Die Anklage im Fall Chantal lautet auf fahrlässige Tötung. Die Elfjährige war in einer Pflegefamilie an einer Methadonvergiftung gestorben.

Wilhelmsburg. Der Tod der elfjährigen Chantal durch eine Methadonvergiftung in einer Wilhelmsburger Pflegefamilie schockierte nicht nur die Menschen in der Hansestadt, sondern sorgte im Januar bundesweit für Entsetzen. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die Pflegeeltern Wolfgang A. und Sylvia L. Anklage wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht erhoben. Das geht aus einem Schreiben der Justizbehörde an den Jugendhilfeausschuss Hamburg-Mitte hervor, das dem Hamburger Abendblatt vorliegt.

Den Pflegeeltern droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Wann der Prozess gegen Wolfgang A. und Sylvia L. beginnt, steht noch nicht fest.

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Mitarbeiter des Jugendamts im Bezirk Mitte und des Trägers Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen (VSE) wegen des Verdachts der Verletzung der Fürsorgepflicht dauern an. Es wird insgesamt gegen sechs Personen ermittelt. Das bestätigte Oberstaatanwalt Wilhelm Möllers dem Abendblatt.

+++Der Fall Chantal +++

+++ Der Fall Lara Mia +++

Die elfjährige Chantal war am 16. Januar in der Wohnung ihrer drogenabhängigen Pflegeeltern an der Fährstraße gestorben. Der Tod des Mädchens löste Bestürzung aus. Skandalös war, dass es überhaupt seit 2008 zu einer Unterbringung in dieser Familie kommen konnte. Das hatte Konsequenzen: Die Jugendamtsleiterin wurde suspendiert, wenig später trat der damalige Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) nach massivem öffentlichen Druck zurück. Die Bürgerschaft richtete einen Sonderausschuss ein. Der langjährige Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses Hamburg-Mitte, Johannes Kahrs (SPD), stellte sein Amt zur Verfügung.

Die Innenrevision der Finanzbehörde erstellte einen 72 Seiten langen Bericht, in dem die Umstände für den Tod des Mädchens untersucht wurden. In diesem kamen die Prüfer zu dem Schluss, dass es niemals zu einem Pflegeverhältnis hätte kommen dürfen. Den Bericht stellte die Finanzbehörde Ende Juni ins Internet, allerdings sind zahlreiche Passagen aus Datenschutzgründen geschwärzt. Und genau wegen dieses Berichts gibt es jetzt Streit zwischen dem Jugendhilfeausschuss Hamburg-Mitte und der Finanzbehörde. Die Finanzbehörde verweigert dem Ausschuss eine "ungeschwärzte" Fassung des Berichts. Der Ausschussvorsitzende Ralf Neubauer (SPD) bezeichnet das Verhalten der Finanzbehörde als "nicht akzeptabel" und kritisierte: "Wenn der Jugendhilfeausschuss die für seine Arbeit erforderlichen Informationen weiterhin nicht bekommt, kann er seine Arbeit auch gleich ganz einstellen und im Gegenzug die politische Verantwortung im Rathaus abgeben."

+++ Fall Chantal: Vorwürfe gegen den ASD +++

Die Finanzbehörde weist jede Kritik zurück: "Es gibt keinen Anspruch auf Einsicht in Berichte der Innenrevision", sagte Sprecher Daniel Stricker. Nach eingehender Prüfung stehe der Sozialdatenschutz einer Übermittlung des weitgehend ungeschwärzten Berichts an den Jugendhilfeausschuss des Bezirksamtes Hamburg-Mitte entgegen, so Stricker.

Interessant ist allerdings, dass der Sonderausschuss der Bürgerschaft eine weitgehend ungeschwärzte Fassung bereits im Juni erhalten hat. Das bestätigt Stricker und sagt: "Der Bericht wurde nur unter Zusicherung der vertraulichen Behandlung der Bürgerschaft zur Verfügung gestellt, die eine besondere verfassungsrechtliche Stellung innehat. Dazu sei der Senat im Übrigen rechtlich nicht verpflichtet gewesen." Doch diese Begründung lässt Ralf Neubauer nicht gelten: "Der Senat wird erklären müssen, warum dem für das Jugendamt Mitte gesetzlich und politisch zuständigen Ausschuss die Informationen vorenthalten werden, die der Sonderausschuss bekommt." Andy Grote (SPD), Bezirksamtsleiter Hamburg-Mitte, bezeichnete das Verhalten der Finanzbehörde als unglücklich: "Wenn der Sonderausschuss diesen Bericht weitgehend ungeschwärzt erhält, sollte das auch, natürlich nur vertraulich, dem Jugendhilfeausschuss zur Verfügung gestellt werden."

+++ Fall Chantal - Jugendamt Wilhelmsburg hat versagt +++

Der Ausschuss hatte nach einem entsprechenden Beschluss bereits Ende Juni den Bericht angefordert: "Eine schriftliche Stellungnahme der Finanzbehörde haben wir bis heute nicht erhalten, obwohl die Sechs-Wochen-Frist für die Antwort längst verstrichen ist", sagte Neubauer. Er habe am vergangenen Freitag lediglich durch das Büro von Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) mitgeteilt bekommen, dass der Ausschuss den Bericht nicht wie gewünscht erhalten werde.