Mehr Harsefeld als Harvard. Wissenschaftler gehen nach dem Scheitern als Elite-Uni hart mit der Politik ins Gericht

Eine Möwe mit Doktorhut ist auf dem Plakat zu sehen, das vielerorts an den Litfaßsäulen der Stadt klebt: Unter dem akademischen Vogel prangt der Slogan: "Hamburg, Hochburg der Wissenschaft". Als der Hamburger Professor Gerold Schneider den Spruch das erste Mal sah, verschlug es ihm fast die Sprache. "Das ist doch ein Witz, ein absoluter Witz", sagte der Forscher, der an der Technischen Universität Hamburg-Harburg Grundlagenforschung über hochfeste neue Werkstoffe betreibt. "Wissenschaft", sagt der 52-jährige, sportliche Physiker, habe in Wahrheit kaum einen Wert in Hamburg. "Außer Schiffen, Marketing und Handel ist da doch nix in der Stadt", schimpft er. Einen Tag nach der Vorausscheidung der Bundes-Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft sitzt der Frust bei Hamburger Wissenschaftlern offenbar tief. Mit zehn Projekten hatte sich Hamburg an dieser manchmal auch als Deutsche Meisterschaft der Spitzenforschung beschriebenen Initiative beteiligt. Neun Forschungsverbünde, sogenannte Exzellenz-Cluster, waren dabei. Zudem wollte die große Uni Hamburg in den erlauchten Kreis der deutschen Elite-Unis aufsteigen. Doch nur ein Forschungsprojekt aus der Hansestadt kam weiter. Elite - das können nun andere Hochschulen werden, etwa Bremen (siehe Artikel unten) oder Dresden. "Wir haben in Hamburg zwar viele wirkliche Spitzenforscher", sagt Schneider, "doch gesamt gesehen spielen wir höchsten zweite Liga, wenn überhaupt."

Auch der agile neue Präsident der Uni Hamburg, Dieter Lenzen, hat das Plakat mit der Möwe und dem Doktorhut schon gesehen. "Amüsant", sei das, sagte er und man hört den ironischen Unterton heraus. Denn in Wahrheit, so weiß Lenzen, ist Hamburg alles andere als eine Hochburg der Wissenschaft, wie jetzt die Bundes-Exzellenzinitiative so deutlich gezeigt hat.

Vor sechs Jahren hatte die damalige Bundesregierung die Initiative auf den Weg gebracht. Mit dem Geld aus der Versteigerung der UMTS-Mobilfunk-Lizenzen sollte der Wissenschaftsstandort Deutschland gefördert werden. 1,9 Milliarden Euro gab es für die ersten beiden Runden. Gefördert werden dabei ganze Unis, die sich mit ihren Zukunftskonzepten als Elite-Hochschulen beworben hatten. Zusätzliche Förderschwerpunkte sind auch sogenannte Graduiertenschulen zur Ausbildung von Doktoranden und die Exzellenz-Cluster - als Forschungsverbünde, die meist aus mehreren Instituten bestehen. Wer die interaktive Deutschlandkarte für diese ersten Förderrunden im Internet aufruft, sieht verteilt über die Republik viele Städte, die ins Programm aufgenommen wurden. Wenn man mit dem Cursor drauf klickt, öffnen sich oft kleine Felder mit gleich mehreren Exzellenz-Verbünden. In Hamburg war es bisher nur ein einziger, der sich mit der Klimaforschung befasst. Auf der Landkarte der deutschen Forschung ist die zweitgrößte Metropole des Landes allenfalls eine Kleinstadt. Mehr Harsefeld als Harvard eben.

Nun in der Vorentscheidung für die dritte Runde könnte immerhin ein zweites Cluster hinzukommen - was im Vergleich mit München aber immer noch bescheiden ist. Viele andere Hamburger Exzellenz-Bewerbungen sind aber jetzt schon im Anlauf gescheitert. "Wir waren bestürzt, als wir davon erfuhren", sagt etwa die habilitierte Wissenschaftlerin Monika Johannsen. Mit 25 anderen Forschern aus verschiedenen Hamburger Einrichtungen forscht die 44-Jährige an Biostoffen, die einmal das Erdöl ersetzen könnten. "Aber unsere Vorbereitung war wohl zu kurz", sagt sie und spielt damit auf die eigene Landes-Exzellenzinitiative der neuen Hamburger Wissenschaftsstiftung an, die solche Projekte in Hamburg fördert.

Allerdings gibt es die Initiative in der Hansestadt erst seit zwei Jahren - anders als in südlichen Bundesländern, die ihre Grundlagenforscher schon viel länger fördern. Deutlich wird dies mit einem Zahlenvergleich, den die Handelskammer und die Hamburger Hochschulen kürzlich in einem Memorandum zusammengefasst haben: Das Forschungspersonal an den staatlichen Hochschulen in Hamburg ist demnach von 1997 bis 2007 jedes Jahr geringfügig um 0,07 Prozent weniger geworden. Die Zahl der Forscher in Bayern und Baden-Württemberg hat sich in dieser Zeit indes jährlich um 0,98 und 1,32 Prozent erhöht. Und: Gemessen an seinen Ausgaben für den Wissenschaftsbereich bildet Hamburg im bundesweiten Vergleich das absolute Schlusslicht, sagt der Uni-Präsident Dieter Lenzen. Aber das sei es nicht allein, was Wissenschaft in Hamburg behindert. Lenzen: "Im Gegensatz zu anderen Bundesländern regiert die Bürokratie, zum Beispiel durch das Hamburger Personalamt, in fast allen Personalentscheidungen der Universität."

Wozu das führen kann, erfährt Physik-Professor Schneider immer wieder aus dem Kollegenkreis. Kürzlich erst sei einer der besten Hamburger Chemiker nach Bayreuth gegangen. "In die Pampa", wie Schneider sagt. Aber nicht wegen höherer Bezüge, sondern weil die Forschung dort finanziell viel besser ausgestattet sei.

Doch was ist nun zu tun? Uni-Präsident Lenzen etwa sagt, dass Hamburg für seinen Wissenschaftsbereich einen "jährlichen Steigerungsbedarf von 50 Millionen Euro" benötigt - und nicht wie derzeit von Kürzungen bedroht ist. Aber Geld allein ist es nicht, das in Hamburg fehlt, sagt Lenzens Kollege von der Technischen Hochschule Hamburg-Harburg, Edwin Kreuzer, und fordert eine größere "Wertschätzung" der Forschung in Hamburg. Wissenschaft sei einfach zu wenig sichtbar in der Stadt. Es sei eben auch "die Stimmung und die Haltung" dazu, die sich ändern müsse und die Forscher auch brauchen, um sich willkommen zu fühlen. Im Hamburger Wahlkampf habe die Wissenschaft aber bei den Parteien nur eine kleine, untergeordnete Rolle gespielt.

Ob sich das mit dem neuen Senat unter einem SPD-Bürgermeister Olaf Scholz nun ändern wird, bezweifelt Physik-Professor Schneider allerdings. "Als ich las, dass Scholz die junge Wissenschaftsstiftung wieder abschaffen will, hat mich das total genervt." Eine langfristige Förderung, die mit der Stiftung in Hamburg gerade erst begonnen wurde, sei jetzt gefragt. "Sonst", sagt Schneider, "spielt Hamburg nie in der obersten Liga mit - auch wenn in der Stadt noch so viele Plakate mit Möwen hängen, die einen Doktorhut tragen."

Entwickelt wurden Motiv und der Slogan von der "Hochburg der Wissenschaft" übrigens von Marketing-Studenten, um die Stadt als Wissenschaftsstandort zu profilieren. Bei einer Befragung gefiel vielen Passanten das Bild. Auch Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) äußert sich erfreut. Das Plakat, so die Senatorin, habe eben "ein Gespür" für Ironie.