In Hamburg herrscht Wohnungsnot. Bürokauffrau Tina Banz hat acht Monate lang gesucht, bis sie endlich einen Mietvertrag unterschreiben konnte.

Hamburg. Sie ist eine von Tausenden Wohnungssuchenden in Hamburg. Nach acht Monaten Wohnungssuche und 156 Besichtigungen hat Tina Banz, 51, endlich eine Bleibe gefunden. Auf dem Weg dahin erlebte sie eine Tortur, die ihresgleichen sucht.

Tina Banz ist ausgebildete Bürokauffrau. Sie zog ihren 17-jährigen Sohn David alleine auf. Er macht bald Abitur. Vor zwei Jahren traf Tina Banz einen Jugendfreund wieder und verliebte sich neu. Nach drei Monaten zog das Paar zusammen mit dem Jungen in eine schicke Wohnung in Rissen. 122 Quadratmeter, 1250 Euro warm.

Damals hatte Tina Banz gerade eine neue Stelle als Office-Managerin für 2800 Euro brutto begonnen. Ihr Freund arbeitet als Netzwerkadministrator, verdient 4200 Euro brutto. Doch was Tina Banz erst während des Zusammenlebens merkte: Ihr Freund ist dem Alkohol zu sehr zugetan. Immer wieder gab es Krach, auch nachts. Morgens kam sie müde zur Arbeit, war unkonzentriert und verlor deshalb ihren Job noch in der Probezeit. Sie zog die Reißleine, trennte sich und wollte so schnell wie möglich mit David ausziehen. Damit begann ihr sozialer Abstieg.

"Ich hatte 156 Wohnungsbesichtigungen und zuvor mindestens 100 Absagen am Telefon, bevor ich die Wohnungen überhaupt zu Gesicht bekam", erzählt Tina Banz. Sie musste Hartz IV beantragen. Arbeitslosengeld stand ihr nicht zu, da sie zuvor als Sekretärin auf Rechnung gearbeitet und wie viele Selbstständige nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt hatte.

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Zuerst suchte sie in Internetportalen nach Wohnungen. Tina Banz schrieb auch Bewerbungen an die Saga-GWG und sämtliche Genossenschaften. Zu Besichtigungen kamen oft mehr als 30 Interessenten. Die meisten waren "Suchprofis". Sie hatten Gehaltsbescheinigung, Bestätigung des Vorvermieters, Schufa-Auskunft, Kopie ihres Ausweises sowie Bewerbungsschreiben samt Angaben zu Bankverbindung und Steuerklasse dabei. Einige gaben sogar ihren Lebenslauf mit Foto ab.

"Mir blieb nichts anderes übrig, als überall meine Daten zu hinterlassen, wenn ich auch nur die geringste Chance auf eine Wohnung haben wollte", sagt Tina Banz. "Es war so frustrierend. Bei einer Besichtigung in Schnelsen wurde ein Vermieter anzüglich, fragte nach meiner Kleidergröße, meinen Hobbys und persönlichen Vorlieben. Er wollte offensichtlich mehr als seine Wohnung vermieten", sagt Tina Banz. "Ein anderes Mal erlebte ich in Eidelstedt, dass ein Handwerker mit einem Netto-Einkommen von 1500 Euro abgelehnt wurde, weil ihm der Vermieter unterstellte, er könne die 300 Euro Kaltmiete davon nicht bezahlen." Und bei einer Massenbesichtigung in Langenhorn wurde die Frau von einem Ehepaar angesprochen: "Das waren Gaffer. Die suchten keine Wohnung, wollten nur gucken. Ich kam mir vor wie im Zoo." Aber es kam noch schlimmer. Die angebotenen Wohnungen waren zum Teil unbewohnbar. Viele waren total verdreckt oder renovierungsbedürftig. Einige hatten nicht einmal einen Herd oder eine Spüle. In manchen war Schimmel. Das zu beheben, sei Mietersache, bekam die Suchende immer wieder zu hören. "Ich sah mir eine Zweizimmerwohnung an der Horner Rennbahn an", sagt Tina Banz. "In der Annonce stand: 51 Quadratmeter, 475 Euro kalt, Hartz-IV-Empfänger willkommen. Mehr als 50 Bewerber zählte ich in der Schlange. Die Bude war feucht, hatte keine Küche, nur eine Art Abstellkammer mit Wasseranschluss. Der Vermieter meinte, darum müsse man sich selbst kümmern." Nach vier Wochen beantragte Tina Banz einen Dringlichkeitsschein, der ihr sofort gewährt wurde. Die Schattenseite: "Ich bekam oft von Vermietern zu hören: 'Hartz-IV-Empfänger nehmen wir nicht.'"

Wegen des Dringlichkeitsscheins wies das Wohnungsamt der alleinerziehenden Mutter Wohnungen zu, aber nur zwölf in sieben Monaten. Der Markt gibt nicht mehr her. Laut behördlich vorgegebener Baualtersklassen-Tabelle darf ein Zwei-Personen-Haushalt demnach eine Wohnung bekommen, die bis zu 60 Quadratmeter groß ist und je nach Baujahr bis zu 459 Euro kalt kosten darf. Die meisten Sozialwohnungen auf dem Markt stammen aus den 50er-Jahren. Laut Tabelle darf eine Wohnung, die zwischen 1948 und 1960 gebaut wurde, nur 332,40 Euro kalt kosten. "Ich war ja nicht die Einzige, die zu diesen Besichtigungen geschickt wurde, hatte viel Konkurrenz", erzählt Tina Banz. "Es ging auch viel schief. Als ich ein Wohnungsangebot morgens im Briefkasten fand und sofort beim Vermieter anrief, war die Wohnung bereits vermietet. Ich war schon so weit, ich hätte auch ein Etagenklo akzeptiert."

Durch die ständigen Besichtigungen konnte sie sich kaum auf die Arbeitssuche konzentrieren. "Der ganze Stress und die Angst vor der Zukunft machten mich krank", sagt Tina Banz. "Ich konnte kaum essen, nahm 14 Kilo ab und litt an Unruhe und Schlaflosigkeit. Mein Arzt schrieb mich krank." Burn-out durch Wohnungssuche.

Um nicht unter der Brücke zu enden, meldete sich Tina Banz bei der Fachstelle für Wohnungsnotfälle der Stadt Hamburg. Dort hätte sie mit ihrem Sohn eine vorübergehende Notunterkunft zwischen Asylbewerbern erhalten können. Und sie ging zu einer Sachbearbeiterin der Schiffszimmerer-Genossenschaft, die ihr gerade ein Angebot am Novalisweg in Winterhude geschickt hatte: 60,64 Quadratmeter, zwei Zimmer, Erdeschoss, Bad, Balkon, 266,87 Euro kalt, Baujahr 1949.

"Ich nahm meinen Sohn mit und bettelte regelrecht", sagt Tina Banz. Doch die Frau lehnte ab, da die Wohnung 0,64 Quadratmeter größer sei als erlaubt. Verzweifelt ging Tina Banz zum Abteilungsleiter. "Ich ließ regelrecht die Hosen runter. Ich habe mein Privatleben offenbart, hab von meiner gescheiterten Beziehung erzählt, vom Jobverlust und meinem Seelenleben." Der Mann hatte Mitleid. "Ich habe mein Gesicht verloren, aber er gab mir die Wohnung. Ich brach in Tränen aus."