Ahlhaus hat mit dem Erbe von Ole von Beust eine undankbare Aufgabe übernommen. Auf Märkten versucht er, die Bürger von sich zu überzeugen.

Die Sache mit den Gurken. Ja, das war wirklich ein Ding. Wenn er davon erzählt, wirkt Christoph Ahlhaus geradezu schillernd. Er chargiert, gestikuliert, hält inne, empört sich - und widerlegt seine Selbsteinschätzung, er sei keiner für große Bühnen, er könne die Menschen nur im direkten Gespräch überzeugen. Die Gurken beweisen das Gegenteil, und deshalb erzählt er die "kleine Anekdote" in diesem Wahlkampf bei jeder Gelegenheit.

Also, die Gurken-Anekdote. Bei der Vorstellung des Umwelthauptstadt-Programms im November auf Kampnagel, organisiert von der damals noch GAL-geführten Umweltbehörde, sitzt Christoph Ahlhaus in der ersten Reihe, freudig gespannt auf das Gebotene. Ebenso wie die Grünen will auch der frischgebackene Bürgermeister von der CDU mit dem Thema "Green Capital 2011" in den eineinhalb Jahren bis zur regulären Wahl 2012 ordentlich punkten. Öko ist in. Und dann das.

Der erste Programmpunkt heißt "Musikstück". Ahlhaus erinnert sich, wie ein "gut gekleideter älterer Herr" die Bühne betritt, das Sakko merkwürdig ausgebeult. "Neben sich", erzählt der Bürgermeister, beugt sich zur Seite herab und verharrt mit seinen breiten Händen in der Luft, als könne er es immer noch nicht fassen, "hatte er so einen Stapel Telefonbücher." Bedeutungsschwere Pause. "Dann holte er aus seiner Jacke zwei Gurken heraus und trommelte mit diesen Gurken sage und schreibe acht Minuten auf den Telefonbüchern herum." So könne man doch die Menschen nicht von modernen Umwelttechnologien überzeugen. "Schluss mit Ideologie!", ruft der Wahlkämpfer, und das Echo ist immer das Gleiche: Gelächter, langer Applaus, Punkt für Ahlhaus. Es ist seine Chiffre auf seine eigene Bodenständigkeit und die Versponnenheit der Konkurrenz. Es gibt zwar Leute, die schwören, der Musiker habe mit den Gurken nicht Telefonbücher traktiert, sondern ein Schlagzeug. Aber von der Anekdote bleibt hängen, dass er einnehmend sein kann, dieser Christoph Ahlhaus.

Zurückhaltend und etwas dröge zwar, dabei aber mitunter witzig, selbstironisch und trotz seiner etwas tapsigen Erscheinung recht charmant. "Ich bin vielleicht nicht der Typ, der als Mediendarling punkten kann", sagt er. "Ich stelle aber fest, dass viele Leute durch ein persönliches Gespräch einen anderen Eindruck von mir bekommen, als sie vorher hatten." Einen besseren Eindruck, meint er natürlich.

Seit er am 25. August das Amt des Bürgermeisters von Ole von Beust übernommen hat, hat er daher vor allem ein Programm: sich bekannt zu machen. Er besucht jeden CDU-Ortsverband, jedes Einkaufszentrum, jeden Wochenmarkt, jetzt im Wahlkampf mitunter fünf am Tag. Den Wurstverkäufer in Harburg erkennt er schon genauso wieder ("Sie waren doch auf dem Schlachthof") wie die Blumenverkäuferin auf dem Isemarkt. Die Rosen für Frau Ahlhaus vom letzten Besuch haben sehr schön lang gehalten. Na denn. Aber bekommt er deswegen mehr Stimmen?

Nur 25 Prozent der Wähler wollen ihr Kreuz bei der CDU machen, 46 Prozent bei der SPD, der Trend ist stabil.

Ahlhaus kämpft dennoch unverdrossen um jede Stimme, er kämpft sieben Tage die Woche, er geht zu den Menschen, er sucht sie geradezu auf, aber wenn man die Menschen fragt, wen sie als Bürgermeister wollen, sagen sie Olaf Scholz. Gäbe es eine Direktwahl, würden nur 21 Prozent ihr Kreuz beim Amtsinhaber machen, aber 64 Prozent beim SPD-Chef - dabei geht der kaum hin zu den Menschen, er lässt sie zu sich kommen. Zu "Olaf Scholz im Gespräch" strömen Hunderte, sie sagen, dass sie den künftigen Bürgermeister sehen wollen. Zum Amtsinhaber kommt in Harburg unter der Markise von Fleischermeister Lesser eine ältere Dame und sagt tröstend: "Meine Stimmen haben Sie. Wir brauchen eine starke Opposition!" Galgenhumor, immerhin. Ein paar Meter weiter beschwert sich ein Rentner, dass der Bürgermeister-Mercedes im Halteverbot stehe. "Wenn ich da parke, bekomme ich einen Strafzettel." Als Ahlhaus den Markt verlässt, ist die Front der schwarzen Limousine schwer beschädigt - ein Auffahrunfall beim Zurücksetzen.

Die Situation ist vergurkt, irgendwie.

Am späten Nachmittag sitzt Ahlhaus in der CDU-Parteizentrale am Leinpfad. Er wirkt matt, ausgelaugt, er sinkt tief in den schwarzen Ledersessel. Plötzlich sagt er trotzig, er wolle "mit vollem Elan, mit viel Tatkraft, Zuversicht und vor allem großer Freude am Wahlkampf" weiterkämpfen. Und dann? "Meine Frau und ich werden hier mit Freude weiterleben, egal ob ich Bürgermeister bin oder nicht." Als Politiker? Vielleicht Fraktionschef oder Bundestagsabgeordneter? "Eines werde ich nie machen", sagt Ahlhaus. "Ich werde nie mit Gewalt nach irgendwelchen Ämtern drängen." Mehr möchte er darüber nicht sprechen, klar. Draußen wird es langsam dunkel.

Okay, dann das Hier und Heute. Gerade hat er sein Konzept für die innere Sicherheit präsentiert, jetzt sorgt er sich, dass wieder keiner schreibt, dass unter dem Innensenator Ahlhaus die Kriminalität in Hamburg um 30 Prozent gesunken ist. Dabei wäre das doch gerecht, meint er. Überhaupt werde seine Leistung und die der CDU viel zu wenig gewürdigt - dass Hamburg die Wirtschaftskrise vergleichsweise gut überstanden hat, dass die Arbeitslosenzahlen sinken und die Touristenzahlen kräftig steigen zum Beispiel. "Ich habe es mir abgewöhnt, für alles, was gut läuft, ein Lob zu erwarten, so funktioniert Politik nicht", sagt er zwar. Aber insgeheim wünscht er sich das wohl schon, etwas mehr Lob.

Warum verwehren die Hamburger es ihm? Zeigen ihm die Menschen die kalte Schulter in Umfragen vielleicht gar nicht, weil sie ihn nicht kennen, wie er denkt? Sondern weil sie ihn kennen, aber nicht mögen? Weil sie mit dem Mann aus Heidelberg fremdeln?

Angefangen hat alles, immerhin, mit einem Lob. Damals, vor knapp zehn Jahren, sitzt Ahlhaus zum ersten Mal in diesem Zimmer am Leinpfad. In seiner Geburtsstadt hat er sich den Ruf eines fleißigen und aufstrebenden Kommunalpolitikers erworben, und sein Mentor, der Heidelberger CDU-Bundestagsabgeordnete Karl Lamers, empfiehlt ihn daher seinem Hamburger Kollegen und CDU-Landeschef Dirk Fischer. Der lädt Ahlhaus zu einem Bewerbungsgespräch in die weiße Villa am Alsterlauf - und engagiert den jungen Juristen als Geschäftsführer der CDU-Zentrale. Es ist die Zeit, als die Christdemokraten nach 44 Jahren erstmals die Macht übernehmen, mit einem miserablen Ergebnis zwar, aber danach geht es fast nur noch aufwärts, für die CDU und für Ahlhaus. 2004 ein Bürgerschaftsmandat, innenpolitischer Sprecher, 2006 Staatsrat der Innenbehörde und 2008 Innensenator. Viel mehr geht nicht in Hamburg - außer Bürgermeister.

Zunächst wirkt es aber so, als habe Ahlhaus als Innensenator seine Erfüllung gefunden. Dass für den CDU-Mann der vor allem bei der Polizei hoch geachtete, aber halt parteilose Udo Nagel seinen Posten räumen muss, macht ihn im Apparat nicht besonders beliebt. Aber die Rolle des Hardliners, der die rechte Flanke der CDU abzudecken hat, spielt Ahlhaus gut - und gern. Dass ihn eine linke Jugendgruppe zum "Abschiebeminister" kürt, juckt ihn nicht, es schärft eher sein Profil. Intern wird auch honoriert, wie er mit der grünen Innenexpertin Antje Möller potenzielle Koalitionskonflikte wie die Lage im Schanzenviertel entweder im Keim entschärft oder aber beiden Partnern die Freiheit gibt, ihre unterschiedlichen Haltungen zu transportieren. Kurz: Bis zum Sommer 2010 gilt Ahlhaus als ordentlicher Senator, und weil alle anderen potenziellen Ole-Erben aus unterschiedlichsten Gründen ausscheiden, ist er plötzlich sogar der Kronprinz.

Ein halbes Jahr später schreibt der "Spiegel": "Der Interimsbürgermeister hat in den vergangenen Monaten deutlich gemacht, dass er mühelos in der Lage ist, so ziemlich alles falsch zu machen, was man in der Hansestadt nur falsch machen kann." Ein vernichtender Satz, aber man kommt nicht umhin, darüber nachzudenken.

Unbestreitbar ist, dass Ahlhaus das Amt unter extrem schweren Bedingungen antritt. Die SPD hat die CDU in Umfragen bereits überflügelt, der Volksentscheid zur Primarschule geht krachend verloren, der sinkende Stern Ole von Beust verglüht freiwillig, und die Grünen liebäugeln schon damals mit Neuwahlen. Ein Scherbenhaufen. Und er, Christoph Ahlhaus, knapp 41 Jahre, soll diese Scherben nun zusammenhalten. Eine undankbare Aufgabe. "Einen Schuh ziehe ich mir nicht an: Kaum ist der Ahlhaus da, ist alles in die Grütze gegangen", sagt er mit Nachdruck. "Ich habe das Amt in schwieriger Zeit nach dem Rücktritt von Ole von Beust angetreten. Und die Spitzenkandidatur habe ich übernommen, als die Umfragewerte der CDU bei 22 Prozent lagen."

Das stimmt alles, aber es klammert aus, was dazwischen geschehen ist. Es beginnt damit, dass der Innensenator mit dem gepflegt konservativen Profil den betont skeptischen Grünen plötzlich erklärt, er sei gar nicht so, frühstücken gingen er und seine Frau ja am liebsten im Schanzenviertel. An Finanzsenator Carsten Frigge (CDU) und dessen Sparkurs hält er fest, obwohl dem eine Anklage wegen Beihilfe zur Untreue droht. Mit der geplanten Schließung des Altonaer Theaters und Kürzungen für das Schauspielhaus bringt er die halbe Stadt gegen den Senat auf - und muss auf einem "Kulturgipfel" den geordneten Rückzug antreten. Doch als Frigge im November zurücktritt und die Grünen die Koalition platzen lassen, weicht Ahlhaus den Sparkurs plötzlich auf: Die umstrittene Kita-Gebührenerhöhung werde er ebenso zurücknehmen wie die Kürzung des Weihnachtsgelds für Beamte, mit 100 Millionen Euro der größte Sparposten. Einzige Bedingung sind höhere Steuereinnahmen, aber damit sei ja zu rechnen. Wozu dann die ganzen Grausamkeiten? Ein inhaltlicher Kompass ist kaum noch erkennbar.

Doch schwerer als die handwerklichen Fehler wiegt das offensichtlich nur gering ausgeprägte Gespür des Bürgermeisters dafür, wie seine Bürger ticken. So platzen mitten in Koalitionskrise und Beamtenproteste Fotos von Ahlhaus und Gattin Simone im Klatschmagazin "Bunte". Im noblen Hotel Vier Jahreszeiten plaudert das "Powerpaar von der Elbe", er im dunklen Dreiteiler, sie im schulterfreien silbernen Glitzerkleid, über Heiratsanträge in New York, das Geheimnis seiner Liebe. Eine geradezu monarchische Inszenierung - das hatte es in der Kaufmannsstadt Hamburg wohl noch nicht gegeben.

Wer bis dahin kein Bild vom Bürgermeister Ahlhaus hatte, erahnt nun eines. Da ist der Mann, der als Innensenator mal in Erklärungsnot kam, weil er an eine Dienstreise nach Paris ein paar private Tage mit der Gattin hängte, aber den Dienstwagen samt Chauffeur in Paris behielt. Da ist der Mann, dessen neue Villa für mehr als eine Million Euro aus der Stadtkasse gesichert wird und dem der frühere Helmut-Kohl-Berater Andreas Fritzenkötter als "persönlicher Berater" dient - bezahlt vom Steuerzahler. Und da sind diese Fotos. Es entsteht also das Bild eines Mannes, dem im juristischen Sinn nichts vorzuwerfen ist, der sich ehrlich engagiert für diese Stadt, dessen persönlicher Wertekanon aber in einem Spannungsverhältnis zu gewissen Traditionen zu stehen scheint, die in Hamburg geschätzt werden. Daher vielleicht die 21 Prozent.

Ob er selbst das Bürgermeisteramt als Privileg empfindet? "Nein", sagt Ahlhaus schnell. Die Sicherheitsmaßnahmen, die Terminhatz und immer nur Fingerfood, das sei alles kein Privileg. Nur das Büro im Rathaus mit dem tollen Blick - das genieße er wirklich.

Wer dort hingeht, kommt in der Rathausdiele an Schaukästen mit Bildern von Politikern vorbei. Nur der Schaukasten des Senats ist seit Wochen leer, kein Foto hängt dort, auch nicht vom Bürgermeister Christoph Ahlhaus. Stattdessen nur ein weißer Zettel: "Wird zzt. überarbeitet."