Die SPD fragt, ob die Stadt Hamburg ihrer Räumpflicht überhaupt noch nachkommt. Die Feuerwehr mußte gestern Vormittag 337 Mal ausrücken.

Hamburg stolpert, rutscht und schlingert seit fast sechs Wochen über eisverkrustete Wege. Die Feuerwehr ist angesichts der zahlreichen Unfälle an ihre Grenzen gestoßen: Allein zwischen 8 und 13 Uhr rückten die Rettungskräfte gestern zu 337 Notfalleinsätzen aus - und mussten dafür 18 Rettungswagen bei anderen Hilfsorganisationen ausleihen sowie Löschfahrzeuge kurzfristig außer Dienst stellen, um deren Besatzungen auf die zusätzlichen Wagen zu verteilen. Gestern war nach Angaben eines Sprechers "einer der extremsten Tage seit Langem, schlimmer noch als vorgestern". Am Mittwoch waren die Retter insgesamt 880 Mal ausgerückt, normal sind 630 Einsätze.

Das "Eis-Chaos" ist jedoch nicht mehr nur ein Thema von der Straße, sondern ein Politikum: Die SPD-Bürgerschaftsabge-ordneten Jan Balcke und Karin Timmermann haben eine Kleine Anfrage gestellt. Kernpunkt: Kommt die Stadt ihren Verpflichtungen noch nach?

"Der Senat nimmt offensichtlich seine Verpflichtung zur Schnee- und Eisbeseitigung nicht mehr wahr", sagt Jan Balcke. Wenn sich ältere Menschen nicht mehr auf die Straße trauen, dann sei das "unhaltbar": "Der Senat ist verpflichtet, die öffentlichen Wege und Plätze zu sichern." Auch innerhalb der Baubehörde regt sich Kritik. Nur eine fachliche Weisung der Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL) an die Bezirke könne das Chaos beseitigen. Das Eis müsse endlich weggehackt werden - andernfalls ergebe sich die Stadt in eine "Kapitulation vor dem Winter", hieß es.

Die SPD-Anfrage besteht aus 30 Fragen, die klären sollen, wer "formal und faktisch" für die Eisräumung zuständig und "federführend" verantwortlich ist. Im Blickpunkt stehen die Eisplatten auf den Gehwegen ("Warum werden die nicht entfernt?") und auf den Radwegen ("Dürfen Radfahrer auf die Fahrbahn ausweichen?").

Ein weiterer Punkt ist das "Kompetenz-Wirrwarr" zwischen Bezirken, Fachbehörden und privaten Räumdiensten. Balcke: "Dabei geht die Verkehrssicherheit unter." Auch müsse geprüft werden, ob die Vergabe der Räumung an Privatfirmen richtig sei. Die Bezirke müssten finanziell und personell so aufgestellt sein, dass die Stadt ihrer Räumpflicht nachkommen könne. Während im Bezirk Mitte die Mitarbeiter des Bezirklichen Ordnungsdienstes (BOD) Bußgelder an jene verteilen, die sich der Räumpflicht verweigern, hat der Bezirk Wandsbek gerade einmal 200 Verwarnungen ausgesprochen.

"Die Verhältnisse sind katastrophal", sagt Wolfgang Kopitzsch (SPD), Chef des Bezirks Nord. Täglich gehen "mehrere Hundert Beschwerden" ein. "Viele Eigentümer ignorieren ihre Pflicht, den Schnee zu räumen." Daran lasse sich die "Entsolidarisierung der Gesellschaft" ablesen, so der Bezirksamtsleiter. Maximal 30 Prozent der Eigentümer würden ordnungsgemäß Schnee räumen.

Doch auch die etwa 400 Meter lange Strecke vor dem Bezirksamt Nord an der Kümmellstraße ist nur unzureichend geräumt. Hintergrund: Die Stadt hat das Gebäude vor einigen Jahren an einen Investor verkauft, der folglich für die Eisräumung zuständig ist. Beauftragt hat dieser eine private Firma, die der Aufgabe jedoch nicht ausreichend nachkomme, so Wolfgang Kopitzsch. "Deshalb haben wir jetzt gegen unseren Vermieter ein Zwangsgeld von mehreren Hundert Euro verhängt." Sollte sich die Situation nicht verbessern, werde dieser Betrag "deutlich erhöht".

Insgesamt reiche das Personal nicht aus, um die Räumung der Wege zu kontrollieren: Noch vor zehn Jahren seien beim Bauhof 20 Mitarbeiter beschäftigt gewesen, heute seien es noch acht. Dazu kommen zwölf Wegewarte. Angesichts der Größe des Bezirks Nord (54 Quadratkilometer) sei dies "ein Tropfen auf den heißen Stein", so Kopitzsch. Man habe aufgestockt: 20 Mitarbeiter seien derzeit im Kontrolleinsatz.

Der Bezirk Nord selbst hat zwei Fremdfirmen beauftragt, damit Brücken und öffentliche Wege eisfrei bleiben. "Das ist nicht der Fall, deshalb haben wir Vertragsstrafen geltend gemacht." Entscheidend sei, dass die Stadt sich auf den nächsten Winter besser vorbereite. Für vorbildlich hält Kopitzsch ein Freiwilligen-Modell aus Berlin. Dort seien bereits im Sommer Arbeitslose gefragt worden, ob sie im winterlichen Härtefall für Räumarbeiten eingesetzt werden könnten.

Kritik kommt auch aus der CDU: "Hamburg war nicht optimal auf den Winter vorbereitet, das muss besser werden", sagt Verkehrsexperte Klaus-Peter Hesse.

Derweil verweisen Rechtsanwälte auf eine Regelung im Wegegesetz, die die Stadtreinigung (und damit den Steuerzahler) teuer zu stehen kommen könnte: Bei einer langen Schneephase können Eigentümer gezahlte Gebühren zurückverlangen. Das sei der Fall, wenn die Wegeräumung mehr als 45 Tage nacheinander ruht, so die Rechtsanwälte Klemm und Partner. Anwalt Thomas Lange: "Vorsorglich sollte die Stadtreinigung unter Hinweis auf die Gebührenordnung für die Reinigung öffentlicher Wege zur Erstattung aufgefordert werden."