Der neue Film “Barbara“ von Christian Petzold erzählt von Einsamkeiten, Liebe und Misstrauen in der DDR. Am Donnerstag startet der Film im Kino.

Hamburg. Auf der Berlinale war das DDR-Liebesdrama "Barbara" ein Liebling der Kritiker; Christian Petzold, wichtigster Vertreter des deutschen Autorenkinos, gewann den Silbernen Bären für die beste Regie. Am Donnerstag startet der Film im Kino.

Hamburger Abendblatt:

Sie verachten Bescheidwisserkino. Was ist das, bitte?

Christian Petzold:

Bescheidwisserkino ist furchtbar. Wenn der Regisseur immer weiß, wie der Film endet, wer gut und böse ist. Die Arbeit ist nur die Realisation von vorgefertigten Ideen, man lässt sich nicht mehr irritieren. Wenn früher das Licht im Kinosaal anging nach den New-Hollywood-Filmen, hatte ich als 16-Jähriger etwas begriffen, das ich nicht in Worte fassen konnte. Die Bilder haben weiter in mir gearbeitet. Das waren Filme, die eine Haltung haben. Aber sie wissen nicht Bescheid.

Filme, die nicht belehren wollen?

Petzold:

Kein pädagogisches Kino, wie es in Deutschland gern gemacht wird. Kino, das die Romanlektüre ersetzen soll. Da kann ja nichts passieren mit mir als Zuschauer.

Ihre Filme interessieren sich auffällig oft für Menschen, die sich nicht mehr zu Hause fühlen, die wegwollen. Woher kommt dieses Interesse?

Petzold:

Eindeutig vom Kino. Als ich damals in Hamburg "Die innere Sicherheit" über eine Untergrundfamilie gedreht habe, ging mir das Gespenstermotiv nicht aus dem Kopf. Der Film zeigt eine Familie, die wie ein Gespenst durch Deutschland zieht und versucht, ein normales Leben zu führen. Das Kino besteht im Grunde nur aus Gespenstern. John Wayne in "The Searchers", die wortkargen Gangster im Film noir, selbst Schwarzeneggers Terminator ist ein unglaublich einsamer Mensch.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum wir diesen Menschen so gerne zusehen?

Petzold:

Vielleicht gehen wir ins Kino, um uns in diesen somnambulen Zustand zu versetzen. Wir sind körperlich anwesend, aber unsere Gefühle sind auf einer Reise, ähnlich wie im Traum. Das Kino war immer neugierig auf Menschen mit irren Rachegefühlen, Leidenschaften; Menschen, die aus der Gesellschaft gefallen sind. Gespenster eben. Im Fernsehen dagegen zwinkern die Menschen dem Zuschauer ständig zu: Ich bin einer wie du, auch ich gehe später nach Hause und mähe den Rasen.

Wo haben Sie die Gespenster für Ihren neuen Film "Barbara" gefunden?

Petzold:

Ich lese viel. In diesem Fall war es die gleichnamige Novelle von Hermann Broch, die von einer Untergrundkommunistin in der Weimarer Republik handelt und die ich damals für "Die innere Sicherheit" gelesen hatte. Vor fünf Jahren bin ich einem Arzt begegnet, der mir erzählte, dass jene Ärzte, die in der DDR einen Ausreiseantrag gestellt hatten, nur kurz ins Gefängnis kamen und dann gleich strafversetzt wurden an Stellen, wo Ärzte fehlten. Und das ist ja genau die Geschichte von Barbara: eine Frau, die in ein Provinzkrankenhaus abgeschoben wird, die von dort aus ihre Flucht plant.

Ihre Eltern sind Ende der 50er-Jahre aus der DDR geflohen. Sie selbst haben viele Urlaube dort verbracht.

Petzold:

Andauernd zwischen meinem sechsten und 16. Lebensjahr. Für mich waren diese vier Wochen im Sommer wie der Besuch in einer anderen Welt. Ständig habe ich mich gefragt: Warum verhalten sich meine Eltern so komisch? Warum trifft sich meine Mutter heimlich mit dem Bademeister? Weil sie nämlich für ihn eine Jeans und eine"Bravo" hereingeschmuggelt hatte.

In "Barbara" sehen wir ein beiläufig gezeichnetes DDR-Bild. Keine Plattenbauten, keine Honecker-Bilder.

Petzold:

Ich kann mich an kein einziges Honecker-Bild erinnern. Meine Erinnerungen haben mit Gerüchen, Blicken, Gefühlen zu tun - aber Honecker? Ich war als Kind auch in einem DDR-Krankenhaus, mein Bruder hatte mir einen Speer ins Knie geworfen. Dort sah es aus, wie wir es zeigen: luftig, es gab einen Sportplatz hinter dem Haus, und die Ärzte rauchten wie die Doofen.

"Barbara" ist einer Ihrer raren Filme mit Happy End.

Petzold:

Mir gefällt, dass ich am Ende nicht das Buch zuschlage. Sonst war in meinen Filmen am Ende immer einer tot oder verurteilt. Das hatte etwas Tragisches, und ich war der Herr über die Tragödie. Bei "Barbara" hatte ich das Gefühl, dass das Paar sein Ende selbst in die Hand nimmt. Im Grunde verlasse ich in den letzten beiden Minuten das Krankenzimmer, in dem die beiden sitzen. Sie gründen dort irgendetwas, und ich hatte dort nichts mehr verloren.

Es gibt keinen Schlusssatz.

Petzold:

Schlusssätze sind furchtbar und machen alles kaputt. Das hat sich so eingebürgert beim 80er-Jahre-Fernsehkrimi. Der Täter ist verhaftet, die Kommissare gehen zum Auto und witzeln herum: Die Frau Schmidt hat dir gut gefallen, oder? Furchtbar, so etwas.

Sie drehen Ihre Filme möglichst chronologisch. Warum ist das wichtig?

Petzold:

Ökonomisch ist das nicht immer möglich, ich will schließlich nicht Produktionsfirmen in den Ruin treiben. Aber die Chronologie ist wichtig, weil wir uns dem Ende des Films annähern müssen. Ich wusste vorher nicht genau, wie es endet oder welche Haltung wir zur DDR entwickeln. Für diese Dinge müssen die Schauspieler ein Gefühl entwickeln können.

Sie haben zum fünften Mal mit Nina Hoss gearbeitet. Schreiben Sie ihr die Rolle jeweils auf den Leib?

Petzold:

In diesem Fall stand es von vornherein fest. Nina ist eine Schauspielerin, die nicht mit vorgefertigten Mustern arbeitet. Sie kommt nicht mit Vorschlägen zum Set und bietet was an. Sie macht sich leer für die Rolle.

Und womit füllen Sie diese Leere dann?

Petzold:

Wir proben wochenlang - aber nicht die Szenen. Wir reden, machen Spaziergänge, gucken Filme. Wir bringen uns in einen konzentrierten Zustand. Zum Schluss lesen wir alle noch mal das Buch und jeder zieht sich mit seiner Figur zurück.

Wind spielt immer eine Rolle in Ihren Filmen. Was gefällt Ihnen so daran?

Petzold:

Auch das ist ein Kinoerlebnis. Mit 15 Jahren habe ich im Jugendheim "Blow Up" von Antonioni gesehen, in dem der Fotograf den Wind in den Baumwipfeln fotografiert. Mit dem Wind ist es ähnlich wie mit dem Meer oder Regentropfen auf einer Scheibe. Man kann nicht genau sagen, was daran so tröstlich ist und gleichzeitig erschreckend. Vor allem in historischen Filmen finde ich es wichtig, dass der Wind weht, der Frühling blüht. Wir dürfen Geschichte nicht so abgeranzt filmen, als ob wir im Museum wären.