Stillstand auf den Straßen, verspätete Züge, gestrichene Flüge - wer vor Heiligabend reisen will, ist in Sorge, ob und wann er ankommt.

Hamburg. Er ist abgekämpft und todmüde. Aber auch glücklich, endlich am Ziel zu sein. Alexander Sokolkov stehen die Strapazen ins Gesicht geschrieben: Der 54-Jährige war am Sonnabendabend in Moskau aufgebrochen, um seine Familie über Weihnachten in Hamburg zu besuchen - doch erst am Montag, um 14 Uhr, kann er seine Tochter Jelena, 19, am Hamburger Hauptbahnhof in die Arme schließen.

Alexander Sokolkov hat eine Odyssee hinter sich: Mit dem verspäteten Flieger aus Moskau geht es nach Wien, dort erwischt er ein Flugzeug zum verschneiten Flughafen in Amsterdam. Dann fällt der Zug Richtung Hamburg aus. Sokolkov muss drei Stunden warten. Beim Umsteigen in Osnabrück der nächste Schock: Die Bahn nach Hamburg hat 198 Minuten Verspätung. Am Nachmittag ist er endlich am Ziel. "Wenigstens hat ihm die Bahn die Hälfte der Kosten erstattet", sagt seine Tochter.

Die Irrfahrt durch Europa ist ein Extrem-, aber kein Einzelfall. Auch gestern lähmten Schnee und Eis den Bahn-, Flug- und Autoverkehr in und um Hamburg, verspäteten sich Züge um bis zu zwei Stunden, fielen Flüge von und nach Hamburg aus, krachte es auf den Straßen, waren Benzin und Diesel an einigen Tankstellen ausverkauft, weil aufgrund der Glätte die Tanklastzüge nicht ausliefern konnten. Die A 1 war nach einem Unfall bei Barsbüttel in Richtung Hamburg stundenlang gesperrt, auch auf der A 7 gab es Behinderungen. Ein Vorgeschmack auf die Reisesituation zu Weihnachten?

Eine Sorge, die berechtigt ist. "Wenn das Wetter zu Weihnachten so bleibt, wenn es heftig schneit", sagt Dirk Pohlmann von der Deutschen Bahn, "dann müssen sich Reisende auf längere Wartezeiten einstellen." Auch gestern hatte die Bahn nach eigenen Angaben alle verfügbaren Züge und Servicekräfte im Einsatz. Die Situation sei "angespannt" und "fordernd", die Bahnen seien in der Regel "sehr voll", sagt Pohlmann - auch weil Fluggäste auf die Bahn ausgewichen seien. Zusätzlich wirbelte die witterungsbedingte Tempodrosselung der Fernzüge den Fahrplan durcheinander. Besonders betroffen seien nach wie vor die Strecken in den Süden oder Osten der Republik.

Weniger schlimm habe es den Nahverkehr mit Verspätungen von 15 bis 30 Minuten erwischt. Auf der Linie S 3 gab und gibt es die größten Behinderungen: Die Fahrgäste müssen in Neugraben umsteigen, weil es wie im vergangenen Winter Probleme mit den Stromschienen gibt. "Wir werden dieses Problem einmal mehr mit dem Hersteller erörtern", sagt Pohlmann. Und verspricht keine schnelle Besserung. Für Fernreisen empfiehlt der Bahnsprecher Flexibilität: "Der Hauptreisetag ist der 23. Wir empfehlen, auf den 22. oder 24. Dezember auszuweichen. Ansonsten sollte man einen Sitzplatz reservieren - und mehr Zeit einplanen."

Auch der Flughafen kann noch keine Entwarnung geben. "Es hängt nur davon ab, ob es schneit, vor allem an den Drehkreuzen", sagt Flughafen-Sprecherin Katja Tempel. 36 Starts und Landungen mussten gestern gestrichen werden, Verbindungen nach London, Paris, Manchester - vor allem aber zum eingeschneiten Großflughafen Frankfurt. Die schlechte Nachricht: Schon am Mittwoch soll es laut Seewetteramt wieder schneien. Die gute: Eine weiße Weihnacht sei "sehr wahrscheinlich".

Die Sorge, ob und wie er nach Hause kommt, treibt auch Jan-Philipp Cleusters um. Der 18-Jährige ist genervt. Gestern Morgen in Kiel aufgebrochen, trudelt sein Zug mit 70 Minuten Verspätung im Hauptbahnhof ein. "Man muss sich so viel von der Bahn gefallen lassen", sagt der Koch in Ausbildung, "und dann zahlt einem die Bahn bei einer Verspätung zwischen einer und zwei Stunden lediglich 25 Prozent des Ticketpreises." Mehr bewegt ihn aber die Frage: "Wie komme ich heute bloß nach Münster ohne Verspätung?"

Janine Marenka nimmt es gelassen. Nur eine Stunde unfreiwilliger Aufenthalt in Osnabrück - da können andere Reisende noch viel extremere Geschichten erzählen. "Ich dachte nur: Ich lass es auf mich zukommen", sagt die 34-jährige Arztsekretärin lakonisch. Weihnachten will sie bei ihrer Schwester in Hagenow bei Schwerin verbringen. "Hauptsache, ich komme dorthin - egal wie!"