Menschen mit psychischen Problemen haben oft auch körperliche Symptome. In der Therapie lernen sie, ihre Erkrankung zu verstehen.

Als Anne M.* vor vier Jahren ihre Heimat in Süddeutschland verließ und nach Hamburg zog, wurde es besonders schlimm. Nach Schicksalsschlägen wie Trennungen und Todesfällen hatte sie bereits die vergangenen zehn Jahre unter Depressionen gelitten. Nun kamen jedoch Schlafstörungen und viele andere Beschwerden hinzu. "Ich hatte vor allem Angst und bin jede Nacht mit Panikattacken und Atemnot in der Wohnung umhergelaufen", erzählt sie. Dazu kamen Schwindelattacken, die Angst davor, umzufallen und sich nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Die 46-Jährige bekam Essstörungen mit Appetitlosigkeit und Erbrechen, sodass sie in vier Monaten 30 Kilogramm abnahm. Sie fühlte sich so elend, dass sie nicht mehr leben wollte.

Ihr Hausarzt überwies sie in eine Klinik. Danach nahm eine Freundin sie bei sich auf, und Anne M. kam langsam wieder auf die Beine. "Ich habe eine eigene Wohnung gefunden, einen tollen Mann kennengelernt". Doch das Glück war nicht von Dauer. "Ich bin immer wieder abgestürzt, habe nächtelang geweint und immer gedacht, ich bin nichts wert." Auch die körperlichen Symptome wie Durchfall, Erbrechen und Schwindelattacken machten ihr schwer zu schaffen.

Die vielen unterschiedlichen Beschwerden von Anne M. sind ein typisches Beispiel für psychosomatische Störungen. "Die Psychosomatik kümmert sich um Erkrankungen, bei denen sowohl körperliche wie auch seelische Symptome auftreten, die Wechselwirkungen zwischen Körper und Seele", sagt Prof. Bernd Löwe, Direktor der Klinik für Psychosomatik am Universitätsklinikum Eppendorf und an der Schön Klinik Hamburg-Eilbek. So sei zum Beispiel auch bekannt, dass eine Depression das Risiko erhöhe, einen Herzinfarkt zu erleiden oder sich eine Infektion zuzuziehen.

Das Seelenleben kann sogar die Erbanlagen beeinflussen. "Wir wissen, dass Erfahrungen von Vernachlässigung dazu führen, dass sich die Gene ändern. Ratten, die bei liebevollen Müttern aufwachsen, entwickeln einen anderen genetischen Code als die, die vernachlässigt wurden", sagt Löwe. Ein weiteres Beispiel: Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft extremen Stress hatten, wie zum Beispiel die Trennung von einem Partner, haben nach heutigem Kenntnisstand ab dem Alter von 25 Jahren ein erhöhtes Risiko, einen Diabetes oder eine Fettsucht zu entwickeln. Auf der anderen Seite können auch körperliche Erkrankungen auf die Seele schlagen. "Wenn jemand aufgrund einer Erkrankung seiner Rolle als Familienvater oder Anforderungen im Beruf nicht mehr gerecht werden kann, kann das auch in eine Depression oder Angststörung münden", sagt Löwe.

Neben der Depression, die von Müdigkeit, Energielosigkeit, Schmerzen in Form von Rücken- oder Gelenkschmerzen, Verdauungsbeschwerden und Schwindel begleitet sein kann, befasst sich die Psychosomatik auch mit der Hypochondrie, der Angst, eine schwere Krankheit zu haben, und sogenannten somatoformen Störungen, also körperlichen Beschwerden, für die sich keine organische Ursache findet. Das können zum Beispiel Magen-Darm-Beschwerden, Rücken- oder Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, unklare Bauchschmerzen, Übelkeit, Schwindel oder Lähmungen sein. Solche somatoformen Störungen treten bei fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung auf. An einer Hypochondrie leiden etwa zwei Prozent, an einer Angststörung oder Depression jeweils fünf Prozent. Die Ursachen für psychosomatische Störungen sind vielfältig: "Es kann eine Veranlagung bestehen. Risikofaktoren sind auch eine belastende Kindheit, Misshandlungen und Missbrauch. Und dann kommt in der Regel ein aktueller Auslöser hinzu. Das kann zum Beispiel eine schwere persönliche Krise sein", sagt Löwe.

Um die richtige Diagnose zu stellen, führt der Arzt ein ausführliches Gespräch mit dem Patienten, um herauszufinden, unter welchen Beschwerden er genau leidet. Es wird abgeklärt, was bisher an Diagnostik und Therapie gemacht wurde. "Dann folgt ein Gespräch über die psychische und die soziale Situation, um mögliche Auslöser zu finden." Wichtig ist auch, körperliche Erkrankungen auszuschließen und zu überprüfen, wie jemand mit seiner Erkrankung umgeht. "So wird jemand, der eine Erkrankung der Herzkranzgefäße hat, seinen körperlichen Beschwerden wesentlich weniger Aufmerksamkeit zukommen lassen als Patienten mit somatoformen Herzbeschwerden. Diese achten viel mehr darauf, horchen viel mehr in sich hinein und sind durch ihre Erkrankung sehr viel stärker eingeschränkt. Das heißt aber nicht, dass diese Patienten ihre Beschwerden simulieren. Sie fühlen sich krank."

Anne M. brauchte lange, bis sie endlich professionelle Hilfe suchte. Auf Drängen ihrer Freunde, die ihr immer wieder sagten, sie müsse etwas machen, um wieder auf die Beine zu kommen, vereinbarte sie schließlich einen Termin in der Psychosomatischen Abteilung in der Schön Klinik Eilbek. "Wenn ich gewusst hätte, wie krank ich bin und dass ich es nicht allein schaffe, aus meinem Tief wieder herauszukommen, hätte ich das viel früher gemacht."

Für die Behandlung der psychosomatischen Störungen werden unterschiedliche Verfahren der Psychotherapie eingesetzt, wie die kognitive Verhaltenstherapie, tiefenpsychologische Verfahren und die Familientherapie, in denen aktuelle Konflikte und schwere Kindheitsbelastungen bearbeitet werden. Am Anfang steht die sogenannte Psychoedukation, bei der der Patient über seine Beschwerden aufgeklärt wird. "Bei den somatoformen Störungen versuchen wir dann zum Beispiel, mit dem Patienten ein gemeinsames Modell zu entwickeln, wie Beschwerden entstehen und verstärkt werden. Die Patienten lernen, mit ihren Beschwerden umzugehen." Medikamente helfen bei somatoformen Störungen nur bedingt. "Es können in manchen Fällen Antidepressiva gegeben werden, Psychotherapie hat aber im Vergleich dazu eine bessere Wirksamkeit."

Anne M. hat der neunwöchige Aufenthalt in der Klinik gutgetan. "Die Therapeuten haben mir ein Verständnis für mich selbst geschenkt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar." Sie fühlte sich dort ernst genommen, geschützt und geborgen. "Heute weiß ich, dass ich eine schwere depressive Episode hatte und an einer Borderline-Störung leide, und ich finde jetzt auch Erklärungen dafür, warum ich alles so anders fühle als andere Menschen." Anne M. hat jetzt wieder Kraft. Sie will sich ein neues Leben aufbauen, in ihre alte Heimat zurückkehren und wieder mit Pferden arbeiten. Ihre körperlichen Symptome haben sich gebessert. "In der Klinik habe ich Werkzeug an die Hand bekommen, wie ich mir selbst helfen kann. Ich spüre heute auch, wann es mir zu viel wird. Ich bin jetzt auf einem guten Weg und erobere mir mein Leben Stück für Stück zurück." Die 46-Jährige wird jetzt noch eine ambulante Psychotherapie machen und möchte in einer Hilfsorganisation für Kinder mitarbeiten. "Ich möchte der Welt gern etwas von dem zurückgeben, was ich bekommen habe."

* Name von der Redaktion geändert

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