfall.

Da überrascht es wenig, dass Leerstand von Büroflächen in der City Nord aktuell kein Problem ist. Im ersten Quartal dieses Jahres verzeichnete das Immobilienunternehmen Grossmann & Berger dort einen Leerstand von 12.700 Quadratmetern. Das sind 2,4 Prozent der Flächen. Damit liegt das Geschäftsviertel unter dem Hamburg-Durchschnitt von 6,9 Prozent. Ähnlich vorteilhaft sieht es bei den Mietpreisen aus. Im Durchschnitt liegt die Nettokaltmiete hier bei 8 Euro pro Quadratmeter und damit 6 Euro unter dem Hamburger Mittel. Lediglich im Hamburger Osten werden noch geringere durchschnittliche Mieten verlangt.

Soggia hofft, dass auch der Neubau von Wohnungen die Bürostadt aufwertet. „Bislang gibt es hier 250 Wohnungen“, sagt die Projektmanagerin. „Ich möchte gerne im Zentrum Veränderungen bewirken: Sanierung, Rückbau, Öffnung zur Straße und zum Park hin, Schaffung von Sichtachsen.“ Auch wenn mit der Ansiedlung Der Wäscherei im Zentrum der City Nord vermehrt Kundschaft von außerhalb ins Viertel geholt wird, reicht das nicht aus, weitere Einzelhändler oder Restaurantbetreiber anzusiedeln.

„Mit dem Pergolenviertel entstehen nicht nur 1400 Wohnungen, die den Wohnungsmarkt in Barmbek und Winterhude entlasten werden“, sagt Hamburgs Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau. „Wenn dort mehrere Tausend Menschen wohnen, wird das auch die benachbarte City Nord zusätzlich beleben und dafür sorgen, dass sie mit Barmbek zusammenwächst.“

Die Nachfrage nach Wohnraum in angrenzenden Vierteln ist sehr hoch

Die Stadtentwickler sprechen daher von einem Lückenschluss zwischen Barmbek-Nord und der City Nord. Die Hoffnungen der City Nord ruhen darauf, dass zwischen dem geplanten Wohnviertel und dem Büroviertel keine Barrieren wie Hauptverkehrsstraßen oder Bahngleise existieren.

Zudem hat die gestiegene Nachfrage nach Wohnraum cityfernere Viertel erreicht. Gleich mehrere, jüngst veröffentlichte Studien fanden heraus, dass Barmbek und Alsterdorf inzwischen zu Hamburgs bevorzugten Wohnlagen gehören, in denen Baulücken geschlossen und weitere Wohnungsbauflächen erschlossen werden. Die Bebauung eines Teils der Fläche des Barmbeker Krankenhauses ist ein gutes Beispiel dafür.

Selbst der Bau einer erheblichen Zahl von Wohnungen im Quartier ist inzwischen ein Thema. Wie es heißt, gibt es Überlegungen, auf dem Gelände des ehemaligen Postgebäudes, das einem israelischen Investor gehört und wohl nicht zu halten ist, Wohnungen zu errichten. Damit aber ist die ursprüngliche Idee, in der City Nord Wohnen und Arbeiten zu trennen, obsolet und eröffnet dem Quartier die Chance, zu einem „normalen Stadtteil“ zu werden.

Andreas Rehberg sieht in dem Neubau von Wohnungen eine gute Möglichkeit für die City Nord. „Es gibt bereits Gespräche mit Unternehmen, die im Lebensmitteleinzelhandel tätig sind.“

Das alles sind Projekte der Zukunft. Real ist, dass das ehemalige BP-Gebäude in den kommenden Monaten abgerissen wird. Ende dieses Jahres soll mit dem Bau eines Hotels begonnen werden, heißt es von dem zuständigen Projektentwickler TAS KG. Entstehen soll ein Viersternehotel der Intercontinental Hotels Group (IHG) mit fast 300 Zimmern. Unmittelbar daneben ist ein Bürogebäude mit bis zu 40.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche geplant. Sylvia Soggia jedenfalls macht drei Kreuze, wenn die Arbeiten begonnen haben. „Ein weiteres Hotel wäre ein wichtiger Ankerpunkt für die City Nord.“ Und ein Zeichen, dass dem Viertel eine gute Zukunft bevorsteht.