Die Schauspielerin Witta Pohl starb im Alter von 73 Jahren an Leukämie. Die Rolle der Vera Drombusch machte sie berühmt und unvergesslich.

Hamburg. Es war ihr Blick. Dieser leicht vorwurfsvolle Blick, der Enttäuschung signalisierte, sofort ein schlechtes Gewissen verursachte und nur noch eine einzige Frage zuließ: "Ist das vielleicht fair?" Mit diesem Blick prägte Witta Pohl alias Vera Drombusch vor fast 30 Jahren eine ganze Generation - und es machte ihr offiziell keineswegs etwas aus, dass sie von ihren Fans häufiger mit "Mutter Drombusch" angesprochen wurde als mit "Frau Pohl". Dies empfand die Schauspielerin zwar stets als großes Kompliment und als Bestätigung, dass sie die Rolle glaubhaft dargestellt hatte. Andererseits ärgerte es sie insgeheim doch, wenn ihre Fans am Hinterausgang eines Tourneetheaters warteten, wo sie etwa gerade "Play Strindberg" gegeben hatte und ihre Verwunderung darüber äußerten, dass sie so etwas auch könne: "Hallo, Mutti Drombusch, wie geht's denn weiter?"

Doch "Diese Drombuschs" war eben die Familienserie der 1980er-Jahre schlechthin. Damals sehnten sich nicht wenige Menschen im Land insgeheim nach einer neuen "Mutter der Nation". Denn Inge Meysel, die diesen Titel bis dato durch "Die Unverbesserlichen" seit den 1960er-Jahren innehatte, mutierte in fortschreitendem Alter auf dem Bildschirm rascher als gewünscht zur larmoyant-renitenten Seniorenzicke. Bis derselbe, unverbesserliche Drehbuchautor - Robert Stromberger - der damals 46 Jahre alten Witta Pohl die Hauptrolle in der neuen ZDF-Serie anbot, die das Alltagsleben einer normalen Familie zwischen "Banalität und Schicksalsschlägen" zeigen sollte; garniert mit den damals aufkeimenden Konfliktstoffen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, gewalttätigen Polizisten oder dem Umgang mit alten Menschen. Über der Serie schwebte immer das imaginäre Wort des "Selbstbetrugs", zu dem Menschen bekanntlich einen latenten Hang haben. Außer Vera Drombusch, die bei ihrer schonungslosen Aufklärungsarbeit aber nie einen Zweifel daran ließ, dass sie offensichtlich selbst zu kurz kam.

Witta und Vera konnten parallele Leben führen, völlig unverkrampft. "Ich fand die Inhalte so gut. Weil alles so einen Sinn hatte und alles mit einer Zärtlichkeit und großem Verantwortungsbewusstsein geschrieben war", sagte Witta Pohl auf einem "Drombusch"-Fanfest vor rund zwei Jahren, "zum Beispiel über die Verantwortung, die man anderen Menschen gegenüber haben muss, und auch über die Liebe, um für andere da zu sein." Manchmal war das jedoch ganz schön anstrengend für die Zuschauer. Vor allem dann, wenn die "Drombuschs" sich mal wieder quälend lange Momente am Abendbrottisch anschwiegen, um dann plötzlich eine schier endlose Familienkonferenz loszutreten, wobei Vera Drombusch in der Regel das letzte Wort hatte.

Als Paradebeispiel hierfür dient vielleicht der folgende Dialog zwischen Vera und Siegfried (Hans-Peter Korff), als sie ihm vorwarf, für die ungenügende Beaufsichtigung der Hausarbeiten ihres Sohnes verantwortlich zu sein. Als er konterte, dass schließlich sie diejenige sei, die zu Hause ist, antwortete Vera: "Stimmt. Ich bin in der Tat sonnabends zu Hause. Während du aufregende Entspannung auf der Fußballtribüne suchst. Ich bin auch sonntags zu Hause. Während du beim strapaziösen Frühschoppen überparteiliche Beziehungen pflegst. Und besonders bin ich in der Woche abends zu Hause. Wenn du bei zeitungsträchtigen Vereinsfeiern die Partei vertrittst, bedeutungsvolles Blablabla machst und mit städteverschwisternden Damen charmierst. Das ist das Partnerschaftsbild der Jahrhundertwende!" - "Ich möchte doch sehr bitten, ja? Du wirst die einträchtige Wechselbeziehung zwischen Politik und Geschäft nicht bestreiten wollen." - "Das tue ich auch gar nicht. Aber wo bleibt die Wechselbeziehung zwischen Vater und Sohn?"

Doch diesem Realismus, der manchmal bis zur Schmerzgrenze ging (und häufig ein Stückchen darüber hinaus), konnten sich in der damaligen, noch privatsenderlosen Zeit bis zur Hälfte aller TV-Zuschauer einfach nicht entziehen. Das weibliche Familienoberhaupt, das ganze Fässer voller Lebensweisheiten ausschütten konnte, war unbestritten die moralische Institution der Fernsehwelt. Nur als Vera Drombusch nach dem Tod ihres Serien-Ehemanns Siegfried mit dem verheirateten Arzt Dr. Martin Sanders (Michael Degen) ein Techtelmechtel begann, wackelte kurzzeitig die Sittenikone, hagelte es Proteste. Wenigstens hatten jetzt alle Zuschauer begriffen, dass sogar patente Fernsehmütter Sex haben können. Und Lust empfinden dürfen.

Witta Pohls privates Leben verlief ebenfalls recht stürmisch. Aber sie machte wenig Wind. Wer weiß schon, dass sie dreimal verheiratet war, ja, genau, auch mit Charles Brauer, dem Schauspielerkollegen, Vater ihrer Zwillinge Stefanie und Florian, die beide schon längst in den Vierzigern sind.

Auch über ihre entbehrungsreiche Kindheit hat sie sich nur selten öffentlich und wenn, dann nur zurückhaltend geäußert: über die dramatische Flucht aus Königsberg, wo sie 1937 als Witta Breipohl zur Welt gekommen war; über den Tod ihres Vaters, eines Frauenarztes, der 1945 in Berlin erschossen wurde; über ihre Mutter, die nun insgesamt sechs Kinder durchbringen musste, allein. Das kämpferische Frauenbild der Vera Drombusch hatte Witta Pohl bereits in jungen Jahren in allen Facetten vorgelebt bekommen.

Und je mehr Erfolg sie für sich verbuchen konnte, desto häufiger stellte Witta Pohl sich eine Frage: "Was ist Glück? Wissen wir das überhaupt noch? Wir, die wir auf der Sonnenseite dieser Erde leben? Kann man Glück überhaupt erklären, anderen klarmachen? Hat nicht jeder Mensch eine andere Vorstellung vom Glück? Es ist schon ein Glück, wenn wir überhaupt noch einen Blick für jene haben", schrieb sie auf der Homepage des Vereins Kinderluftbrücke, dessen Mitbegründerin und Gesicht sie seit dem Jahre 1991 war.

Es sei ja nur ein kleiner Verein, meinte Witta Pohl bescheiden, doch tatsächlich verteilte die private Hilfsorganisation allein während der vergangenen zehn Jahre Sachspenden im Wert von mehr als 20 Millionen Euro an Kinderkrankenhäuser und andere Einrichtungen in Osteuropa. "Immer schon hat sie ihre ganze Kraft in die Kinderluftbrücke gesteckt", sagt die Theater-Intendantin Isabella Vértes-Schütter, "wir verabschieden uns von einer großen Schauspielerin von hoher Professionalität, die sich allen Aufgaben gestellt hat: vor der Kamera, auf der Bühne, bei ihrem sozialen Engagement."

Noch im Januar hatte Witta Pohl dafür gesorgt, dass ihr Serienkollege Mick Werup, der sich mit 52 Jahren das Leben genommen hatte, ein anständiges Begräbnis erhielt. Dann, im Februar, klagte sie plötzlich über Unwohlsein, brach zusammen und wurde ins Uniklinikum Eppendorf eingeliefert, wo man bei ihr eine besonders tückische Form von Blutkrebs diagnostizierte. Eine Chemotherapie schlug nicht an.

Witta Pohl verstarb am vergangenen Montagmorgen im Kreis ihrer Familie. "Die Ärzte haben unserem Wunsch entsprochen und alles getan, damit unsere Mutter zu keiner Zeit Schmerzen hatte und nicht leiden musste", erklärten ihre Kinder. "Wir sind unendlich traurig und empfinden tiefen Schmerz. In unserem Leben wird sie eine große Lücke hinterlassen." Das werden sich jetzt viele Menschen sagen.