Spanischer Gurkenproduzent will Schadenersatz wegen “voreiliger Warnung“. Gesundheitsbehörde: “Warnung war notwendig.“

Hamburg. Am 26. Mai dieses Jahres klingelte das Telefon von Antonio Lavao aus der Nähe von Malaga im Minutentakt. Nach und nach riefen alle Kunden seines Gemüsebetriebs Frunet S.L. an und stornierten ihre Bestellungen. "Egal, ob Auberginen, Tomaten oder Gurken - niemand wollte mehr etwas von der Firma haben", sagt seine Anwältin Brigitta Varadinek. "Der Schaden war enorm." Und genau für diesen Verlust soll nun die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz aufkommen. Laut "Welt" fordert das Unternehmen von der Behörde 2,3 Millionen Euro Schadenersatz. Denn Grund für die zahlreichen Stornierungen in Spanien war eine Warnung aus Hamburg. Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) nannte an diesem Tag die Bio-Salatgurken der Firma als Träger des EHEC-Erregers , der mehr als 50 Menschen das Leben kostete. Eine Fehlinformation, wie sich später herausstellte.

Vertreten wird Frunet von dem Berliner Anwaltsbüro Lindenpartners, das sich auf Wirtschaftsrecht spezialisiert hat. "Wir sind der Ansicht, dass der Sachverhalt nicht richtig ermittelt wurde, bevor man die Warnung herausgab", sagt Anwältin Brigitta Varadinek. "Zudem wäre es nicht nötig gewesen, den Firmennamen meines Mandanten zu nennen." Auch für die Verbraucher sei die Fehlinformation fatal gewesen, da sie auf eine falsche Spur geführt wurden und, sich in Sicherheit wähnend, vielleicht Sprossen verzehrt haben, die später als EHEC-Träger nachgewiesen wurden. "Man hätte einfach genauer hingucken müssen, bevor man einem Unternehmen solch einen Schaden zufügt", so Varadinek weiter. "Eine Gegenprobe mit den restlichen Gurken der Palette hätte schon ausgereicht." Denn auf denen sei der Erreger nicht nachweisbar gewesen.

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Die Firma Frunet hat zwar bereits einige Tausend Euro aus dem Entschädigungsfonds der EU erhalten, allerdings nur für die eigenproduzierte Ware. Das Kerngeschäft der Firma ist aber der Vertrieb von Waren, die sie von Landwirten aus dem Umland zukaufen. Und für Vertriebsware kommt der EU-Fonds nicht auf. Die bereits bezahlten und von den Abnehmern stornierten Waren verdarben im Lager oder wurden vernichtet. Die nun von der Behörde geforderte Summe soll diesen Verlust ersetzen.

"Die Warnung vor Gurken des Unternehmens war richtig und notwendig", sagt dagegen Rico Schmidt, Sprecher der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz. "Deswegen weisen wir die Forderung von Frunet entschieden zurück."

Auch wenn es nicht die gefährliche Form des EHEC-Erregers war, so wurde durch eine Laboranalyse der Frunet-Gurken doch ein positiver EHEC-Nachweis erbracht. "Wir vertreten weiterhin die Position, dass vor Lebensmitteln, die offenbar Verunreinigungen aufweisen, die für die Verbraucher gesundheitsgefährdend sein könnten, öffentlich gewarnt werden muss", sagt Schmidt. "Der Schutz der Gesundheit geht dabei vor wirtschaftliche Interessen der Unternehmen." Zudem sei die Vorgehensweise damals auch von der Bundesregierung und dem für Verbraucherschutz zuständigen EU-Kommissar John Dalli unterstützt worden. Die Behörde gab zudem bekannt, dass sie sich aufgrund des laufenden Verfahrens von nun an nicht mehr zu dieser Angelegenheit äußern will.

"Antonio Lavao selbst hat Verständnis dafür, dass mit dem Vorsatz, Leben zu retten, dieser Fehler passiert ist", sagt Anwältin Varadinek. Es gehe ihm nur darum, den Schaden ersetzt zu bekommen. Trotzdem ist er enttäuscht. Allerdings vom Verhalten der Stadt Hamburg nach der Pandemie. "Er bedauert sehr, dass es nie ein klärendes Gespräch oder eine Entschuldigung gab", sagt Varadinek.

Auch Hamburger Gemüseproduzenten spürten die Folgen der Gurkenwarnung. "Im schlimmsten Fall werden wir Hartz-IV-Empfänger", sagte Landwirt Gerd Wobbe Ende Mai. Sein Betrieb in Ochsenwerder produziert ausschließlich Gurken - und die wollte zu der Zeit niemand.

Heute geht es dem Betreib wieder besser. "Wir haben das verdrängt", sagt Petra Wobbe, 44. Zehn Prozent weniger als sonst beträgt ihr Gewinn in diesem Jahr. Viele Verbraucher haben im Sommer aus Verunsicherung komplett auf Gurken und Gemüse verzichtet - egal, woher. Und noch immer laufen die Geschäfte nicht wieder so wie vor der Pandemie. "Wir liegen etwa bei 75 Prozent des Niveaus von damals", sagt Wobbe. "Das große Kaufverhalten ist noch nicht zurückgekommen. Aber es geht bergauf." Zudem wurde dem Landwirtschaftsbetrieb in Ochsenwerder ein Drittel seines Verlusts von der Stadt erstattet. "Aber das bekommen ja nur die Produzenten", gibt Wobbe zu bedenken. Dabei habe auch der Handel schwer unter der Sache gelitten. "Aber ich will nicht klagen. Wir wollen positiv denken." Für die Warnung vor Gurken hat sie trotz aller optimistischen Gedanken noch immer kein Verständnis: "Das wurde alles zu sehr aufgebauscht."