Wieder verschwindet ein Stück Hamburg. Die Kneipe Max & Consorten in St. Georg schließt am Wochenende, ein neues Mietshaus entsteht. Ein Beispiel für Gentrifizierung.

"Hier ist alles, wie es immer war", sagt Walter Diekmann. Er sitzt mit seinem Bier vor der Mittelsäule, am "hässlichsten Ofen der Welt", von dort aus hat er einen guten Überblick. Seit 25 Jahren ist das sein Stammplatz, immer wenn er auf Montage in Hamburg ist. Am Unileverhaus hat der Ostfriese mitgebaut, sogar an der Elbphilharmonie. Alles in Hamburg verändert sich, "Max" hat sich nie verändert. Sogar die Pinnwand mit den ausländischen Geldscheinen hängt über dem Tresen wie vor 20 Jahren. Aber nur noch bis Sonnabend. Denn am Sonntag ist nach 31 Jahren Schluss. Max macht dicht. "Man weiß gar nicht, wo man dann hingehen soll", sagt Diekmann.

Gerhard Allroggen, emeritierter Musikprofessor, sitzt mit Bier und Zeitung am Eingang zum Hinterzimmer und sagt genau dasselbe. 2001 sei er von Sasel nach St. Georg gezogen. Zuerst ging er ins Villon, das schon vor ein paar Jahren schloss. "Da kamen immer gut gelaunte Leute rein, die sich bei Max schon einen angezwitschert hatten. Das wollte ich mir mal ansehen." Allroggen kam und blieb. "Max ist mein zweites Wohnzimmer", sagt er. Auch er muss sich jetzt ein anderes suchen.

Aber so einfach geht das nicht. So ein Wohnzimmer muss wachsen. Es verdient sich diesen Namen über Jahre. Durch Gesichter, kleine Erlebnisse, hitzige Debatten, manchmal auch durch In-Ruhe-vor-sich-Hinsinnen. Und durch ein Zentrum: den Wirt.

Vom Theater an die Theke - und das seit 31 Jahren

Max Schönke ist 67 und sagt selbstbewusst: "Ich bin ein 68er. Aber nicht der mit der roten Fahne." Eigentlich ist er ein Theatermann. Nach dem Studium an der Hochschule für bildende Künste wollte er "in die Regie gehen, landete aber in der Produktion". Mit 27 war er Produktionsleiter und holte die Musicals "Anatevka" und "Hair" aus den USA nach Hamburg. Mit 36 kam er auf die Idee, dass er seine eigene Kneipe haben wollte.

"Meine Mutter lebte damals noch", erzählt er. "Eine Kneipe, das fand sie ein bisschen anrüchig. Sie sagte: Na gut, aber nur, wenn ich die Koteletts braten darf." 1979 kaufte Max die Wirtschaft in dem kleinen gelben Haus am Spadenteich. Mit einem großen Gastraum und einer Kegelbahn im Hinterzimmerschlauch.

Für Max war es genau die richtige Größe. Und es war die Blütezeit der neuen Kneipenkultur. Irgendwo mussten die neuen Bürgerinitiativen, Frauengruppen und Dritte-Welt-Zirkel ja ihr Bier trinken. Mittags kamen die Angestellten aus den umliegenden Läden und Büros, abends aus den WGs und aus dem Schauspielhaus. Oder vom Hauptbahnhof und vom ZOB, die damals noch so hässlich waren, dass viele lieber bei Max & Consorten auf die Weiterfahrt warteten. Und in den 80ern kamen auch die Schwulen, die - nach dem amerikanischen Stadtentwicklungsexperten Richard Florida - ein zuverlässiger Indikator für die Bildung von Kreativquartieren sind. Es lief so gut, dass Max zwischendurch Zeit fand, ein halbes Jahr im Lkw nach Nepal zu fahren. Dann wurde er auch noch Heilpraktiker. Aber zum Glück blieb er doch Wirt.

Das Max-Haus wird abgerissen, aber die Pappbude nebenan bleibt

Von Anfang an war ihm klar, dass er mit einer Kündigung rechnen musste, wenn der Hauseigentümer einen Neubau plant. Vor sieben Monaten kam sie dann. "Das Haus ist nicht denkmalgeschützt", sagt Max. "Im Mietvertrag stand eine Abrissklausel, die hab ich unterschrieben. Ich trete nicht nach. Der Eigentümer ist immer fair mit uns umgegangen. Nur eins verstehe ich nicht. Warum werden wir plattgemacht, und die Pappbude bleibt stehen?" Die Pappbude ist der Asia-Markt nebenan.

Eigentümer des Max & Consorten-Grundstücks ist die Wohnungsbaugesellschaft Plambeck in Norderstedt. Geschäftsführer Horst Elbracht hat vor 31 Jahren den Mietvertrag mit Max geschlossen. Am liebsten hätte die Firma die gesamte Ecke Spadenteich/Lange Reihe neu bebaut. Aber das Eckgrundstück mit der "Pappbude" gehört einer Erbengemeinschaft, die partout nicht verkaufen will.

Ein Neubau war nur auf dem Kneipengrundstück möglich. Elbracht verweist auf einen rechtskräftigen Bebauungsplan. "Wir bauen keine Eigentums-, sondern Mietwohnungen, das ist erwünscht", sagt er. Es wurde sogar ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, in der Jury saßen CDU, SPD und GAL. Der Siegerentwurf des Architekten Kitzmann zeigt ein sechsgeschossiges Mietshaus mit zwölf Wohnungen und Gewerbe im Erdgeschoss.

Und warum keine Kneipe im Erdgeschoss? "Eine In-Kneipe lässt sich schwer in ein neues Miethaus verpflanzen", meint Elbracht. Schon allein wegen der Außenplätze und der anzunehmenden Lärmbelästigung. "Da kann man ein neues Wohnhaus nicht gleich mit Erschwernissen belegen." Max Schönke ist überzeugt, dass die Miete steigen würde. "Wenn ich 30 Euro pro Quadratmeter zahlen müsste, kann ich kein Bauernfrühstück für sechs Euro mehr anbieten. Und dann bin ich nicht mehr Max."

Es ist ein klassischer Fall von Gentrifizierung: Nach Jahrzehnten verschwindet eine Institution, weil der Stadtteil boomt und neue Bewohner anzieht. Aber in dieser Gentrifizierungsgeschichte gibt es keinen bösen Investor und keine Heuschrecke. Alle Beteiligten handeln plausibel. Der Bezirk will neue Wohnungen, Plambeck will sie bauen, und Vertrag ist Vertrag. Keiner will, dass Max verschwindet. Und keiner kann es verhindern.

Dabei wird seit Monaten in St. Georg über Milieuschutz gesprochen. Anfang des Jahres beschloss der Bezirk Mitte, einen Schutzschirm über St. Georg aufzuspannen: Eine Soziale Erhaltensverordnung soll verhindern, dass günstige Mietwohnungen im Quartier in teure, luxussanierte Eigentumswohnungen umgewandelt werden, sagt Farid Müller, GAL-Wahlkreisabgeordneter für Hamburg-Mitte. Im Juni gab der Senat grünes Licht für die abschließende Prüfung und Genehmigung bei der Stadtentwicklungsbehörde.

Und wo, bitte, bleibt jetzt der Milieuschutz für Max?, fragen sich die Stammgäste.

Eine Gesetzeslücke? Es gibt keinen Milieuschutz für Kneipen und Geschäfte

Das Problem: Kneipen fallen in eine Lücke. Die Soziale Erhaltensverordnung gilt nur für Mietwohnraum, nicht für Gewerbe- oder Handwerksbetriebe. "Es gibt auch an der Langen Reihe Klagen, dass immer mehr Kleingewerbe durch steigende Mieten an den Rand gedrängt werden", sagt Farid Müller. "Aber für deren Schutz haben wir keine gesetzliche Handhabe. Ich würde mir schon wünschen, dass ins Baurecht ein entsprechender Zusatz für gewerbliche Mieten aufgenommen wird. Sie erhalten ja auch ganz wesentlich den Charme eines Stadtteils." Dafür wäre aber der Bundestag zuständig. Und die Diskussion wird schwierig: Es gibt in Deutschland Vertragsfreiheit.

"Es waren gerade kleine Betriebe, die den Stadtteil originell gemacht haben", hält Gode Wilke vom Einwohnerverein St. Georg dagegen. "Natürlich kann man St. Georg nicht zum Museum machen. Aber der Bezirk hat zu spät auf die Veränderungen reagiert. Auf die haben wir schon vor zehn Jahren hingewiesen."

Die Vorstudie zur Sozialen Erhaltensverordnung, die das Bezirksamt 2009 erstellen ließ, gibt Gode Wilke recht: Sie belegt deutliche Veränderungen in der Mieterstruktur und bei den Mietpreisen schon seit dem Jahr 2000. Bereits ein Viertel der frei finanzierten Wohnungen im Stadtteil sind Eigentumswohnungen. Wohnraumverbesserungen - tendenziell eher Luxus- als Standardmodernisierungen - führen in der Regel zu Mieterhöhungen "um vier oder mehr Euro pro Quadratmeter".

2001 lag die durchschnittliche Nettokaltmiete bei 6,35 Euro pro Quadratmeter, aktuell liegt sie bei 12,10 Euro. "Der auffällige Rückgang der Ausländer und Kinder (Familien) muss als ein Hinweis auf Verdrängungsprozesse gewertet werden", so die Studie: Gerade Familien könnten sich die gestiegenen Mieten nicht mehr leisten.

Die Studie beschreibt auch den Druck - besser gesagt: den Drang - der Eigentümer, jeden Quadratmeter effektiver zu nutzen. Für Peggy Parnass, die seit Jahrzehnten in St. Georg lebt, ist das nichts Neues. "Man hätte das Haus von Max & Consorten rechtzeitig unter Denkmalschutz stellen sollen", sagt sie. "Mir hat dieses gelbe Haus immer gefallen. Es hatte etwas Uriges. Und ich bin gern dort gewesen. Die Atmosphäre war immer lebendig und warm." Das Besondere an "Max & Consorten", meint sie, war Max.

Und Max hatte als Wirt auch immer ein Herz für Frauen. "Mir war wichtig, dass Frauen alleine kommen konnten, ohne dauernd angebaggert zu werden", sagt er. Da hab ich immer aufgepasst."

Was die Gäste an Max & Consorten übereinstimmend schätzen, ist das gemischte Publikum. "Ein angenehmer Mix, es gibt keine sozialen Gegensätze", sagt Professor Allroggen. "Es war immer leicht, hier mit jemandem ins Gespräch zu kommen", sagt auch der Monteur Diekmann. "Das ist keine Schauspieler- oder Szenekneipe, sondern eine Stadtteilkneipe", meint die Journalistin Peggy Parnass, die ein paar Straßen weiter wohnt.

Aber Theaterleute waren auch immer da. Monica Bleibtreu zum Beispiel oder Drafi Deutscher. Jürgen Flimm, Ulrich Tukur, Tom Stromberg. "Ute Lemper saß immer dahinten", sagt Max und zeigt auf eine Bank. "Und Ulrich Wildgruber, der setzte sich ganz bescheiden in eine Ecke. Die wollten nicht erkannt werden. Die wollten hier in Ruhe ihre Bratkartoffeln essen."

Der Straßenstrich gleich nebenan hat ihn nicht gestört. Aber in den 80ern breitete sich rund um den Hauptbahnhof die offene Drogenszene aus. Gegenüber gab es billige Hotels, in denen Junkies ein und aus gingen. In den Kellereingängen warteten die Dealer. "Das war eine schlimme Zeit", sagt Max. "Ich hab immer an der Tür gesessen und aufgepasst, wer reinkam." Er hielt die Kneipe clean.

Hier wurden leise Abschiede und laute Wiedersehen gefeiert

Der Maler Peter Grochmann, der um die Ecke wohnte, schenkte der Kneipe das große Gemälde an der linken Wand, auf dem neben Max und seiner Frau Astrid auch zahlreiche Stammgäste erkennbar sind. Auch wenn sich immer mehr Touristen einfanden, blieb Max & Consorten eine Stadtteilkneipe. Da konnte auch ein schwules Paar knutschen. Bei Max & Consorten wurde Skat gespielt, wurden Kinder gestillt, furchtbar anstrengende Beziehungsgespräche geführt, leise Abschiede und laute Wiedersehen gefeiert. Wenn jemand im Hinterzimmer friedlich verstürbe, hielten viele das für den schönsten Tod von allen. Die Wände durften ruhig dunkeln, das ist die Patina des Vertrauens.

"Wir haben uns intensiv um einen Ersatzraum bemüht", sagt Helmut Voigtland vom Bürgerverein. "Das ist aber sehr schwierig. Finden Sie mal eine Location mit 30 Außenplätzen! Aber wir geben nicht auf." Für Max käme nicht jeder Standort infrage. Er sieht die Kündigung als Zäsur. "Am 31.7. machen wir ein großes Abschiedsfest für alle, die uns Tschüs sagen wollen." Mit allen Mitarbeitern und Ehemaligen; mit Swaran Singh, der seit 26 Jahren als Koch in der Küche steht. Es gibt Gulasch und Bier, solange es reicht.

Dann ist es vorbei.

Max hatte schon angefangen, die Einrichtung zu verkaufen. Bis ihn eine Stammgast beiseite nahm und sagte: Falls er doch weitermache, müsse es ein paar Dinge mit Wiedererkennungswert geben. Jetzt werden die Möbel und der dunkle Holztresen eingelagert. Für viele ist das ein Hoffnungsschimmer.