Wenn Deutschland heute gegen Ghana antritt, lässt sich der Blinde Heiko Kunert die Szenen erzählen

Heiko Kunert wird heute nicht zum Fanfest gehen. Wenn sich rund 70 000 Menschen auf dem Heiligengeistfeld versammeln, um aus dem sportlichen Großereignis Fußball-Weltmeisterschaft eine schwarz-rot-goldene Party zu machen, wird der 33-Jährige in der Uhlenhorster Kneipe Joy sitzen. Freunde werden ihm erzählen, was auf der Mattscheibe passiert. Er wird aufmerksam zuhören, wird auf die Stimmung im Lokal achten: Hebt sich der Lautstärkepegel, ahnt er, dass die Nationalelf einen Angriff fährt. Ist es ruhig, dümpelt das Spiel dahin. Heiko Kunert ist einer von etwa 3000 Hamburger Blinden.

Wie ist das eigentlich, noch kein deutsches Weltmeisterschaftsspiel gesehen, aber auch noch keines verpasst zu haben? "Das Vorstellungsvermögen für Spielsituationen habe ich. Bis zu meinem siebten Lebensjahr konnte ich normal sehen. Ich habe oft Fußball im Fernsehen geguckt", sagt der Sprecher des Hamburger Blinden- und Sehbehindertenvereins. Nach den ersten sieben Lebensjahren raubte ihm allerdings ein Tumor das Augenlicht.

Seitdem hört sich der HSV-Fan die Partien am liebsten im Radio an. "Die ersten beiden Deutschlandspiele habe ich bei NDR Info gehört. Glücklicherweise werden ja Länderspiele in voller Länge übertragen." Mithilfe der professionellen Radiomoderatoren sei er am besten informiert, könne sich am detailliertesten vorstellen, wie ein Spiel läuft. "Nur jetzt in Südafrika war es doch etwas schwierig. Durch das monotone Tröten der Vuvuzelas war es fast unmöglich, Stimmungsnuancen im Publikum auszumachen. Daran kann ich mich sonst nämlich gut orientieren", sagt Kunert.

Im Gegensatz zur WM 2006 gab es bislang auch noch kein "Public Listening" im Vereinshaus, dem Louis-Braille-Center. Denn während des deutschen Sommermärchens hatten sich Sehbehinderte und Blinde zum gemeinsamen Fußballgucken ("Wir Blinden sagen auch Fernsehen.") getroffen. Aber vielleicht, sagt Heiko Kunert, folge das noch, wenn Deutschland das Achtelfinale erreicht. In jedem Fall könne auch ein blinder Mensch von der Fußballeuphorie mitgerissen werden. "Das hat 2006 wunderbar geklappt. Ich habe die Stimmung im Land und in der Stadt sehr genossen." Jubel und ausgelassene Freude lassen sich eben auch über akustische Reize transportieren - ohne schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer.

Verbesserungsmöglichkeiten sieht er trotzdem: "Was das Fernsehen betrifft, ist Österreich schon weiter", sagt der Blindenvereinssprecher. "Dort wird in diesem Jahr erstmals die Weltmeisterschaft als Hörfassung übertragen. So etwas gibt es bei uns bislang nur beim Tatort oder ausgewählten anderen Sendungen."

Lobenswert sei hingegen das Engagement für sehbehinderte Fußballfans im Millerntorstadion und in der HSV-Arena. Dort gebe es spezielle Blindenplätze, auf denen über Kopfhörer detaillierte Beschreibungen des Spielgeschehens zu hören seien.