Das 140-Millionen-Euro-Projekt wurde gestern eingeweiht. Die ersten Mieter sind eingezogen - doch ein Stück Alt-Hamburg daneben vergammelt weiter.

Auf der einen Seite brandneue, moderne Architektur. Eng gebaut, aber schick. Gebäude mit hellen Kunststeinen, Holz und Glas. Fensterreihen wie gerastert. Innenhöfe mit puscheligen Bäumen. Dazu ein Minispielplatz und eine Tiefgarage.

Auf der anderen Seite: ein letztes Stück historisches Hamburg. Eine Handvoll denkmalgeschützter Fachwerkhäuser, die zeigen, wie eng Hamburger Arbeiter einst lebten. Doch die Häuser sind dem Verfall preisgegeben. Fassaden, von denen die Platten fallen. Dazwischen: Müll. Trostlosigkeit. Schmutz. Bäume, die aus dem Mauerwerk wachsen. Blinde Fenster ohne Gardinen. Seit sieben Jahren passiert hier nichts. Nur Gerüste wurden aufgestellt, damit den Passanten nicht die bröckelnde Fassade auf den Kopf fällt. Ein bitterer Gegensatz zu den wegweisenden Zukunftsprojekten HafenCity und Elbphilharmonie.

Dort, wo einmal die Speckstraße war, prallen die städtebaulichen Gegensätze aufeinander wie an einer Demarkationslinie. Fehlt nur noch so etwas wie ein Grenzhäuschen zwischen dem vergammelnden Gängeviertel und dem neuen BrahmsQuartier, das auf dem ehemaligen Parkplatz der Axel Springer AG zwischen Kaiser-Wilhelm-Straße und Caffamacherreihe in der Neustadt entstand.

Gestern herrschte auf der einen Seite Harmonie und Zufriedenheit: Gefeiert wurde die inoffizielle Einweihung des BrahmsQuartiers, bei der auch das Brahms-Denkmal enthüllt wurde - übrigens zum zweiten Mal (siehe neben stehenden Text). Der Projektentwickler des BrahmsQuartiers präsentierte sich "richtig zufrieden", denn für das Traditionsunternehmen Aug. Prien bedeutet das 140-Millionen-Projekt einen Erfolg. "Fast alle 53 Wohnungen sind vermietet, nur fünf noch frei; und im Bürohaus sind 80 Prozent vermietet", sagte Aug.-Prien-Geschäftsführer Frank Holst.

Jenseits der schicken neuen Architektur steht im Gängeviertel nur das vertraglich abgesicherte Versprechen einer anderen Investorengruppe, die Planungen umzusetzen. Die besagen, dass zumindest einige Häuser und Fassaden erhalten werden. Alles sei auf einem guten Weg, sagte Bezirksamtsleiter Markus Schreiber. Denn die Investoren der niederländischen Hanzevast-Gruppe hätten zeitgerecht einen Bauantrag für das 50-Millionen-Euro-Projekt gestellt.

Schreiber: "Nun ist das Bezirksamt am Zug, diesen zu genehmigen." Dann kam der Bezirkschef noch auf die Rezession zu sprechen. Wenn der holländische Investor wegen der Krise nicht bauen würde, dann müsste die Stadt das Gängeviertel retten. Das klingt fast nach einem heimlichen Wunsch. Denn: "Wir müssen um jedes alte Haus in Hamburg kämpfen!", rief Schreiber und erhielt viel Szenenapplaus.

Doch unter den Festgästen waren nicht alle vom Erfolg überzeugt. "Das wird hier nur etwas, wenn man aus dem Gängeviertel eine Attraktion wie die Hackeschen Höfe in Berlin macht", sagte ein Stadtplaner. Diese Idee gab es einmal.

Doch die Stadt Hamburg hatte von Anfang an einen Fehler gemacht: Sie vergab das stadteigene Grundstück im Höchstpreisverfahren an einen Investor, der sich übernahm und jahrelang nichts zustande brachte. Erst nach zähen Verhandlungen war es den holländischen Investoren gelungen, das Projekt neu (und ohne den Anspruch auf etwas Vergleichbares wie die Hackeschen Höfe) zu entwickeln.

Das städtebauliche Ziel ist klar. Das historische Gängeviertel soll einen Kontrapunkt in der "Boomtown" Neustadt bilden. Einen Kontrapunkt zu Glas und Stahl. Was Kuscheliges.

Mit dem BrahmsQuartier wurde das erste Riesenprojekt in der "Boomtown" Neustadt fertiggestellt. Es folgen in unmittelbarer Nachbarschaft die 270 Millionen teure Sanierung und Revitalisierung des Unilever-Hauses, die bereits begonnen haben.

Neben den beiden neungeschossigen Wohntürmen im BrahmsQuartier, die der Hamburger Architekt Carsten Roth entworfen hat, steht der 26 000 Quadratmeter große neue Bürokomplex, den Aug. Prien gebaut und entwickelt hat. Investor ist auch hier die US-amerikanische Investmentfirma Carlyle. Zwei Hauptmieter werden das Quartier prägen: Esso (zurzeit 1000 Mitarbeiter in der City Nord ) wird mit seiner Zentrale im Frühjahr 2010 einziehen.

Den kompletten Nordflügel (10 000 Quadratmeter) des Büroneubaus hat die Rechtsanwaltssozietät KSP gemietet und mit 500 Mitarbeitern schon bezogen. Das BrahmsQuartier wirkt daher schon belebt.

Das fast unbewohnte Gängeviertel hingegen modert seinem Verfall entgegen. Viel Zeit bleibt nicht - irgendwann werden die Häuser nicht mehr zu retten sein.