Ausstellung “Stolpersteine und Angehörige“ im Kunsthaus. Jeder Stein nennt einen Namen und macht so das Schicksal eines Menschen vorstellbar.

Hamburg. Ernst sehen die Menschen aus und nachdenklich. Die meisten von ihnen blicken stumm zu Boden. Manche bücken sich oder kauern neben der kleinen Messingplatte eines Stolpersteins, die einen Namen verzeichnet. Aber was verbindet sich mit ihm? In jedem einzelnen Fall ein tragisches Schicksal.

Die Bilder, die die Hamburger Fotografin Gesche-M. Cordes im Lauf eines ganzen Jahrzehnts aufgenommen hat, zeigen Menschen, die sich in einer Ausnahmesituation befinden. Sie sind oft lange unterwegs gewesen, manchmal aus Jerusalem, Kapstadt oder New York angereist, um die Spuren ihrer Hamburger Vorfahren zu finden. Jetzt sind sie am Ziel, stehen auf einer fremden Straße in einer fremden Stadt und legen eine Rose nieder oder einen Strauß Tulpen, der auf dem Straßenpflaster merkwürdig verloren anmutet. Autos fahren vorüber, Passanten hasten vorbei, in Hamburg herrscht Alltag. Nur nicht für die wenigen Menschen, die jetzt vor Häusern stehen, in denen vor vielleicht 70 Jahren ihre Väter, Großväter, Tanten wohnten - bis man sie abholte, deportierte, ermordete. Heute Abend um 19 Uhr wird im Kunsthaus Hamburg die Ausstellung "Stolpersteine und Angehörige" mit 70 Fotografien von Gesche-M. Cordes eröffnet.

Jeder Stein nennt einen Namen und macht so das Schicksal eines Menschen vorstellbar. Es sind Juden, politisch Verfolgte, Homosexuelle und andere Opfer. Die Nazis wollten sie für immer auslöschen. Doch seit einigen Jahren kehren viele Namen an jene Orte zurück, an denen ihre Träger gelebt haben. Seit dem Jahr 1995 verwirklicht der Kölner Künstler Gunter Demnig in Deutschland und weiteren europäischen Ländern das dezentrale Denkmal Stolpersteine. Im Straßenpflaster direkt vor den Häusern, in denen die späteren Opfer zuletzt selbstbestimmt gewohnt haben, verlegt Demnig quadratische Messingplatten mit einer Kantenlänge von zehn Zentimetern. Sie tragen den Schriftzug "Hier wohnte", den jeweiligen Namen und Angaben zu Geburtsjahr und Todestag.

Mit dem Handy auf den Spuren der Opfer

3948 dieser Stolpersteine erinnern inzwischen allein in Hamburg an NS-Opfer. Jeder Einzelne erzählt von einem Menschen, der in dieser Stadt in einem bestimmten Haus gewohnt hat und dem alles genommen wurde.

Die Fotografin Gesche-M. Cordes hat mehr als 50 Angehörige bei ihren Hamburg-Besuchen begleitet. Schlomo Schwarzschild zum Beispiel, der mit seiner Frau Aviva aus Haifa angereist war. Am 17. Oktober 2003 stand das Paar an der Schlankreye 17 in Eimsbüttel, als Gunter Demnig dort drei Stolpersteine verlegte: für den Vater Ignaz Schwarzschild, die Mutter Kela und den Bruder Leopold Meier Schwarzschild (alle deportiert nach Riga). "Wenn ich hier stehe, höre ich die Stimme meiner Mutter, wie sie mich zum Essen ruft", sagte Schlomo Schwarzschild, der als einziges Familienmitglied den Holocaust überlebt hat. Als 13-Jähriger musste er am 9. November 1938 die Zerstörung der Synagoge am Bornplatz mit ansehen. Als Schlomo Schwarzschild im August 2009 in Israel starb, ließ seine Familie die blaue Glasscherbe von der Hamburger Bornplatz-Synagoge in seinen Grabstein einfügen - eine letzte Erinnerung an die Hamburger Heimat.

"Stolpersteine und Angehörige". Kunsthaus Hamburg, Eröffnung 30.1., 19 Uhr. Die Ausstellung läuft bis 4.3.; Di-So 11-18 Uhr Das Begleitbuch kostet 24 Euro.