Wer eine Frachtschiff-Fahrt auf einem norddeutschen Kanal mitmacht, erlebt eine ganz besondere Stimmung durch die internationale Crew, die dort klar Schiff (und Spaß) macht.

Hamburg. Auf dem Nord-Ostsee-Kanal wirkt die MS "Flottbek" mit ihrem hohen weißen Deckshaus wie ein beweglicher Aussichtsturm, der sich durch die schleswig-holsteinische Landschaft zu schieben scheint. Unten an Deck hantieren zwei philippinische Seeleute mit dicken Schläuchen. Der erste Offizier, ein Russe, eilt gestikulierend herbei. "Ja, auch an Bord von deutschen Frachtschiffen geht es heutzutage international zu", kommentiert Kapitän Knud Wolters das Geschehen. "Sie sollten erst mal meinen Bootsmann kennenlernen", sagt er und greift nach einem Funkgerät: "Bist du da?"

Ein kurzes Knacken, dann antwortet eine knarzige Stimme mit norddeutschem Klang: "Jooooo?"

"Kannst du mal auf die Brücke kommen?", fragt Wolters.

"Dat geiht nu nicht", schnarrt es aus dem Lautsprecher.

"Doch mutt", sagt Wolters. "Da ist jemand, der will eine Story über dich schreiben."

Wolters lacht laut auf. Grinsend schauen ihn auch die beiden Kanallotsen an, die die "Flottbek" auf der schwierigen Fahrt bis Brunsbüttel begleiten. Das Schiff der Reederei Hamburger Lloyd (RHL) ist heute aus Skandinavien zurückgekehrt. Langsam, mit kaum mehr als zwölf Stundenkilometern Fahrt, schleicht der dunkelblaue Frachter durch die engen Kanalschleifen. Gut 1600 Container kann die "Flottbek" tragen - ein typisches Containerschiff, wie die meisten der etwa 12 000 Seeschiffe, die jährlich den Hamburger Hafen anlaufen. Und doch verfügt die 2005 in Dienst gestellte "Flottbek" über eine Besonderheit: In einem eigenen Deck hat die Reederei Doppel- und Einzelkabinen für acht Passagiere einbauen lassen. Oft hat Wolters daher zahlende Gäste an Bord, die das Reisen und den Seemannsalltag auf einem Frachtschiff erleben wollen.

"Moin!", grüßt Bootsmann Torsten Taataa, als er auf die Brücke kommt. Der stämmige 57-Jährige sieht kein bisschen so norddeutsch aus wie er sich anhört. Seine Haut ist braun, seine Haare lockig. Und geboren wurde er, wie er bald verrät, auf Tuvalu in der Südsee. Als 17-Jähriger hat er auf der Insel andere Jugendliche gesehen, die ein Moped besaßen. "Luxus war das", erzählt Taataa. Die Jungs fuhren als Seeleute auf deutschen Schiffen - ein Weg, den er schließlich auch einschlug. Er wurde Schiffsbetriebsmeister und fand schließlich eine neue Heimat in Schleswig-Holstein, wo er schon lange glücklich verheiratet ist und sich auch das Plattdeutsch abgehört hat. "Dass ich mal Haus und Garten in Plön habe - nee, das hätte ich damals in der Südsee nie gedacht", sagt er und fällt schallend in das Gelächter auf der Brücke ein. Eine entspannte Atmosphäre herrscht hier oben - und nur bei genauem Blick sieht man, wie Kapitän und Lotsen doch immer wieder konzentriert das Geschehen auf dem Kanal beobachten.

Die schwere Tür vom Treppenhaus öffnet sich wieder und Jesus Tubieae, der philippinische Steward in weißem Kellnergewand, balanciert ein Tablett mit Kaffee und Kuchen herein. Er ist ein wenig außer Atem von den vielen Treppenstufen, die er von der Kombüse und der Messe hier hochsteigen musste. Es ist eine zweigeteilte Welt dort unten: In der Mannschaftsmesse essen die einfachen, meist philippinischen Seeleute aus der Decks- und Maschinencrew Reis und Fisch.Nebenan, nur geteilt durch die Kombüse, serviert Steward Tubieae in der gediegenen Passagier- und Offiziersmesse heute der deutsch-lettisch-russischen Führungsmannschaft an Bord Steaks mit Backkartoffeln und Pilzen, Spargelsuppe vorweg und Eis zum Nachtisch. "Sehr gutes Essen hier", loben die Lotsen, die sich auf der Brücke abwechseln. So eine prima Küche gebe es nicht auf jedem Schiff. Auch Kapitän Wolters ist überaus zufrieden mit seinem Koch Ronald Valdez.

Eigentlich hat der 45-jährige Familienvater Valdez aus der Nähe von Manila einmal Agrarwissenschaften studiert. Doch auf den Philippinen habe er damit nicht genügend Geld verdienen können. Wie so viele seiner Landsleute heuerte Valdez daher auf Schiffen an. Schätzungen zufolge arbeiten knapp 300 000 Filipinos als Seeleute für ausländische Arbeitgeber. Rund 1000 Euro im Monat verdient ein philippinischer Seemann, mit Überstunden oder Führungsaufgaben auch mehr. Wenig Geld in Deutschland, viel in seiner Heimat.

Sechs, manchmal sogar neun Monate arbeiten die Filipinos am Stück - dann gibt es ein paar Wochen Urlaub. Bis wieder eine Crewvermittlung anruft, einen neuen Job auf einem anderen Schiff, bei einer anderen Reederei anbietet. Auch Valdez ist erst vor einiger Zeit neu auf die "Flottbek" gekommen.

Zuvor war er Koch auf dem Gastanker "Longchamp". Es war das erste deutsche Schiff, das 2009 von somalischen Piraten überfallen wurde. Wochenlang hatte er Todesangst, wurde als Geisel täglich mit Waffen bedroht. Zu Hause fürchteten seine Frau und die kleinen Kinder um sein Leben. "Das Schlimmste aber war, dass ich nicht nach Hause konnte, als meine Mutter im Sterben lag." Trotz dieses traumatischen Erlebnisses - einen Ausstieg aus dem Seefahrerleben kann er sich nicht leisten, sagt er. Nur eines hat sich der Koch geschworen: Nie wieder auf einen langsamen Tanker und nie wieder in den Golf von Aden! Auf der MS "Flottbek" muss er keine Angst haben. Das Schiff ist für einen Dienst verchartert, der Norddeutschland und Antwerpen mit skandinavischen und russischen Häfen verbindet.

Hoch sind die dunkelgelben und roten Container gestapelt, jetzt auf der Rückfahrt gefüllt mit Papier. Sanft brummt die Maschine, ein leichtes Vibrieren wiegt den Gast in der kleinen, aber gemütlichen Passagierkabine in den Nachmittagsschlaf. Gegen 19 Uhr ist schließlich die Schleuse in Brunsbüttel erreicht. In der Nacht wird Kapitän Wolters nach Antwerpen weiterfahren. Einige Wochen noch hat die "Flottbek"-Crew Dienst, pendelt zwischen Nordsee und Ostsee. Dann erst geht es für viele an Bord in den Urlaub nach Hause:

Für Kapitän Wolters nach Rissen, für Schiffsoffizier Ryaposov nach St. Petersburg, für Koch Valdez nach Manila und für Südsee-Bootsmann Torsten Taataa nach Plön.

Wer selbst einmal auf einem Frachtschiff mitreisen möchte: Die Reiseagentur der Hamburger Reederei Hamburg-Süd "Hamburg-Süd-Frachtschiffreisen" hat Fahrten von 50 Reedereien im Programm vermittelt solche Touren. Viele starten und enden in Hamburg: Eine 14-tägige Ostsee-Nordsee-Rundreise wie etwa mit der MS Flottbek kostet bei voller Verpflegung ab 1565 Euro pro Person. Infos: www.hamburgsued-frachtschiffreisen.de , Tel. 040/3705157