Philip Oprong Spenner war als Straßenkind in Nairobi dem Tode nah, sein bester Freund starb im Drogenrausch. Heute ist er Referendar in Hamburg.

Hamburg. Als Kind hat er gebettelt, geklaut und in den schmutzigen Straßen Nairobis ums Überleben gekämpft. Sein bester Freund starb, als er im Alter von zehn Jahren im Drogenrausch vor ein Auto lief. Dass Philip Oprong Spenner als Erwachsener Lehrer an einer Stadtteilschule im Norden Hamburgs unterrichten würde, hätte er sich als Straßenkind niemals träumen lassen.

Der Weg von dem einen ins andere Leben war lang und steinig. Philip Oprong Spenner hat ihn in seinem gerade erschienenen Buch "Move on up" beschrieben. Wer den Afrikaner mit den warmen Augen und dem breiten Lachen trifft, wer seiner lebendigen Stimme zuhört, mit der er in perfektem Deutsch von seinem Schicksal erzählt, bekommt eine Vorstellung von seiner großen Intelligenz und Willensstärke. Und wenn man sich von ihm verabschiedet, denkt man unwillkürlich, dass ihm sein Weg vorbestimmt war. Ein Mann wie er endet nicht in einer afrikanischen Gosse.

Doch genau dieser Gefahr blickte er als Neunjähriger ins Gesicht, als ihn seine Tante an einer Straßenecke in Kenias Hauptstadt hatte stehen lassen, im lauten Menschengetümmel verschwunden und auch nach drei Stunden nicht wiedergekommen war. "Noch größer als die Furcht, alleine in dieser Riesenstadt zu sein, war die Angst, mit meiner Tante wieder in unser Dorf an der ugandischen Grenze zurückkehren zu müssen", erinnert sich Philip Oprong Spenner.

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Unter welchen Umständen er dort aufgewachsen war und wie es mit ihm am Rande der afrikanischen Gesellschaft weiterging, erzählt er eindringlich, doch ohne großes Pathos. Wie er sich als Zehnjähriger von einer Klippe stürzen wollte, Gott dann aber doch ein Ultimatum stellte und eine wundersame Begegnung hatte. Wie er Paul traf, der für ihn im täglichen Kampf um die nächste Mahlzeit wie ein Bruder wurde, mit dem zusammen er sich unschlagbar fühlte, denn Paul kannte alle Straßenkinder-Tricks. "Wir waren ein Spitzenteam", sagt er. "Er war still und vorsichtig, ich kommunikativ. Er hat die Strategien entworfen, ich habe sie ausgeführt." Wenn sie etwa die Menschen vor einem Imbiss um Essen angebettelt, die ihnen aber nichts gegeben hatten, riss Philip ihnen das Essen aus der Hand und lief weg. Paul tat so, als wolle er den Beraubten bei der Verfolgung helfen, behinderte sie dabei aber. Wenn er erzählt, wie es mit Paul weiterging, gerät Spenners Stimme für einen Moment ins Stocken. Dabei ist es schon 20 Jahre her, dass die beiden Freunde einem Vermittler von Kinderarbeitern in die Hand fielen und getrennt wurden. Als er Paul drei Monate später zufällig wiedertraf, war dieser drogensüchtig geworden.

Dem verlorenen Bruder widmet Spenner einen großen Teil seines Buches. Aber auch von Mary erzählt er, der Irin, die dafür sorgte, dass das Waisenkind wieder zur Schule gehen konnte, und von dem Kinderarzt Robert Spenner aus Hamburg, der eine Patenschaft für den Jungen übernahm. Zunächst schrieb er ihm lange Briefe, dann besuchte er ihn, schließlich nahm er den mittlerweile 20-jährigen Philip, der in Nairobi Jura studierte, mit nach Hamburg und adoptierte ihn. Trotz der fremden Sprache studierte Philip Oprong Spenner weiter - jetzt Sport und Englisch auf Lehramt.

Nebenbei arbeitete er für schweizerische und österreichische Entwicklungsorganisationen, war Dolmetscher und Gerichtsübersetzer und gründete den Verein Kanduyi Children zur Unterstützung des Kinderheims, in dem er nach seinem Dasein als Straßenkind lebte. Angebote, bei renommierten Entwicklungshilfe-Einrichtungen zu arbeiten, schlug er aus. "Das wäre sicher bequemer, aber ich möchte Lehrer werden", sagt Spenner, der sich gerade in der Referendariatszeit befindet, an der Stadtteilschule am Heidberg.

Oprong Spenner möchte an Schulen in sozialen Brennpunkten unterrichten. Denn auch im reichen Deutschland gebe es große soziale Unterschiede. "Ich möchte benachteiligte Kinder auf ihrem schulischen Weg unterstützen", erklärt er. Er wisse, wie wichtig Bildung für den eigenen Lebensweg sei, und wolle - als wohl einziger afrikanischer Lehrer in Hamburg - den Kindern als Vorbild dienen. "Sie kennen Menschen mit meiner Hautfarbe meist nur als Putzfrau oder Küchenhilfe", sagt Philip Oprong Spenner. "Bei allem Respekt vor diesen Berufen, aber diese Kinder können mehr, unabhängig von dem Milieu, aus dem sie kommen. Ich möchte ihnen klarmachen, dass Schule die Chance ist, mehr aus ihrem Leben zu machen." Und er ist einer, dem man diesen Satz abnimmt.

Philip Oprong Spenner: "Move on up. Ich kam aus dem Elend und lernte zu leben", Ullstein, Berlin 2011, 368 Seiten, 18 Euro