Geburtshelferinnen sollen höhere Prämien für die Haftpflichtversicherung bezahlen. Sie wehren sich mit einer Petition an den Bundestag.

Hamburg. Jonathan ist acht Wochen zu früh zur Welt gekommen. Jetzt, gut vier Wochen nach seiner Geburt, ist Hebamme Andrea Sturm, 53, zufrieden mit dem Kleinen. "Er hat gut zugenommen und richtige Speckfalten am Hals", sagt sie. Die Hebamme ist zur Nachsorge bei Jonathan und seiner Mutter Judith Springhorn, 30, in der kleinen Wohnung in Eimsbüttel. Andrea Sturm schaut sich nicht nur das Baby an, sie untersucht auch Frau Springhorn. Jonathan ist im Krankenhaus Elim zur Welt gekommen. Natürlich mithilfe einer Hebamme. Doch ob sich der Hebammenberuf in Zukunft finanziell noch lohnt, ist nicht sicher.

Bundesweit wehren sich die Hebammen mit einer elektronischen Petition dagegen, dass sich ihre vorgeschriebene Berufshaftpflichtversicherung zum 1. Juli drastisch erhöhen soll - um 57 Prozent auf 3689 Euro jährlich. Die Petition soll sicherstellen, dass jede Frau Hebammenhilfe in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erhält. "Freiberufliche Hebammentätigkeit droht unrentabel zu werden", sagt Susanne Lohmann vom Hebammenverband in Hamburg.

Andrea Sturm liebt ihren Beruf. Seit 33 Jahren arbeitet sie als Hebamme, wie die meisten Kolleginnen ist sie freiberuflich. Für einen Nachsorgetermin wie jetzt bei Frau Springhorn bekommt sie pauschal 26 Euro. Seit 2002 hat sich die Pauschale damit um drei Euro gesteigert. Das ist nicht üppig. 237 Euro zahlen die Kassen einer sogenannten Beleghebamme pauschal für die Geburt in einer Klinik, 445 Euro im Geburtshaus und 537 Euro für die Hausgeburt. Und eine Geburt kann Stunden dauern. Durchschnittlich erzielt eine freiberufliche Hebamme 23.300 Euro Umsatz im Jahr. Das real zu versteuernde Einkommen liegt im Schnitt bei 14.150 Euro im Jahr bzw. 7,50 Euro netto pro Stunde. Wegen des Geldes wird wohl kaum jemand Hebamme.

Damit sie über die Runden kommt, betreut Frau Sturm etwa sechs Frauen im Monat. Die Haftpflichtprämie richtet sich danach, ob die Hebamme in der Geburtshilfe tätig ist, dann ist sie höher. Bietet die Hebamme Kurse an und macht Vor- und Nachsorge, dann ist die Prämie niedriger. Jahrelang hat sie als Beleghebamme in Kliniken gearbeitet und auch Hausgeburten gemacht, Tausenden Babys hat sie schon auf die Welt geholfen. Heute gibt Frau Sturm nur noch Kurse und bietet Vor- und Nachsorge an. Das könnte ein Trend werden. "Viele Hebammen müssen die Geburtshilfe aufgeben. Eine flächendeckende Versorgung wird es bald nur noch in den Kliniken in den Städten geben", sagt Susanne Lohmann.

Die Haftpflichtprämie ist seit 1992 von 179 Euro im Jahr auf 2370 Euro im vergangenen Jahr ohnehin schon kräftig angestiegen. Sogar Hebammen, die in einer Klinik angestellt sind, müssen eine extra Haftpflichtversicherung abschließen. Grund für die extreme Erhöhung ist eine seit 2000 bestehende Regelung, die es den Krankenkassen ermöglicht, den Hebammen grobe Fehler bei der Ausübung ihres Berufe mit langfristigen Folgen anzulasten. Wenn zum Beispiel bei der Geburt die Sauerstoffversorgung des Neugeborenen unterbrochen wird und dies zu einer lebenslangen Behinderung führt, muss die Hebamme und damit ihre Haftpflichtversicherung dafür die Kosten übernehmen - und zwar für die lebenslange Versorgung des behinderten Kindes. Etwa ein bis zwei solcher Millionen-Euro-Klagen von betroffenen Eltern gibt es in Deutschland im Jahr.

Der deutsche Hebammenverband fordert einen steuerfinanzierten Fonds, der die Belastungen durch die Haftpflichtversicherung für die Hebammen dämpft. "Früher zahlte man nur den Schadensfall, heute auch die Rente der behinderten Kinder", sagt Hebamme Sturm. Für die Versicherungen sind Hebammen daher keine besonders beliebte Klientel. Zurzeit bieten nur zwei Haftpflichtversicherungen Tarife für Hebammen an.

Andrea Sturm hat zum Glück in ihren 33 Jahren als Hebamme nur einen Fall erlebt, bei dem es dem Kind nach der schwierigen Geburt sehr schlecht ging. Zu einer Klage kam es damals aber nicht. "Bei einer Eins-zu-eins-Betreuung als Beleghebamme oder bei einer Hausgeburt kenne ich die Schwangere sehr gut und kann das Risiko genau abwägen. Man sieht das Risiko herankommen", sagt Frau Sturm.

Wie viele Hebammen in Hamburg freiberuflich arbeiten, kann nur geschätzt werden. Eine Studie zur Hebammenversorgung von 2007 ergab eine Zahl von 277 freiberuflich in Schwangerschaft und Wochenbett tätigen Hebammen. Susanne Lohmann: "In den letzten Jahren zeigte sich immer mehr, dass vor allem die sozial benachteiligten Stadtteile nicht ausreichend mit Hebammenhilfe versorgt werden können." Judith Springhorn ist froh, dass sie von einer Hebamme betreut wird, mit der sie sich über alle Fragen rund um das neue Baby austauschen kann. Klar, dass sie die elektronische Petition auch unterschreibt. Die notwendigen 50.000 Unterschriften sind bereits zusammen. Jetzt muss sich der Petitionsausschuss des Bundestages in einer öffentlichen Sitzung mit der drohenden Versorgungslücke befassen.