Hebammen: Bei der Geburt sind sie die Vertrauensperson

Das blaue Wunder des Kreißsaals

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Claudia Sewig

Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hat gerade verkündet, dass wieder mehr Babys geboren werden. Das Abendblatt begab sich deshalb zur Reportage an den Ort, wo sie (meist) zur Welt kommen: in den Kreißsaal.

750-mal. So oft hat sie schon den allerersten Blick auf ein neues Leben geworfen. 750-mal hat sie den ersten Lebensschrei gehört. Hat in die anfänglich stets blauen Augen geschaut, das weiche Handtuch vorsichtig um das winzige Wesen gelegt und es der Frau in die Arme gedrückt, die sie in den letzten Stunden und Minuten der Schwangerschaft auf dem Weg ins Muttersein begleitet hat. Sandra Fecher (30) ist Hebamme. Und damit eine der Frauen, die teilhaben an der Trendwende, dass wieder mehr Kinder geboren werden. 685 000 Babys wurden 2007 in Deutschland geboren - 12 000 mehr als im Jahr zuvor (wir berichteten). Das Abendblatt hat sie und ihre Kolleginnen bei einer Nachtschicht im Albertinen-Krankenhaus begleitet.

Schnelsen, Freitagabend, kurz vor 21 Uhr. Die Tagschicht geht, die Nachtschicht kommt auf die Kreißsaal-Station. Die Flure sind lang und weiß, hier im ersten Stock, und einer darf nicht fehlen: Als Holz-Mobile und in Plüsch grüßt der Storch gleich an mehreren Stellen. Bei der Übergabe sitzen die Hebammen und die Ärztinnen beider Schichten vor der großen, beschreibbaren Wandtafel. Welche der Frauen, die heute Nacht hier sind, sind in welcher Woche der Schwangerschaft? Das wievielte Kind erwarten sie? Gibt es zu bedenkende Krankheiten oder Komplikationen? Sandra Fecher nimmt ein gelbes magnetisches Schildchen mit ihrem Vornamen vom Tafelende und heftet es vor den Namen der Frau, die in Kreißsaal 2 wartet: Dijana Jovanovic (21). Es ist ihr erstes Baby, und das erste von Sandra Fecher, in dieser Nacht. Es kann losgehen.

"Kreißsaal kommt von kreißen, einem alten Wort für eine Frau, die Wehen hat", sagt Sandra Fecher auf dem Weg in den orangefarbenen Raum mit dem runden Bett, das auf verschiedene Höhen und in verschiedene Liegepositionen gefahren werden kann. Nichts da mit einem kreisrunden Saal, in dem stöhnend Schwangere an Schwangere liegt. "Und es hat auch nichts mit kreischen zu tun", klärt Sandra Fecher gleich noch eine beliebte Ableitung auf, und lacht. Auch Dijana Jovanovic versucht ein Lächeln, doch die Rückenschmerzen so kurz vor der Geburt lassen es ein wenig schief ausfallen. Dabei ist die 1,51 Meter kleine Frau eine sehr fröhliche Patientin, so haben es schon die Kolleginnen von der Tagesschicht beschrieben. Und das, obwohl ihr Freund Martin Günther erst 19 Jahre alt ist, noch in der Ausbildung steckt, sie noch keine eigene Wohnung haben und Dijana Jovanovic zudem der Kinderarzt bei ihr in Hamburg-Osdorf nicht gefällt: "Da muss man immer so lange warten." Doch die Freude auf das Kind überwiegt alles.

Martin Günther, der bei der Geburt seines Sohnes dabei sein möchte, verlässt den Kreißsaal, als Dijana Jovanovic eine Periduralanästhesie, eine sogenannte PDA gegen die Schmerzen bekommt. "Ich kann meine Frau nicht leiden sehen", sagt der junge Mann, Sohn eines deutschen Vaters und einer serbischen Mutter, und trifft sich kurz mit seinen Kumpels zum Essen. Sandra Fecher notiert seine Handynummer und verspricht, ihn sofort anzurufen, wenn die Geburt ansteht.

Generell findet sie es gut, wenn Partner im Kreißsaal dabei sind: "Das ist ein ganz besonderer Moment, wenn das Kind kommt, für die Eltern, aber auch immer wieder für mich. Wenn Männer dann weinen, bekomme ich auch feuchte Augen." Bei Dijana Jovanovic wird es ernst. "Es drückt so sehr!", sagt sie nach einer starken Wehe zu Sandra Fecher. "Druck finden wir gut", antwortet die Hebamme mit einem leisen Lächeln. Und fordert die junge Frau auf: "Trau dich, schieb ihn raus!" Martin Günther ist auf ihren Anruf zurückgeeilt, hält die Hand seiner Freundin. Es ist sein erlösender Schrei, der um 23.15 Uhr aus Kreißsaal 2 dringt: "Er ist da!" Er, das ist Michelangelo ("Nach den Ninja Turtles!") Jovanovic, in der 35. Woche zu früh geboren und mit 1840 Gramm 800 bis 1000 Gramm zu leicht. Er kommt daher in die Obhut der Kinderärzte auf die Station nebenan, wo er in einem Wärmebett bei 38,5 Grad überwacht werden kann.

Sandra Fecher kümmert sich um die Nachsorge der Patientin. Danach trägt sie die Details der Geburt in ein Geburtenbuch ein: "Das ist auch zu unserem Schutz. Jede Maßnahme, die nicht aufgeführt wird, gilt als nicht geschehen." Vom Flur her hört man aufgeregte Wortfetzen. Es ist Martin Günther, der Anruf nach Anruf entgegennimmt: "Danke, danke, ich hab einen Jungen, echt korrekt!" Sandra Fecher und ihre Kolleginnen schmunzeln.

Gegen 3 Uhr wird es kurz ruhiger, dann steht die nächste Geburt an. Hebamme Lena König (26) kümmert sich um Jessica Brämer (24), die ebenfalls das erste Kind erwartet und Mutter Christina Brämer (48) und Freund Steffen Konrad (28) dabeihat. Wieder eine normale Geburt, dieses Mal ohne PDA: "Bei 2000 Geburten verlangen 800 bis 900 Frauen eine Betäubung", sagt Sandra Fecher. "Das Ungewisse ist für viele Frauen schwer zu ertragen. Sie wollen gerne alles bei uns abgeben. Da wird man auch schon mal angemacht, warum es keinen DVD-Spieler gibt." Das frustriere sie dann schon, genauso wie Anfragen nach einem Wunsch-Kaiserschnitt. Einen Zusammenhang mit steigendem Lebensalter von (Erst-)Gebärenden sieht sie aber nicht: "Viele ältere Frauen wollen auch bewusst eine natürliche Geburt." Nur Wassergeburten ließen zurzeit etwas nach.

Lena König hilft um 5.07 Uhr Diego Maximilian auf die Welt. Für den Namen entscheidet sich Jessica Brämer kurz nach der Geburt. Mit 3470 Gramm und 51 Zentimetern darf er sofort in ihren Arm. Die Schmerzen, sie sind auf einen Schlag vergessen.

"Heute habe ich drei Kinder gekriegt", sagt Sandra Fecher manchmal zu ihrem Mann Andre (26), wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt. Mit blauen Flecken von den Füßen der Schwangeren, die ihr in die Seite getreten haben. 2008 kamen in Hamburger Kliniken 20 205 Babys zur Welt. 119 mehr als im Vorjahr. Für Sandra Fecher war es von Freitag auf Sonnabend nur der kleine Michelangelo: "Für mich ist das wesentlich schöner so. Dann kommt die Betreuung der Mutter nicht zu kurz."

Denn dazu sei eine Hebamme da: Um den Weg an die Schranke zu ebnen, und darüber hinaus. Die Schranke zwischen der Schwangerschaft - und dem Leben als Mutter.

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