Das Terrornetz al-Qaida plante offenbar mehrere Anschläge in europäischen Metropolen - US-Geheimdienste töteten die Drahtzieher in Pakistan.

Sheikh Fateh al-Masri wusste um die Bedrohung für sein Leben. Der kampferfahrene Ägypter bewegte sich daher nur mit äußerster Vorsicht in der zerklüfteten pakistanischen Region Nordwaziristan nahe der Grenze zu Afghanistan. An diesem Tag war er zusammen mit drei Getreuen im Dorf Datta Khel unweit der Stadt Miranshah in einem Datsun-Kleinlaster unterwegs. Die "Hellfire"-Rakete, abgefeuert von einer amerikanischen Kampfdrohne des Typs MQ-9 "Reaper", kam aus dem Nichts. Sheikh Fateh al-Masri, Kampfname "Abu Razzaq", wurde ebenso zerrissen wie zwei seiner drei Begleiter.

Die US-Streitkräfte hatten allen Grund, seinen Tod als Erfolg zu feiern, denn Sheikh Fateh war der "Emir" oder Führer des Terrornetzwerks al-Qaida für die Großregion Afghanistan, Pakistan, Tadschikistan, Usbekistan und Iran. Er hatte diesen hohen Posten erst vor vier Monaten von der Nummer drei im Machtgefüge al-Qaidas übernommen, dem Ägypter Mustafa Abu el-Jasid, Gründungsmitglied des Terrornetzwerks und zeitweiligem Finanzchef. El-Jasid war ebenfalls von einer US-Drohne getötet worden. Die gezielte Eliminierung al-Masris ist Teil einer laufenden amerikanischen Offensive gegen militante Islamisten auf pakistanischem Boden. Seit Anfang September hat sich die Zahl dieser Angriffe mit ferngelenkten Kampfdrohnen sowie Spezialeinheiten der CIA und der Armee vervielfacht. Allein im September sollen nach US-Angaben mehr als 120 militante Islamisten dabei ums Leben gekommen sein.

Die mit Bomben und Raketen bestückten "Reaper"-Drohnen und ihr kleinerer Vorgänger MQ-1 "Predator" werden zwar von örtlichen "Piloten" gestartet, dann aber von Spezialisten auf der US-Luftwaffenbasis "Creech Air Force Base" 56 Kilometer nordwestlich von Las Vegas im US-Bundesstaat Nevada ferngelenkt geflogen.

Der Schauplatz dieser tödlichen Jagd - die pakistanischen "Stammesgebiete unter Bundesverwaltung" (Fata) - ist ein Sonderterritorium und etwas kleiner als das Bundesland Brandenburg. Sie werden in weiten Teilen von den pakistanischen Taliban und al-Qaida kontrolliert. Daran hat auch eine Großoffensive der pakistanischen Armee mit Hunderten Toten im vergangenen Frühjahr wenig geändert. Auch Al-Qaida-Führer Osama Bin Laden wird in dieser Region vermutet.

+++ Hamburg ist wichtige Adresse für Islamisten +++

Doch erst im Licht der neuen Enthüllungen über vereitelte Pläne von Terroranschlägen in Europa erhellt sich der Hintergrund der dortigen US-Offensive. Das amerikanische Militär beabsichtigt, die führenden Köpfe der Terrororganisation und ihrer diversen Filialen gezielt auszuschalten, um Terrorplanungen zu erschweren oder ganz zu unterbinden. Der pakistanische Terrorexperte und Buchautor Imtiaz Gul sagte, al-Qaida könne auf diese Weise ihr hochrangiges Personal verlieren. Gul berichtete ferner, dass die CIA ihre Aufklärungsoperationen in den Stammesgebieten ausgeweitet habe.

Die brisanten Informationen über eine geplante Welle von Terroranschlägen in europäischen Städten waren jedenfalls nach amerikanischen und britischen Medienberichten offenbar der Auslöser der laufenden Liquidierungsaktionen des US-Militärs. Hauptquelle waren demnach die Aussagen des Hamburgers Ahmad S., der im März 2009 mit zehn anderen Hamburger Islamisten in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet gereist war, um sich dort in Terrorcamps ausbilden zu lassen. Im Spätsommer wurde S., Mitglied der militanten "Islamischen Bewegung Usbekistans", auf dem Rückweg nach Europa von den Amerikanern abgefangen und in das berüchtigte Militärlager Bagram nördlich von Kabul gebracht, wo er derzeit einsitzt.

Dieses US-Militärgefängnis beherbergt rund 700 Häftlinge ohne üblichen Rechtsstatus. Berichten des Roten Kreuzes nach existiert neben dem offiziellen Lager dort noch ein geheimes Folterzentrum. 2002 starben in Bagram zwei Gefangene, nachdem sie durch US-Soldaten brutal geschlagen wurden.

Der 36-jährige S., der in Bagram vom US-Geheimdienst verhört und dem Vernehmen nach als "wichtige Quelle" eingestuft wurde, sagte aus, mehrere Terror-teams, die in Ausbildungslagern in Waziristan trainiert worden seien, hätten zeitgleich Anschläge auf Metropolen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien verüben sollen - möglicherweise nach dem Muster der verheerenden Terroranschläge auf die indische Stadt Mumbai, das ehemalige Bombay, im November 2008. Damals hatten pakistanische Terroristen der Gruppe Lashkar-i-Taiba 173 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt. Auch in Europa seien "ökonomische und weiche Ziele" im Visier al-Qaidas gewesen, soll S. gesagt haben. Mit dem militärischen Terminus "weiche Ziele" werden Menschen bezeichnet. S. behauptete, der Plan sei von al-Qaida-Führer Osama Bin Laden persönlich abgesegnet worden. Alle für die Anschläge vorgesehenen Kämpfer hätten europäische Pässe besessen. Für ein geplantes "Mumbai-Szenario" in europäischen Städten gibt es nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden allerdings derzeit keinerlei konkrete Hinweise.

Nachdem die Geheimdienste Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und der USA ihre Informationen über militante Islamisten und die Terroraktivitäten in den Stammesgebieten Pakistans ausgetauscht hatten, intensivierten die USA ihre Angriffe dort noch einmal erheblich. Mit den schweren Bombardements auf Ausbildungslager und der Liquidierung von Terrorführern wie Sheikh Fateh al-Masri sei die Ausführung des Plans schließlich vereitelt worden, hieß es im Londoner "Daily Telegraph". Eine offizielle Bestätigung dafür gibt es nicht.

Die Bedrohung war von hohen amerikanischen Regierungsbeamten immerhin als "glaubhafte Gefährdung" eingestuft worden, wie der US-Sender ABC News berichtete. US-Präsident Barack Obama sei sofort darüber informiert worden. Wie der britische Sender SkyNews meldete, seien die Planungen zwar bereits weit fortgeschritten gewesen, Anschläge hätten allerdings nicht unmittelbar bevor gestanden. SkyNews berichtete, die Hinweise auf das "Mumbai-Szenario" hätten sich aufgrund von Informationen von Sicherheitskreisen ergeben.

In Frankreich wurde der 300 Meter hohe Eiffelturm gestern zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen geräumt. Frankreichs Polizeichef Frederic Pechenard sagte vor wenigen Tagen, aufgrund von Hinweisen von "befreundeten Diensten" sei höchster Terroralarm ausgelöst worden. Es gebe "ernsthafte Beweise aus verlässlicher Quelle" für das Risiko eines größeren Terrorangriffs auf Frankreich. Allerdings bezog sich diese Warnung offenbar nicht direkt auf die Aussagen von Sidiqi, sondern vorwiegend auf die Umtriebe der Organisation "Al-Qaida im Islamischen Maghreb" (AQIM), die vom Nahen Nordafrika aus mögliche Anschläge in Frankreich plant. Sie ist aus den mörderischen algerischen Islamistenorganisationen hervorgegangen und gilt als eine der gefährlichsten und bestorganisierten Terrorgruppen der Welt.

Der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, hatte kürzlich gewarnt, bei 70 der rund 400 radikalen Islamisten in Deutschland gebe es konkrete Hinweise, dass sie "in Terrorcamps eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben". 130 dieser 400 Islamisten seien einem gewaltbereiten Kern zuzuordnen. Im vergangenen Oktober hatten die deutschen Sicherheitsbehörden auf einem Propaganda-Video der deutschen Dschihadisten unter anderem den Hamburger Shahab D. identifiziert. Der gebürtige Iraner posierte in dem Clip mit Kalaschnikow-Scharfschützengewehr als "Abu Askar". Shahab D. war nach Informationen des "Focus" Anfang März 2004 mit seiner Freundin und drei weiteren Hamburgern über Katar nach Peschawar in Pakistan geflogen, um sich dort der Terrorgruppe IBU anzuschließen.

Zu den militanten Organisationen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet gehört auch die IBU ("Islamische Bewegung Usbekistans"), dessen Mitglied der Hamburger Ahmad S. ist. Diese Gruppe wurde 1996 im Exil ursprünglich als Widerstandsinstrument gegen die usbekische Regierung gegründet. Sie machte um die Jahrtausendwende erstmals Schlagzeilen mit blutigen Anschlägen in Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan. Ihre Trainingslager unterhält die IMU, die auf rund 150-200 Kämpfer geschätzt wird, in den Stammesgebieten Pakistans; sie ist dort eng mit al-Qaida und den Taliban verbunden.

Der US-Sender ABC News zitierte den deutschen Terrorexperten Guido Steinberg mit der Einschätzung, viele der deutschen Dschihadisten in Pakistan würden getötet - "doch jene, die zurückkehren, stellen eine Bedrohung dar". Nach Angaben von Steinberg würden die deutschen Dschihadisten in den Moscheen von Berlin, Bonn und Hamburg rekrutiert.