Der Schriftsteller und gebürtige Barmbeker Ralph Giordano schreibt über seine Gedanken und Erinnerungen zum Tode von Loki Schmidt.

Köln. Mein erster Gedanke auf die Nachricht von Loki Schmidts Tod, eine spontane Reaktion: Was, um Himmels willen, wird Helmut Schmidt jetzt machen?

Gleich danach aber, wie von selbst gerufen, stehen vor mir aus Ovids Metamorphosen "Philemon und Baucis" auf, das wunderbar rührende, hochbejahrte, treue Ehepaar, beseelt von Wunsch nach gleichzeitigem Tod. Der ihnen von den Göttern dann auch gewährt wird: Er, Philemon, wird in eine Eiche, sie, Baucis, in eine Linde verwandelt. Die Geschichte einer ewigen Liebe, die mich von Jünglingszeiten an bis zu Tränen gerührt hat.

Davon bin ich auch jetzt nicht allzu weit entfernt, obwohl ich Loki Schmidt persönlich seltener begegnet bin als Helmut Schmidt, und auch das war nicht häufig. Trotzdem möchte ich dazu etwas sagen, ohne mich in die Riege derer zu stellen, die nun im Nachruf eine Nähe zur Verstorbenen herstellen, die es in Wahrheit nie gegeben hat.

Zunächst: Wer hat so Hamburgisch gesprochen wie Loki? Auch ich nicht. Mein Vergnügen daran hat nie nachgelassen. Ich konnte darin ertrinken.

Wie jetzt gerade in dem Film von meinem alten Freund und Kollegen Georg Stephan Troller, der aus Anlass ihres Todes heute Nacht noch einmal vom ZDF ausgestrahlt worden ist. Dabei gelang es diesem Zauberer aus Paris, Loki Bekenntnisse zu entlocken, wie es keinem zuvor je gelungen war - und nun auch niemandem mehr gelingen kann.

Ein letzter Gruß: Hunderte Menschen schrieben persönliche Worte in die Kondolenzbücher

Meine erste Begegnung mit den Schmidts fand in ihrem Domizil am schleswig-holsteinischen Brahmsee statt, auf Einladung Helmut Schmidts.

Wir waren beide in Barmbek geboren, er 1918, ich 1923. Aber die Distanz zwischen unseren Geburten war größer als die räumliche unserer Wohnungen, allemal war der Barmbeker Bahnhof nahe. Grund der Einladung: Der Hausherr hatte meine Hamburger Familien- und Verfolgten-Saga "Die Bertinis" gelesen und daraufhin auf dem Stadtplan nach der "Lindenallee" gesucht, jener Straße, die über eine lange Strecke des Buches Hauptschauplatz des Geschehens war. Er habe sie aber nicht gefunden, wie ich nun erfuhr. Konnte er auch nicht, weil die Straße nur im Buch so heißt, in Wirklichkeit aber die "Hufnerstraße" war ... Ich erinnere mich gut, dass ich einige Mühe hatte, mein Amüsement über die selbstverständliche Gleichsetzung von Roman und Realität vor dem Hochgebildeten zu verbergen.

Während des Gespräches war Loki immer dabei, aber nicht stationär auf einem Stuhl, sondern im Raum nomadisierend und durch Einwürfe am Gespräch beteiligt. Der "dritte Mann" sozusagen, mit diesem unverwechselbaren "Dialekt" und, wie er, natürlich kettenrauchend.

Ich litt - Zigarettenrauch macht mir Kopfschmerzen. Aber natürlich sagte ich kein Wort. Später bin ich mit Loki an den nahen See getreten, wobei sie mir von Blumen, Pflanzen und Schleswig-Holsteins Himmel sprach - ganz Naturschützerin und -liebhaberin. Oft genug verspottet als die "Schmidt mit ihren Blüten", hat auch diese Liebe sie weltberühmt gemacht. Dann ihr Umgang mit Kindern, Loki Schmidts herrliche Drögheit dabei, die so rasch den Weg zu den kleinen Herzen fand.

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Was mich bei diesem Besuch am Brahmsee tief erschreckte, war die längst zur Routine gewordene Selbstverständlichkeit der "Bodyguards", der Tag-und-Nacht-Bewachung - eine offenbar in Loki und Helmut Schmidts Leben fest integrierte Institution.

Als ich dann selbst an der Reihe war, "geschützt" zu werden, erst vor deutschen Rechtsextremisten, später dann vor radikalen Muslimen, reagierte ich, mit diesen Bildern im Kopf, allergisch. "Lieber abgemurkst als nie allein", lautete und lautet die Formel einer ziemlich unverantwortlichen Selbstrechtfertigung.

Was Loki Schmidt darüber empfand, bleibt mir verschlossen. Meine Frage hat sie mit einer Handbewegung beantwortet, und die besagte: "Wat mutt, dat mutt."

Bei der Rückfahrt hämmerte es in meinem Kopf: In was für einer Welt, verdammt noch mal, leben wir eigentlich ...?

In einem waren Loki und Helmut Schmidt verwandt, und auch wieder nicht - Gefühle zu zeigen.

Ganz grundsätzlich trägt der Hamburger sein Herz nicht auf der Zunge, und da machten beide keine Ausnahme. Nur gab es bei Loki Schmidt mehr Ausnahmen von der Ausnahme als bei ihm. Bei ihr sprudelte es manchmal nur so heraus, unexaltiert, knorrig, sich immer im Zaune haltend, aber tief von innen heraus. Was man sich bei Helmut Schmidt nur schwer vorstellen konnte.

Umso eindrucksvoller, wo er Gefühle zeigte. Dafür drei Beispiele: das eine von ihm selbst bekannt, die anderen von mir beobachtet. Als ihn in Bonn die Nachricht erreichte, dass alle Insassen der von arabischen Terroristen entführten Maschine in Mogadischu unversehrt freigekommen waren, "da bin ich in einen Nebenraum gegangen und habe geweint", so der Altkanzler jüngst aus eigenem Mund. Dann bei der Trauerfeier für den Ermordeten Hanns-Martin Schleyer, den Schmidts Entscheidung gegen die RAF-Erpresser in deren Gewalt belassen hatte, neben der Witwe - er war trotz aufrechter Haltung innerlich wie bis zur Unkenntlichkeit gekrümmt.

Und schließlich Helmut Schmidts Trauerrede zum Tod von Marion Gräfin Dönhoff in der Hamburger Michaeliskirche. Da stockte seine Stimme, konnte er Bewegung nicht verbergen. Ich hatte danach das dringende Bedürfnis, ihm die Hand zu drücken.

Wie jetzt auch.

Denn der Wunsch nach einem gleichzeitigen Tod ist hier nicht erfüllt worden. Ich aber muss gestehen, dass ich mir in dieser Liebesgeschichte ohne Ende Philemon-Helmut ohne Baucis-Loki nicht vorstellen kann.