Das Herz der Metropole schlägt im Hafen. Die Hansestadt und die Elbe gehören zusammen wie hier der Fisch und sein Brötchen

In Hamburg lernt man, dass Erdkunde manchmal Glaubenssache ist. Schon südlich von Harburg wähnen viele Deutsche die Hansestadt nur einen Steinwurf von der Nordsee entfernt; und Besucher aus Gefilden südlich des Weißwurst-Äquators fragen an heimischen Hotelrezeptionen gern nach dem schnellsten Weg zum Strand. Es dürfte weltweit keine weitere Stadt geben, die so maritim tickt, obwohl mehr als 100 Kilometer Flussweg sie von der offenen See trennen. Ja, Hamburg liegt am Meer. Zwar nicht geografisch, aber gefühlt, kulturell, wirtschaftlich.

Wer daran zweifelt, dem sei ein Ausflug an den Elbstrand empfohlen. Hier spielt ein Fluss Meer und verzaubert Besucher wie Einheimische gleichermaßen. Viele, die zum ersten Mal haushohe Schiffe in den Hafen einlaufen sehen, verlieben sich in die Stadt Hamburg. Egal ob vor der Strandperle, am Ufer von Teufelsbrück oder unter Blankeneses Leuchtturm, der Anblick ist einzigartig - einzigartig schön und einzigartig quirlig. Denn erst die Containerriesen und Kreuzfahrtschiffe geben der Elbe das Besondere. Es sind die Schiffe, die aus einem Postkartenidyll eine Landschaft machen, es ist der Hafen, der einen Fluss in eine große Oper verwandelt. In der Hamburger Musik war er das immer schon, von Hans Albers über Freddy Quinn bis zu Fettes Brot (siehe Songtexte r.).

Der Hafen inspiriert. Ob Hans Leip, Albrecht Schindehütte oder Peter Rühmkorf, Horst Janssen oder Hans Henny Jahn, hier leben oder lebten die Künstler. Hier spielt die Musik, hier lassen die Krimiautoren morden und die Regisseure küssen, hier wirken die Maler und die Architekten. Einer der größten hat es neulich in Schwyzerdütsch formuliert: "Der Hafen ist die Seele der Stadt", erklärte der Stararchitekt Jacques Herzog beim Richtfest der Elbphilharmonie. Wer auf der Plaza des neuen Wahrzeichens steht und aus 37 Metern Höhe auf den Hafen blickt, versteht. Es ist die Lage, die den Hamburger Hafen so besonders macht. Viele See- und Binnenhäfen fristen ihr Dasein an der Peripherie der Metropolen oder wenden ihnen den Rücken zu, viel mehr als hässliche Kaianlagen und Lagerhallen gibt es nicht zu sehen. Der Hamburger Hafen aber liegt wie auf einem Präsentierteller - eine prächtige Bühne, die von der Nordseite der Elbe und der Elbchaussee grandiose Einblicke eröffnet und ein einzigartiges Wassertheater bietet. Es war und ist genau diese Perspektive, die auch die Beach-Clubs in Hamburg zu etwas Besonderem gemacht haben. Pils gibt es überall, dieses Panorama nur hier.

So ist es kein Zufall, dass die Wand des Dock 10 von Blohm+Voss gegenüber den Landungsbrücken die größte und vermutlich beliebteste Werbefläche der Stadt ist. Wer sein Produkt in Hamburg herausbringen oder hier verwurzeln will, nimmt den Hafen in seinen Namen und die Symbolik ins Logo. Astra etwa wirbt mit einem Ankerherz, die Stadt wie an diesem Wochenende mit den Cruise Days. Man nächtigt im Hotel Hafen Hamburg oder dem Hafentor, rockt im Hafenklang oder trägt die "Heimat-Hafen-Hamburg"-Kollektion am Leib. Und, man mag es kaum glauben, Buddelschiffe gehören noch immer zu den beliebtesten Mitbringseln. Der Hafen hat etwas Identitätsstiftendes über Generationen und Klassen hinweg - die Hans-Albers-Gassenhauer singen Dreijährige, 23-Jährige und 83-Jährige. Und in einigen Hafenpinten treffen sich noch Hartz IV und Spitzensteuersatz an der Theke. Der Hafen vereint.

Hamburg lebt gut mit und noch besser vom Hafen. Eine Untersuchung des Beratungsunternehmens Planco Consulting aus dem vergangenen Jahr rechnet vor, wie viele Jobs am Hafen hängen: 141 733 Arbeitsplätze. Nur ein geringer Teil arbeitet direkt an Kaianlagen oder in Reedereien, der weitaus größere im Bereich der maritimen Wirtschaft, die in Hamburg ihre Hochburg hat, oder in Unternehmen, die von der Anbindung an die See profitieren wie große Industriebetriebe oder Logistiker. Wer mit dem Ausland handelt, aber im Lande bleibt, siedelt sich am Tor zur Welt an. Auch die Bruttowertschöpfung hat Planco ermittelt. Für Hamburg ergibt sich ein hafenabhängiges Bruttoinlandsprodukt von 13,3 Milliarden Euro, das bedeutet: Jeder siebte Euro wird im Hafen erwirtschaftet. Ein Treppenwitz der Geschichte ist, dass Hamburgs Aufstieg auf einer Fälschung gründet - die Kaufleute von der Alster hatten Kaiser Barbarossa einst wichtige Privilegien und Zollfreiheit bis zur Nordsee abgerungen. Dummerweise hatten sie nichts Schriftliches - also erkauften sich die Hamburger später einfach den Freibrief mit gefälschtem kaiserlichem Siegel ...

Ein bisschen Tarnen, Tricksen und Täuschen gehörte auch dazu, den ehemaligen Freihafen in eine HafenCity zu verwandeln. Über Dritte erwarb die Stadt unter Bürgermeister Hennig Voscherau heimlich Gebäude und Firmen, bevor das Projekt offiziell wurde. Die HafenCity soll den Schritt der Stadt zurück ans Wasser vervollkommnen, sie soll den Hafenblick weiten. Was früher verborgen im Freihafen hinter hohen Zäunen lag, ist nun neuer Mittelpunkt. Einstmals war die Speicherstadt die Stein gewordene Mauer zum Hafen, jetzt "springt" die Innenstadt bis zur Elbe vor und verlängert die Ufermeile bis zu den Elbbrücken.

Diese Meile ist es, mehr noch als die "geile Meile" auf St. Pauli, die Hamburg ausmacht. An jedem Wochenende strömen Zehntausende zum Strom. Auf den Elbfähren ist so gut wie jeder Platz besetzt, die Uferwege und Promenaden verwandeln sich in ein Stadion der Jogger, Walker und Spaziergänger - und der Elbstrand in die größte Freiluftbühne der Stadt. Das Programm variiert kaum und ist doch nie gleich. Es heißt "Schiffe gucken" - unübertrefflich sind die Aufführungen an einem warmen Abend unterhalb von Övelgönne.

Hier sitzt das Publikum andächtig vor der Strandperle, die Hand umklammert eine Knolle Astra, während die nackten Füße im weichen Sand stecken. Und mit jedem Containerriesen, der in den Hafen einläuft und wieder ausläuft, gehen die Gedanken auf die Reise. Das sind die Momente, in denen Fernweh und Heimweh verschmelzen, Hamburg ganz Hafen ist - und die Elbe mehr, zum Meer wird.