Kürzung der Ein-Euro-Jobs: Einrichtungen wie Samt + Seife in Steilshoop und der Mittagstisch der Kaffeekanne in Jenfeld stehen vor dem Aus.

Hamburg. Die Kinder kommen in Grüppchen. Sie quietschen und lachen - die Schulranzen fliegen in die Ecke - dann laufen sie zur Theke. Zu Ewa. Die Grundschule ist geschafft für heute. Jetzt ist Mittagszeit. Für 50 Cent reicht Ewa Pabian jedem Kind eine Portion Würstchen mit Sauerkraut und Kartoffelpüree über die Theke. Es gibt Saft aus bunten Bechern, Kiwi als Nachspeise und liebe Worte. "Keine Sorge, dass sind Geflügelwürstchen", sagt Ewa zu einer kleinen Muslima, die kein Schweinefleisch essen darf.

Es ist kurz nach 13 Uhr in der Jugendeinrichtung Kaffeekanne in Jenfeld. Bis zu 50 Kinder kommen jeden Tag zum Mittagstisch. Migranten, Alleinerziehende, Hartz-IV-Empfänger - im Quartier wohnen viele, die am Ende des Monats nicht mehr viel Geld übrig haben. "Dann kommen deutlich mehr Kinder zum Essen in die Einrichtung als am Monatsanfang", sagt Hans Berling, Leiter der Kaffeekanne. Auf Bitten der nahen Grundschule gibt es morgens Brötchen und Kakao kostenfrei, das Mittagessen kostet 50 Cent.

50 Cent für ein Essen. Ein Euro für die Stunde. Das ist der Lohn oder vielmehr die Aufwandsentschädigung, die Ewa Pabian bekommt. Die 45-Jährige arbeitet als Ein-Euro-Jobberin bei der Einrichtung Kaffeekanne. Im Monat kann Ewa Pabian so zum Arbeitslosengeld hinzuverdienen. "Ohne die Ein-Euro-Jobs können wir den Kindern kein Essen anbieten", sagt Hans Berling. Anfang des Jahres hatte er neun Ein-Euro-Jobber. Für 2012 hat die Kaffeekanne nun keine Ein-Euro-Jobs mehr bewilligt bekommen - wie viele soziale Einrichtungen in Hamburg.

"Ich bin fassungslos, wütend und besorgt um die Kinder", sagt Berling. Der politische Mechanismus ist aus seiner Sicht so zwingend wie gnadenlos. Die Bundesregierung in Berlin kürzt die Ausgaben für Ein-Euro-Jobs, die Hamburger Sozialbehörde setzt den Rotstift an. Die Zahl der Ein-Euro-Jobber in der Hansestadt schrumpft von 6000 auf 3900. Und am Ende müssen es die Jenfelder Kinder büßen.

Auch die Eltern wissen noch nichts, viele sprechen nur wenig Deutsch oder verstehen nicht, wie diese komplizierten Hilfsprojekte in Deutschland funktionieren. "Wieso kein Essen mehr, ich zahle doch", sagt eine Mazedonierin in brüchigem Deutsch, als sie erfährt, dass es bald hier kein Essen mehr geben könnte. Ihre Familie wird das hart treffen. Jeden Tag bringt sie ihre drei Kinder in die Kaffeekanne.

Kahlschlag im Nachbarschaftstreff

"Die Hamburger Politiker können auf Berlin verweisen, aber sie können sich nicht verstecken. Ein SPD-Senat muss jetzt handeln", sagt Berling. Tatsächlich gibt es einen Hamburger Haushaltstitel "Überbrückungsfonds bezirkliche Stadtteilarbeit". Ziel ist es, "selbsttragende Finanzierungsperspektiven für gefährdete Einrichtungen zu entwickeln, um sie auf solide, eigenständige finanzielle Füße zu stellen". Das Bezirksamt bittet um Anträge. Für Wandsbek sind 117 776 Euro vorgesehen. "Lächerlich", sagt Berling. Wenn die Kaffeekanne die Kinderspeisung mit Vollzeitkräften weiterführen müsste, bräuchte sie 95 000 Euro im Jahr. Auch die nachträgliche Aufstockung der Berliner Gelder für Hamburger Arbeitslose um zehn Millionen Euro hält Berling nicht für ausreichend. Senat und SPD-Fraktion prüfen derzeit, in welche Projekte künftig noch Geld fließen kann. Bis dahin bangen jedoch auch andere Sozialprojekte im Bezirk Wandsbek.

Steilshoop. Ein Vormittag unter der Woche. Die Kaufkraft der Einwohner ist wie in Jenfeld auch hier nicht besonders groß. Steilshoop ist kein Vorzeigestadtteil. Aber er hat eine soziale Vorzeigeeinrichtung und eine Vorzeigemigrantin. Fasila H. kam nach Hamburg, als die Russen ihr Heimatland Afghanistan besetzten. Die 48 Jahre alte Lehrerin hat es nie leicht gehabt und sich trotzdem durchgebissen. Ein fremdes Land, ein schwer kranker Mann. Aber zwei ihrer Kinder gehen aufs Gymnasium, und ein Sohn studiert Wirtschaftsrecht. Seit zwölf Jahren ist Fasila H. mit Unterbrechungen bei der Sozialfirma Samt + Seife in Steilshoop tätig. "Die Kollegen hier sind nett", sagt sie. Sie fühle sich "wie die große Schwester oder Mama".

Die Firma Samt + Seife gibt es seit 1986. Sie diente immer der Arbeitsmarktpolitik. In einer Wäscherei und Näherei sollten schwer vermittelbare, aber arbeitsfähige Menschen fit für den Ersten Arbeitsmarkt gemacht werden. In den guten Tagen wuschen und nähten 30 Ein-Euro-Jobber hier, vor allem Frauen. "Das sind tolle Frauen", sagt Betriebsleiterin Heidrun Lüdtke. Etwa jede Zehnte habe auch den Absprung in einen richtigen Beruf geschafft, in Pflegeheimen oder Großküchen. Das vierköpfige Leitungsteam probierte Neues aus. Erst ließen sie Migrantinnen an einem Fahrradkursus teilnehmen, dann boten sie den Service "Wäsche auf Rädern" an. Mit Packwagen und Lastfahrrädern besuchten die Mitarbeiterinnen Senioren in Steilshoop und kümmerten sich um deren Gardinen und Wäsche. Für eine Spezialität wurde Samt + Seife norddeutschlandweit bekannt: Die Sozialfirma reinigt und repariert die weißen Halskrausen, die Duttenkragen, die evangelische Pastoren in Hamburg, Lübeck, Wismar und Stralsund tragen. Auch Fasila dreht geschickt mit einem Brenneisen die Stofffalten dieser tortenförmigen Halskrausen gerade. Tollen heißt das. Jede der in zwei Lagen umlaufenden 100 Falten muss bearbeitet werden. "Außer uns macht das niemand", sagt Lüdtke.

Aber nun könnten die Pastoren bald auf ihren dreckigen Kragen sitzen bleiben, denn auch Samt + Seife hat für 2012 keine Ein-Euro-Jobs mehr bewilligt bekommen. "Eigentlich ist schon das ganze Jahr ein langsames Sterben", sagt Lüdtke. Lange habe wegen des Regierungswechsels in Hamburg Unsicherheit geherrscht, sagt Lüdtke, aber jetzt ist klar: Am 31. Dezember ist Schluss mit Samt + Seife. "Dass wir von außen wie ein Wirtschaftsunternehmen anmuten, hat uns das Genick gebrochen", sagt Lüdtke.

Am 20. Dezember werden Fasila und die anderen Näherinnen und Wäscherinnen zu einem Abschiedsfrühstück zusammenkommen. "Zu feiern haben wir nichts", sagt Lüdtke. Am Tag darauf werden die Bestände der Sozialfirma zum Verkauf angeboten. Lüdtke hofft, vielleicht ein "Näh-Kaffee" in Steilshoop als Folgeprojekt gründen zu können. Doch das liegt in der Zukunft. Die Gegenwart sieht traurig aus.

Zwei etablierte soziale Einrichtungen in Steilshoop und Jenfeld im Bezirk Wandsbek sind von der Kürzung der Ein-Euro-Jobs schwer getroffen. Bezirksamtsleiter Thomas Ritzenhoff (SPD) sieht die Entwicklung mit großer Sorge. "Durch die Kürzungen der Bundesregierung bei der Arbeitsmarkt- und Stadtentwicklungspolitik können wichtige Einrichtungen in den Wandsbeker Stadtteilen ihre Angebote nicht aufrechterhalten oder müssen sogar schließen. Für das soziale Miteinander in den Stadtteilen bedeutet das starke Einschnitte."