Der Fall Ciftlik könnte zum Mammut-Prozess werden. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Ex-SPD-Abgeordneten insgesamt zehn Straftaten vor.

Neustadt. Er beherrscht es noch immer, das Spiel mit der Öffentlichkeit: Bülent Ciftlik steuert, scheinbar strotzend vor Selbstbewusstsein, die Lippen umspielt von einem Lächeln, auf die Tür am Ende des Flurs zu, vorbei an den Kameras und den Journalisten, als läge hinter dieser Tür die Zukunft. Seine Zukunft, und er müsste nur mal kurz anklopfen, eintreten und ist dann wieder dort, wo er vor gar nicht allzu langer Zeit war: auf der Siegerstraße, auf dem Weg nach oben. Dem Altonaer Ex-Bürgerschaftsabgeordneten, einst von Olaf Scholz protegiert, hatte man sehr lange sehr viel zugetraut. Einige glaubten gar, er könne es mal zum ersten türkischen Bürgermeister Hamburgs bringen. Doch dann fielen die Türen, die ihm so lange offen standen, schlagartig zu: Nachdem ihn das Amtsgericht St. Georg im Juni 2010 zu einer Geldstrafe von 12.000 Euro verurteilt hatte, weil er seine Ex-Freundin Nicole D. zu einer Scheinehe mit seinem Bekannten Kenan T. angestiftet haben soll, war der "Obama von Altona" politisch ruiniert.

Möglicherweise schließt sich am Ende des gestern vorm Landgericht eröffneten Verfahrens gegen Bülent Ciftlik eine weitere Tür - eine Zellentür. Ciftlik, zwischen März und Juli 2011 bereits wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft, hat Berufung gegen das Scheinehe-Urteil eingelegt. Genauso tat es die Staatsanwaltschaft, die ihm darüber hinaus neun weitere Straftaten zur Last legt.

+++ Aufstieg und Fall +++

+++ Ex-SPD-Sprecher schweigt vor Gericht +++

Damit die Berufung und das neue erstinstanzliche Verfahren einheitlich verhandelt werden können, hat das Landgericht das Scheinehe-Urteil für gegenstandslos erklärt - der Fall wird also komplett neu aufgerollt. Während die Anklagebehörde eine Freiheitsstrafe für Ciftlik anstrebt, ist unklar, was der 39-Jährige will: Gestern hat er nach der Anklageverlesung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. "Sie wissen, dass sich ein Geständnis strafmildernd auswirken kann, sofern eine Strafe verhängt werden sollte. Für ein Geständnis ist es nie zu spät", sagt der Vorsitzende Richter Rüdiger Göbel. Ciftlik bleibt dabei - kein Wort zur Sache. Sollte sich das nicht ändern, wird sich das Verfahren mindestens bis Mai ziehen. 15 Verhandlungstermine hat das Landgericht angesetzt, 19 Zeugen sind geladen.

Ciftlik wirkt amüsiert beim Prozessauftakt, sein Lächeln soll wohl Zuversicht signalisieren. Auf die Frage, welchem Beruf er aktuell nachgehe, schaut er seine Verteidigerin Gabriele Heinecke an, zuckt die Achseln - und schweigt auch dazu. Bereits im Februar 2011 - einen Monat nach seinem Ausschluss aus der SPD - verlor der 39-Jährige bei der Bürgerschaftswahl sein Abgeordnetenmandat und damit auch den Anspruch auf monatliche Diäten in Höhe von 2450 Euro plus 1000 Euro Aufwandsentschädigung.

Bis auf zwei der neuen Vorwürfe haben sich alle weiteren Straftaten, die ihm die Anklage zur Last legt, im engeren und weiteren Sinne aus dem ersten Verfahren vor dem Amtsgericht St. Georg ergeben. Nun geht es vor allem darum, dass Ciftlik Dritte zu Straftaten angestiftet haben soll: zur Urkundenfälschung, zur Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung, zur uneidlichen Falschaussage in drei Fällen. Auf Betreiben des Ex-Politikers sollen, so die Staatsanwaltschaft, zwei Zeuginnen bei ihrer gerichtlichen Vernehmung im Frühjahr 2010 für ihn gelogen haben. So erzählte etwa die Fotografin Sybille von B., die nach den Ermittlungen ihr Fotostudio "zum Trainieren von Zeugenaussagen" zur Verfügung gestellt haben soll: Nicole D. habe beim Verteilen von Wahlkampfzetteln Anfang 2008 geäußert, sie plane Kenan T. zu heiraten, und sie sei sauer auf Ciftlik, weil der nicht ihr Trauzeuge werden wolle. In eine ähnliche Richtung ging die Aussage der Architektin Constanze K., auch Güven P., Vorstand der türkischen Gemeinde, steht in Verdacht, für Ciftlik gelogen zu haben. Zumindest Sybille von B. und Güven P. könnten sich im aktuellen Ciftlik-Verfahren auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen, weil gegen sie noch wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage ermittelt wird. Dieses Recht steht der geständigen und bereits zu 120 Tagessätzen verurteilten Constanze K. nicht zu.

Schon im ersten Prozess hatte Ciftlik seine Unschuld beteuert und stets betont, er sei "ein Kind dieses Rechtsstaats". Nicht weniger beharrlich insistierte damals Johann Schwenn, Verteidiger von Nicole D., Ciftlik sei ein "Fälscher" und ein "Trickser" - gleichwohl ein sehr dilettantischer. Angeklagt ist der 39-Jährige auch, weil er Daten ausgespäht und Beweismittel manipuliert haben soll. So soll er gemeinsam mit zwei Handlangern das E-Mail-Passwort von Nicole D. über eine spezielle Computer-Software ausspioniert und von ihrem Account aus zwei fingierte E-Mails geschrieben haben, um den Anschein zu erwecken, seine Ex-Freundin sei die Absenderin gewesen. Eine E-Mail landete in gedruckter Form bei der Staatsanwaltschaft - just als Ciftlik damals dort vernommen wurde. Darin hieß es unter anderem: "Natürlich hat er mich nicht zur Heirat angestiftet, sondern mich davon abgehalten." Die Staatsanwaltschaft legt Ciftlik außerdem zur Last, er habe vier Wahlkampfhelfer angewiesen, Briefwahlanträge von 56 türkischstämmigen Deutschen für die Bürgerschaftswahl 2008 gefälscht zu haben. Und schließlich, Mitte Februar 2011, soll er in seinem Abgeordnetenbüro einen ehemaligen Vorstand der SPD Altona, Sercan B., geohrfeigt haben - aus Verärgerung über dessen Zeugenaussage bei den Briefwahl-Ermittlungen. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.