Umgang mit dem Massenmörder in Norwegen zeigt das Dilemma des Rechtsstaats

Es ist das Besondere eines Rechtsstaates, dass sich selbst diejenigen auf seine Prinzipien berufen können, die dagegen maximal verstoßen haben. Was zum Beispiel dazu führt, dass dem Massenmörder von Norwegen dort jetzt ganz normal der Prozess gemacht wird. Der Rechtsstaat zeigt seine wahre Größe vor allem in solchen Momenten.

Trotzdem sind die Bilder aus Oslo schwer, eigentlich gar nicht zu ertragen. Denn im Gerichtssaal vollendet sich erst der Plan des Terroristen. Eine Woche lang hat er Zeit, seine unvorstellbaren Taten zu verteidigen, einzuordnen, die Hintergründe zu beschreiben und zu rechtfertigen. Aus seiner Sicht hat er endlich die Bühne, die ihm zusteht, um Gedanken zu verbreiten, die diesen Namen nicht verdienen.

Es ist absurd, aber es ist leider wahr: Diese Chance haben ihm erst seine Verbrechen ermöglicht. Der Rechtsstaat erfüllt ausgerechnet seinem größten Widersacher eine Art Lebenstraum, Live-Berichte im norwegischen Fernsehen und Ausschnitte in den TV-Stationen weltweit, in Zeitungen und Zeitschriften und natürlich auf Nachrichtenseiten im Internet inklusive. Es ist, im wahrsten Sinne des Wortes, der Wahnsinn.

Der aktuelle Fall wirft einmal mehr die Frage auf, wie man verhindern kann, dass Amokläufer für ihre Taten auch noch mit dem belohnt werden, wonach sich die meisten von ihnen vor allem zu sehnen scheinen - mit Aufmerksamkeit.

In Norwegen schien man zunächst eine recht einfache Lösung gefunden zu haben. Direkt nach der Verhaftung ließen die Behörden so gut wie keine Bilder des Mannes zu, der für das größte Verbrechen in der Geschichte des Landes verantwortlich ist. Als er seine ersten Aussagen machte, war die Öffentlichkeit wie selbstverständlich ausgeschlossen.

Und jetzt das.

Niemand kann dem Gesicht des Mannes, das doch nicht nur in Norwegen jeder so schnell wie möglich vergessen möchte, entkommen. Der Wahnsinn ist omnipräsent, der Wahnsinnige, der so tut, als sei er keiner, wird in all seinen Facetten beschrieben und analysiert. Norwegens Justiz hätte dies verhindern oder wenigstens einschränken können, die Berichterstatter könnten und können das noch und sollten zumindest einmal über das Wie nachdenken.

Zugegeben, es ist in diesem Fall nicht leicht, einen Weg zwischen Chronistenpflicht und (un)freiwilliger Plattform für perverses Gedankengut zu finden, und verführerisch ist der Einblick in das personifizierte Böse sowieso. Und doch gilt es, sich zurückzunehmen, und sei es erst einmal nur bei der Auswahl der Bilder, damit der Täter nicht am Ende doch noch alle seine Ziele erreicht.

Insofern ist auch dieser Kommentar angreifbar, weil er gerade das thematisiert, was er selbst kritisiert.

Wie gesagt: Es ist ein Dilemma. Und es muss einmal angemerkt werden, dass es sich die Beteiligten oft zu leicht machen. Denn selbstverständlich gibt es, in Deutschland insbesondere nach dem Amoklauf von Erfurt, eine längere Liste freiwilliger Verhaltensregeln im schlimmsten aller Fälle. Die beziehen sich überwiegend auf den Umgang mit Opfern ("in Ruhe lassen", "Privatsphäre respektieren"), enthalten aber auch eindeutige Ratschläge für all jene, die für Öffentlichkeitsarbeit rund um ein schweres Verbrechen verantwortlich sind. Ihnen wird unter anderem empfohlen, die "Fantasien des Täters nicht zu anschaulich" darzustellen. Und: "Es sollte nicht auf den Täter, sondern auf die Tat fokussiert werden." Manchmal würde es vielleicht helfen, wenn der Name des Verbrechers nicht genannt würde.

Für den selbstverliebten Mörder, der sich derzeit in Oslo verantworten darf, wäre das möglicherweise eine der schwersten Strafen gewesen.