Die Digitalisierung macht den Traditionsberuf bei der Kinokette überflüssig.Gibt es bald bewegliche Zuschauersessel am Dammtor?

Hamburg. Es ist ein geliebtes Ritual. Langsam erlöschen die Lampen im großen Saal des Cinemaxx-Kinos am Dammtor, und aus einer Öffnung über den Köpfen des Publikums dringt ein mächtiger Lichtstrahl, der die Leinwand zum Leben erweckt. Doch während bislang noch ein Mitarbeiter in dem kleinen Raum mit den Projektoren sitzt und deren Arbeit überwacht, wird dieser Platz schon bald leer bleiben. Deutschlands zweitgrößte Kinokette schafft den traditionsreichen Beruf des Filmvorführers ab.

"Wir werden in näherer Zukunft mit der Digitalisierung der Cinemaxx-Kinos so weit vorangekommen sein, dass wir ganz auf Filmvorführer verzichten können und müssen", sagt der Vorstandschef des Hamburger Unternehmens, Christian Gisy, dem Abendblatt. Bis Ende 2013 werde es diese Tätigkeit voraussichtlich in der Kette nicht mehr geben. Stattdessen stellt künftig die Zentrale des Unternehmens am Valentinskamp das Filmangebot für alle 31 Häuser in Deutschland zusammen. Das genaue Programm, das aus Filmen, Trailern und Werbung besteht, wird dann per Computer im jeweiligen Kino für die Leinwand vorbereitet. Alle Inhalte liegen nicht mehr auf schweren Filmrollen, sondern nur noch auf Datenservern vor. "Das ist ein Einschnitt in der Kinokultur, doch aufgrund der technischen Entwicklung ist dieser Schritt unvermeidlich", so Gisy. "Wir waren schon lange Jahre das analoge Nadelöhr in einer ansonsten vollständig digitalen Auswertungskette."

Rund 130 Beschäftigte des zweitgrößten deutschen Kinobetreibers sind laut Gisy von diesem Umbruch betroffen. "Allen bieten wir natürlich die Möglichkeit, in den Service zu wechseln", sagt der Vorstandschef. Allerdings stelle sich das Unternehmen auch darauf ein, dass einige der betroffenen Mitarbeiter dieses Angebot nicht wahrnehmen werden. "Für diese Fälle haben wir Abfindungen einkalkuliert, die mit den noch notwendigen Investitionen das Ergebnis von Cinemaxx in diesem Jahr und auch noch 2013 belasten werden", so Gisy. Insgesamt beziffert der Chef die Kosten für die weitere Digitalisierung der Kinos auf zwei bis drei Millionen Euro. Erst langfristig rechne er durch die geringeren Personalkosten und eine flexiblere Programmgestaltung mit Einsparmöglichkeiten.

Ganz so alternativlos, wie Gisy die Abschaffung der Filmvorführer darstellt, ist dieser Schritt nach Einschätzung anderer Unternehmen der Branche allerdings nicht. "Selbstverständlich ist der Beruf des Filmvorführers noch zeitgemäß und wird es auch bleiben, solange es das Kino gibt", sagt Stephan Lehmann, Geschäftsführer von Deutschlands größter Kinokette CineStar. "Wir benötigen nach wie vor Fachpersonal, das für eine gestochen scharfe Projektion sorgt, egal ob digital oder analog." Zusätzlich erweitere sich der Beruf durch die digitale 2-D- und 3-D-Projektion um die verschiedensten Technikkomponenten.

Auch im Hamburger Programmkino Abaton, wo die Filme für jede Vorstellung noch aus einzelnen, kleineren Rollen zusammengesetzt werden, kann man sich nicht vorstellen, auf die Filmvorführer ganz zu verzichten. "Die Digitalisierung wird über kurz oder lang kommen, doch auch dann brauchen wir noch Fachkräfte, die die Projektion überwachen", sagt Abaton-Geschäftsführer Matthias Elwardt.

Während der Einstieg ins digitale Zeitalter im Abaton noch nicht einmal begonnen hat, verfügt Cinemaxx schon heute über 124 Leinwände mit der neuen Projektionstechnik und gehört damit bundesweit zu den Vorreitern in der Branche. Bisher trieben die Hamburger die Umstellung aber vor allem deshalb voran, weil sich nur mit Digitalprojektoren Filme in 3-D zeigen lassen - ein Trend, der den Betreibern aufgrund höherer Eintrittspreise deutlich höhere Renditen garantiert.

Nun steht Cinemaxx kurz vor dem Abschluss eines Vertrags mit dem Elektronikkonzern Sony, der auch die noch übrigen der insgesamt 292 Kinosäle des Unternehmens mit Digitalprojektoren bestücken will. Damit werden dann auch alle herkömmlichen 2-D-Filme digital ausgestrahlt. Zudem sollen die Japaner das Theater Management System stellen, mit dem die Filme in jedem Kino von einer Stelle aus verwaltet werden können.

Generell ist die Digitalisierung für Cinemaxx ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite profitiert das Unternehmen von dem damit verbundenen 3-D-Trend. So gelang den Hamburgern aufgrund der höheren Margen im Ticketverkauf im vergangenen Jahr eine Gewinnsteigerung um fast zehn Prozent auf 41,2 Millionen Euro - laut Gisy das beste operative Ergebnis der Unternehmensgeschichte.

Auf der anderen Seite bringen die praktisch in unbegrenzter Anzahl verfügbaren digitalen Kopien die großen Kinoketten um einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Waren die teuren, aufwendig zu produzierenden Filmrollen mit großen Kassenknüllern vor allem den Multiplexen vorbehalten, so kommen nun auch Programmkinos vermehrt an die wichtigen Brot-und-Butter-Filme, die die Besucher anlocken - gut für Kinofans und kleine Anbieter, schlecht für die großen Ketten.

Dies ist ein Grund dafür, dass die Besucherzahlen bei Cinemaxx 2011 um 7,1 Prozent auf 16,3 Millionen zurückgegangen sind, während bundesweit insgesamt etwa 2,3 Prozent mehr Filmfans in die Kinos strömten. Daneben sorgte auch die sehr gute Entwicklung der Besucherzahlen 2010 dafür, dass die Hamburger im vergangenen Jahr Federn lassen mussten. "Wir haben uns wieder an unsere vorherigen Marktanteile angepasst", so Gisy. Wegen der rückläufigen Besucherzahlen hält es der Cinemaxx-Chef auch für einen ungerechtfertigten Vorwurf, dass die großen Multiplexe für das Sterben kleiner Filmtheater verantwortlich sind.

"Es ist eine immer wieder gern wiederholte Mär, dass die großen Ketten die kleinen zur Aufgabe zwingen. Doch dieser Quatsch wird nicht dadurch wahrer, dass man ihn ständig wiederholt." Wenn ein Filmtheater in Hamburg oder München schließen müsse, dann hänge dies viel eher mit den hohen Preisvorstellungen von Vermietern zusammen, die sich durch potente Unternehmen aus dem Einzelhandel höhere Renditen versprächen. Was Gisy dabei verschweigt, ist allerdings die Tatsache, dass es Multiplexe wie Cinemaxx waren, die die Mieten im Kampf um die besten Standorte in den vergangenen Jahrzehnten in die Höhe trieben - bis die gesamte Branche nahe an den Bankrott geraten war.

Für das laufende Jahr setzt der Cinemaxx-Chef auf große Hollywood-Blockbuster wie "Ice Age 4", "The Amazing Spider-Man", den neuen Bond sowie die Verfilmung des Tolkien-Klassikers "Der Hobbit". "Insgesamt dürften wir bei Besucherzahlen und Umsatz über den Ergebnissen des Vorjahres liegen." Neben attraktiven Filmen sollen auch Preissenkungen für Familien am Sonntag sowie technische Neuerungen die Filmfans in die Kinos locken. So hat Cinemaxx in Mülheim ein neues System namens Maxximum Motion mit beweglichen Sesseln getestet. Bei Flügen oder rasanten Autofahrten auf der Leinwand bewegt sich das Gestühl entsprechend mit. "Wir können uns vorstellen, dieses System auch im Cinemaxx am Dammtor einzusetzen", sagt Gisy.

Für eine reifere Zielgruppe sind die sogenannten First-Class-Säle gedacht, in denen es sich die Gäste in Ledersesseln mit besonders viel Beinfreiheit bequem machen können und am Platz bedient werden. "Darin sehen wir eine Möglichkeit, um auch ältere, zahlungskräftige Filmfans für Cinemaxx zu interessieren", so Gisy. In Hamburg lasse sich das Konzept, das ebenfalls in Mülheim erprobt wird, aufgrund der begrenzten Platzverhältnisse aber wohl nicht umsetzen.