EU verhängt Importstopp für Bockshornklee-Samen. Ermittlungen gegen Biohof in Bienenbüttel eingestellt

Hamburg. Fast zwei Monate hat der unheimliche EHEC-Erreger Deutschland in Atem gehalten - jetzt ist der Ausbruch aufgeklärt: Aus Ägypten importierte Bockshornklee-Samen haben mit hoher Wahrscheinlichkeit die Erkrankungswelle in Deutschland ausgelöst. Das hatten bereits vergangene Woche zwei EU-Behörden vermutet; Fahnder einer eigens gegründeten deutschen Task Force konnten diesen Verdacht jetzt bestätigen, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gestern in Berlin mitteilten.

Der ägyptische Landwirtschaftsminister hatte zuletzt ausgeschlossen, dass Produkte aus seinem Land die Ursache der EHEC-Ausbrüche in Deutschland und Frankreich seien. Dennoch plant die EU-Kommission einen Importstopp: Vorerst bis Ende Oktober sollen keine Bockshornklee-Samen und weitere Sprossensamen aus Ägypten in die EU eingeführt werden.

Noch ist die Gefahr aber nicht vorüber: Womöglich seien mit EHEC kontaminierte Sprossensamen weiterhin im Umlauf, so die Behörden. Deshalb gelte weiter die Empfehlung, keine Sprossensamen und rohen Sprossen zu verzehren, auch keine selbst gezogenen; alte Sprossensamen und Samenmischungen sollten Verbraucher entsorgen. Bockshornklee-Samen können in Curry, eiweißhaltigen Fitnesspulvern und Käse enthalten sein. Auch werden sie häufig für die Zubereitung von saurem, eingelegtem Gemüse benutzt. Bisher gebe es aber keine konkreten Hinweise, dass solche Produkte durch verunreinigte Bockshornklee-Samen verseucht wurden, so die Behörden.

Mit der Enthüllung der Infektionsquelle geht eine aufwendige Suche zu Ende: Als am 20. Mai die ersten Erkrankungen im Norden öffentlich bekannt wurden, verfolgten bereits sogenannte Ausbruch-Teams des RKI die Spur des Erregers in Hamburg. Am 25. Mai identifizierte der Münsteraner Forscher Helge Karch den Keim als Typ O104:H4 und entwickelte einen Schnelltest. Doch selbst als Hamburger Forscher Anfang Juni das Erbgut des Keims entschlüsselten, blieb unklar, woran sich bis dahin Hunderte von Betroffenen angesteckt hatten. Salat, Gurken und Tomaten galten als mögliche Quelle, dann fiel der Verdacht auf Sprossen.

Die RKI-Fahnder, längst bundesweit im Einsatz, werteten Lieferlisten aus, verfolgten Vertriebswege und konnten schließlich nachweisen, dass ein Biohof im niedersächsischen Bienenbüttel Sprossen an 41 Orte geliefert hatte, an denen es zu einem EHEC-Ausbruch kam. Dabei nutzte der Hof für die Sprossenproduktion offenbar zwei mit O104:H4 verseuchte Samenchargen, die er über mehrere Zwischenhändler aus Ägypten bezog. Die erste Charge stammt den Ermittlern zufolge aus dem Jahr 2009 und steht mit den im Juni dieses Jahres in Frankreich aufgetretenen EHEC-Fällen in Verbindung. Eine 2010 hergestellte Charge aus Ägypten nutzte der Hof offenbar im April und Mai 2011; die so gezogenen Sprossen sollen für viele Erkrankungen in Deutschland verantwortlich sein.

Die Geschäftsführer des Hofes können seit gestern aufatmen, denn die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat ihre Ermittlungen in dem Fall eingestellt. Es hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Geschäftsführer früh von einer Verunreinigung gewusst und die Sprossen trotzdem weiter vertrieben hätten. Da sie die gesetzlichen Anforderungen im Lebensmittelbereich erfüllt hätten und es eine Verpflichtung zur Überprüfung auf EHEC-Erreger nicht gebe, sei ihnen weder vorsätzliches noch fahrlässiges Verhalten nachzuweisen. Dennoch bleibt der Hof gesperrt. "Erst wenn alle Untersuchungen in Niedersachsen abgeschlossen sind, werden wir den nächsten Schritt machen", sagte eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums in Hannover.

Durch die Rückverfolgbarkeit von Lieferwegen sei es jetzt möglich, restliche Chargen ganz zu entsorgen, so die Behörden. Konkret schicken die Bundesländer Lebensmittelkontrolleure zu Vertriebsunternehmen und Geschäften, die beliefert worden sein könnten.

Die Erkrankungen an EHEC und dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) seit Mai sind der größte derartige Ausbruch, den es hierzulande je gab; in Bezug auf die HUS-Fälle ist es der weltweit größte Ausbruch. Bisher sind 4086 EHEC- und HUS-Fälle gemeldet worden; 49 Betroffene starben. Obwohl die Epidemie weiter abebbt, sei auch künftig mit Erkrankungen durch O104:H4 zu rechnen, so die Behörden.