Das Bein ist geschwollen. Ganz frisch sind die zwei 20 Zentimeter langen Narben am linken Unterschenkel. Die zweite Operation hat Thorsten Ruhle gerade hinter sich. Jetzt liegt der 39 Jahre alte Produzent mit einer komplexen Unterschenkelfraktur auf Station 4G der Unfallchirurgie der Uniklinik Eppendorf. Ein dreißig Zentimeter langer Titannagel hält den gebrochenen Knochen zusammen. Nach einem Sturz auf eisglattem Fußweg direkt vor der Haustür am Geesmoor hat es den Eppendorfer ins UKE verschlagen. Ruhle ist stinksauer. Auf den Räumdienst, der den Fußweg seit Wochen nicht von Schnee und Eis befreit hat.

So wie ihm geht es derzeit Tausenden Hamburgern. Sie rutschen auf eisglatten Straßen, nicht geräumten Fußwegen, auf Brücken und Plätzen aus und stürzen. Die Folge sind Sprunggelenks-, Handgelenks- ,Unterarm- und Schädelfrakturen.

"Wir arbeiten in 16 Stunden-Schichten an mehreren OP-Tischen gleichzeitig", sagt Oberarzt Jan Philipp Petersen (39). Rund 100 Patienten werden derzeit stationär in der Eppendorfer Unfallchirurgie betreut, während unten in der Notaufnahme ständig neue Knochenbrüche ankommen. Um dem Ansturm gerecht zu werden, hat das UKE die Bettenzahl hier von 48 auf 89 erhöht. Gleiches Bild in der Asklepios-Klinik St. Georg. "So einen Andrang von Patienten mit Knochenbrüchen habe ich seit 13 Jahren nicht mehr gesehen", sagt Oberarzt Jürgen Madert. "Allein am Wochenende hatten wir 218 Patienten in der Notaufnahme. Das ist mehr als doppelt so viel wie an normalen Wochenenden."

Auch Bärbel Brennecke gehört dazu. Die 79 Jahre alte Dame aus Harvestehude war auf dem Weg zum Isemarkt, als ihre Füße plötzlich den Halt auf dem Asphalt verloren. Mit offener Sprunggelenkfraktur wurde sie im Krankenhaus eingeliefert. Eine Operation hat sie bereits hinter sich. Morgen folgt die zweite. Gleich nebenan liegt Rentnerin Inge G. (74). Sie war nach einer Geburtstagsfeier ihrer Schwester auf dem Weg zum Schanzenbahnhof über einen Schneehaufen gestürzt. Diagnose: offene Sprunggelenkfraktur. "Ich dachte, ich hätte keinen Fuß mehr", sagt sie. "Die Schmerzen waren höllisch."

Mit Speichenfraktur des rechten Unterarms liegt Rentner Helmut Holzweißig im UKE. Der 68-Jährige war bei einem Spaziergang mit Hund Lucky durch die Stellinger Feldmark gestürzt. "Mein rechtes Handgelenk sah aus wie ein 'S'", sagt er. Inzwischen wurde der Arm operiert. In zwei Tagen will Holzweißig nach Hause. Und wieder mit seinem Hund laufen.

Patient Ruhle wird wohl noch ein paar Tage länger im UKE bleiben. Ans Laufen ist in den kommenden sechs Wochen nicht zu denken. Eine Schadensersatzklage gegen den verantwortlichen Räumdienst ist bereits in Arbeit. Auch Schmerzensgeld will er einklagen. Je nach Schwere der Verletzung könnte das für den Winterdienst teuer werden. Für einen Knochenbruch gibt es bis zu 5000 Euro.