Angela Merkel, im Elim als Tochter eines Pfarrers geboren, kommt zum Evangelischen Kirchentag in ihre Geburtsstadt. Die Bundeskanzlerin freut sich auf eine “vorbildliche Atmosphäre der Offenheit und Toleranz“, auf gemeinsame Gebete und Diskussionsrunden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kommt am morgigen Freitag in die Hansestadt und diskutiert mit der Leiterin des Uno-Entwicklungsprogramms, Helen Clark, über die "Schöpfung in der globalisierten Welt". Ein Gespräch mit der Regierungschefin und Pfarrerstochter über Glauben, Werte und ihr Selbstverständnis als Christin.

Hamburger Abendblatt: Was bedeutet Ihnen "Soviel du brauchst", die Losung des Kirchentages?
Angela Merkel: Es ist eine Losung, die jeden ganz persönlich zum Nachdenken, etwa über Konsum und Besitz, herausfordert. Als Politikerin verstehe ich sie vor allem als Aufforderung zu nachhaltigem Handeln: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass nachfolgende Generationen mindestens genauso gute Lebensbedingungen vorfinden wie wir heute. Wir dürfen nicht mehr Ressourcen verbrauchen, als wir unbedingt benötigen.

Kommen Sie nur als Bundeskanzlerin zum Kirchentag oder auch als Christin und Protestantin?
Merkel: So trenne ich das nicht. Ich betreibe Politik auf der Basis meines christlichen Menschenbildes. Mein Glaube vermittelt mir Maßstäbe für meine Entscheidungen, nicht nur für die privaten.

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Spielt es für Sie eine Rolle, dass der Kirchentag in Ihrer Geburtsstadt Hamburg stattfindet?
Merkel: Ich freue mich immer, wenn ich Gelegenheit habe, nach Hamburg zu kommen. Die hanseatische Weltoffenheit und die große Bürgertradition der Stadt lassen Veranstaltungen erwarten, die die Welt als Ganzes im Blick haben. Ich halte das angesichts der globalen Herausforderungen, die wir nur gemeinsam bewältigen können, auch für sehr wichtig. Dass außerdem Ökumene und interreligiöser Dialog einen Schwerpunkt bilden, passt zu einer religiös so vielfältigen Metropole.

Welches war Ihr bisher eindrucksvollstes Kirchentags-Erlebnis?
Merkel: Ich besuche seit vielen Jahren Kirchentage, die Faszination kann ich nicht auf ein einziges Erlebnis beschränken. Mich beeindruckt immer wieder, mit welcher Ernsthaftigkeit und Freude Menschen bei Kirchentagen diskutieren und beten - und zwar in einer Atmosphäre der Offenheit und Toleranz, die vorbildlich ist. Jedes Mal, wenn ich den Kirchentag besuche, bin ich aber auch wieder aufs Neue beeindruckt, wie stark sich Christinnen und Christen weltweit engagieren.

Sie werden über die Schöpfung in der globalisierten Welt diskutieren. Was verstehen Sie unter der Schöpfung und welche Bedeutung hat sie für Sie?
Merkel: Uns ist die Schöpfung anvertraut. Wir müssen uns deshalb immer wieder fragen, wie wir mit ihr umgehen dürfen, umgehen müssen. Unsere Verpflichtung ist es, die Schönheit und den Reichtum der Erde und damit auch die Lebensgrundlagen der gesamten Menschheit langfristig zu bewahren. Wir selbst sind aber auch Geschöpfe Gottes. Das heißt, wir führen ein Leben in Gemeinschaft, in gegenseitiger Verantwortung füreinander. Das beginnt damit, dass alle Menschen die gleiche Würde besitzen - egal, woher sie kommen, wie sie aussehen, was sie können, was sie denken. Für Menschenwürde und Menschenrechte weltweit ein Bewusstsein zu schaffen, das ist eine der wichtigsten Aufgaben, die wir haben.

Hat Ihnen der Glaube schon einmal geholfen, schwierige Entscheidungen zu treffen und zu tragen?
Merkel: Ja. Der Glaube gibt Kraft und Zuversicht, weil man weiß, man muss nicht perfekt sein, man darf auch Fehler machen.

Taugen die Zehn Gebote und das Prinzip der Nächstenliebe noch als moralischer Kodex für politisches Handeln?
Merkel: Weder die Zehn Gebote noch das Prinzip der Nächstenliebe haben an Bedeutung und Aktualität verloren. Allerdings kann man aus der Bibel keine konkrete Politik ableiten. Für mich - wie gesagt - ist das christliche Menschenbild Grundlage meines politischen Handelns, insbesondere wenn es um den Schutz des menschlichen Lebens geht, ob am Anfang oder am Ende. Aber natürlich kommen auch Christinnen und Christen in vielen Fragen untereinander zu sehr unterschiedlichen Auslegungen und können wunderbar miteinander politisch streiten.

Mischen sich die evangelische und katholische Kirche Ihrer Meinung nach zu viel in die Politik ein?
Merkel: Viele erwarten ja geradezu von den Kirchen, dass sie sich auch zu aktuellen Fragen äußern. Kirchen bereichern damit die gesellschaftliche Diskussion. Ich begrüße das. Das politische Engagement sollte die Rolle der Kirchen als Gemeinschaften des Glaubens dabei natürlich nicht überlagern.