Die Schankwirtschaft um die Ecke hat ausgedient - immer häufiger. Die Kultkneipe Gaststätte Schlag in Nienstedten schließt.

Manni, bitte zwei Frikadellen mit reichlich Mostrich und eine Portion Kaisersülze mit Brat!", ordert die Dame links an der Theke. "Und noch eine Runde wie eben. Zum Nachspülen. Hat aber Zeit." Dagegen verspürt der Gast am Ecktisch neben dem Daddelautomaten stechenden Durst. "Lissi, mach ma schnell drei Ratsherrn. Dazu zwei Helbing", ruft er in höchster Not. Wie immer. Geht alles klar. Auch wie immer.

Dazwischen wuselt Hein hin und her. Zum schwarzen Hundefell trägt er ein rotes Halstuch, passend zur Fliege seines Herrchens, dem Wirt. An den Wänden hängen Karikaturen legendärer Stammgäste. Das Holz ist dunkel, asbachuralt, die Atmosphäre enorm gemütlich. Lebhaft wird debattiert, über Gott und die Welt. Man kennt sich in der Regel. Musik erklingt. Und dann geht sie ab, die Luzie.

Aus. Vorbei. Abpfiff.

Definitiv Schluss mit lustig. Die Traditionskneipe Gaststätte Schlag in der Rupertistraße hat dichtgemacht. Mindestens 100 Jahre hat der Laden mit dem schnuckeligen Lindengärtchen vor der Tür auf dem Buckel. Nach 31 Jahren am Zapfhahn haben die Wirtsleute Lissi und Manfred Schlag zum letzten Mal hanseatische Gastfreundschaft in die Tat umgesetzt und Haus wie Kneipe verkauft. Nicht an Immobilienfirmen, die Eigentumswohnungen errichten wollten, sondern an ein Investoren-Ehepaar, das der Gastronomie eine neue Chance geben will. Dennoch ist Hamburg wieder um eine ursprüngliche, gediegene Schankwirtschaft ärmer.

Es gab Bestes für den Leib und Balsam für die Seele

Nicht nur in Nienstedten trägt das trink- und feierfreudige Volk Trauer. Was die Stammgäste nicht daran hinderte, einen Kehraus vom Allerfeinsten zu zelebrieren. Im Vergleich wirkte jede Silvesterparty wie ein laues Kaffeekränzchen. Teilnehmer berichten von einer gigantischen Sause mit Pauken und Trompeten. Motto: Hoch die Tassen - mit Schmackes und mit Stil.

So wie es seit Jahrzehnten zum guten Ton gehört in einer der urigsten Pinten der Stadt. Wer sich ein blumiges Bier vom Fass zapfen lassen und einen ebenso gepflegten Klönschnack führen wollte, fand ein Zuhause auf Zeit. "Auf nen Lütten ins Schlach", hieß es von jeher im Volksmund. Dort gab's Bestes für den Leib und Balsam für die Seele.

Doch damit ist es nun vorbei. "Es war ein Ausstand vom Allerfeinsten", weiß Nicola Delattre, eine jener Stammgäste, die sich regelmäßig auch mit Apfelschorle in Hochform präsentierten. "Bis morgens früh tanzten die Puppen auf dem Tisch." Sehr betrübt sei sie, dass erneut ein Stück kultivierter Lebensart aus dem Stadtbild verschwindet. Mit dem angestammten Adventssingen wurde eine Institution erster Klasse in würdiger Art zu Grabe getragen: lustvoll und feucht. Auch weil mancher fröhliche Zecher eine Träne vergoss, als er zu fortgeschrittener Stunde Abschied nahm. Endlich, so meinte mancher, macht die Lage just vis-à-vis dem Friedhof Sinn. Ebenso wie der Begriff Schlag-Seite. In Hamburg kann man sehr laut Tschüs sagen.

Während Ehefrau Lissi, von Haus aus Innenarchitektin, mit Grippe daheim daniederliegt, sperrte Manfred Schlag seine Gaststätte gestern noch einmal auf, um nach dem Rechten zu sehen. Vor einem halben Jahrhundert standen dort schon seine Eltern hinter der Theke. Der examinierte Psychologe hat Frieden mit dem Abschied gemacht. Der Kaufpreis dient als Rente. Außerdem will das im gesamten Hamburger Westen bestens bekannte Paar seinen Partyservice weiterführen. "Unter dem Strich mussten wir dem veränderten Freizeitverhalten Rechnung tragen", bilanziert Schlag. "Heutzutage geht man eher in die Muckibude oder sitzt vorm Computer." Auch das Rauchverbot habe schwer geschadet. Seiner Ansicht nach sei die Kneipenkultur der vergangenen Jahrzehnte am Abebben: "Was sich die Spät-68er kuschelig zusammengebastelt haben, ist nicht mehr zeitgemäß."

Die Schließung anderer Kneipen-Legenden belegt diese These. Das Insbeth in der Bahrenfelder Straße im Herzen Ottensens stellte Ende September den Betrieb ein, das Gestern & Heute in der Kaiser-Wilhelm-Straße steht seit Monaten leer, und das Schotthorst im Eppendorfer Weg ist gleichfalls nur noch Vergangenheit. Zwar wurde die Pinte Max & Consorten in St. Georg zwei Häuser weiter wiedereröffnet, doch hat auch sie ihre Heimat verloren. Das alte Haus musste einem profitableren Neubau weichen. Diese Entwicklung steht im Einklang mit dem Aus weiterer Tante-Emma-Läden und bekannter Spezialgeschäfte.

Rar sind sie geworden, die gepflegten Horte um die Ecke. Schankwirtschaften wie Dieze in der Rappstraße, "immer schon" Quell dürstender Studenten und ihrer Dozenten. Stammgast dort ist der Trendforscher Peter Wippermann. "Die Tendenz ist ähnlich wie bei den Briefmarkensammlern oder Märklin-Freunden", sagt der Professor: "Das Stammpublikum stirbt aus, und es wächst kein neues nach." Die Jüngeren verabredeten sich per SMS oder träfen sich im Chatroom. "Die Kneipe als Kommunikationszentrum um die Ecke hat ausgedient. Leider."