Die eine ist für die Schulreform, die andere dagegen. Auf Märkten kämpfen Sava Stomporowski und Nicola Byok für ihre Überzeugung.

Hamburg. Sie ist Wiederholungstäterin aus Überzeugung. Jeden Sonnabend steht Nicola Byok, Juristin aus Klein Flottbek, auf einem Hamburger Wochenmarkt und wirbt für die Initiative "Wir wollen lernen". Die 43-Jährige erklärt ihren Gesprächspartnern den Volksentscheid zur Schulreform und zeigt ihnen, wo sie auf dem Wahlschein ihr Kreuz machen müssen, wenn sie die Einführung der Primarschule verhindern wollen. Gegen das sechsjährige gemeinsame Lernen ist die Mutter zweier Söhne, weil sie befürchtet, dass gute Schüler dann nicht ausreichend gefördert werden. Heute ist Nicola Byok auf dem Langenhorner Markt aktiv. Auf Brust und Rücken trägt sie ein Pappschild mit der Aufschrift "Wir wollen lernen! Und kein Primarschulchaos."

Ortswechsel. An der Sternschanze geht die Arbeit los, wenn oben die S-Bahn hält. Unten vor der Haltestelle steht Sava Stomporowski und drückt jedem, der aus der Station auf die Straße geht, ein Flugblatt in die Hand. Manche nehmen eines an, andere nicht. So ist das eben, Sava Stomporowski kennt das schon. Die 40-Jährige wirbt für die Schulreform, genauer für die Initiative "Die Schulverbesserer", die sich für die Senatspläne engagiert. Drei- bis viermal pro Woche verteilt sie Flyer oder InfoZeitungen und diskutiert mit den Menschen. Dabei steht sie nicht nur vor Haltestellen, sondern auch auf Märkten oder Stadtteilfesten, in allen Bezirken. "Eigentlich überall da, wo Menschen sind." Fast ist diese ehrenamtliche Arbeit für sie zu einem Vollzeitjob geworden - und ihre Argumente für die Primarschule kennt sie aus dem Effeff.

Auf dem Langenhorner Wochenmarkt spricht Nicola Byok freundlich und unauffällig junge Eltern mit Kinderwagen, Senioren-Ehepaare oder Hausfrauen mit Einkaufskörben an. Gezielt sucht sie sich Menschen aus, die sich mit den Inhalten der Schulreform vermutlich noch nicht beschäftigt haben - entweder wegen Kleinkind-Stress mit durchwachten Nächten oder weil die Kinder schon lange erwachsen sind. "Viele Menschen wissen gar nicht, dass jeder Wahlberechtigte abstimmen kann und dass die geplante Schulreform durch den Steuerzahler finanziert wird", sagt Nicola Byok. "Der Kostenpunkt ist immer das Hauptargument der Reformgegner", klagt Sava Stomporowski auf der Schanze. "Ich finde es aber ausgesprochen gut, dass die Stadt nicht an der Bildung spart."

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Um ihre Botschaft an möglichst viele Menschen zu bringen, wirbt sie auch im Internet. Wichtig dabei ist der Kurznachrichtendienst Twitter. "Hier erreicht man noch mal eine ganz andere, jüngere Zielgruppe, mit der man über die Primarschule diskutieren kann", sagt sie.

"Es geht um die Wahl der Primarschule und um ihr Steuergeld. Kann ich Ihnen dazu ein paar Informationen geben?", fragt Nicola Byok auf dem Wochenmarkt jetzt Pajuelo Bernard, 42, und seine Frau Alexandra, 43. Bei ihnen muss sie keine Überzeugungsarbeit leisten. "Wir sind sowieso gegen die Reform", sagen die beiden. "Eine auf zwölf Jahre verkürzte Gymnasialzeit ist mit sechs Jahren Primarschule nicht kompatibel." Die Nächsten, die Byok anspricht, haben kein Interesse - winken ab und gehen weiter. Doch immer wieder entwickeln sich Gespräche, auch mit Reformbefürwortern. All ihre Gesprächspartner versucht Nicola Byok zu überzeugen. Davon, dass eine Primarschule Hamburgs Bildungsproblem nicht löst, davon, dass die für den Umbau von Schulgebäuden benötigten Kosten lieber in die Frühförderung gesteckt werden sollten und dass die Verschuldung sowieso schon zu hoch sei.

Christel Schmidt, 80, aus Stellingen ist dankbar über das Engagement der Klein Flottbeker Juristin. "Ich finde gut, dass mir mal jemand alles genau erklärt hat", sagt sie. Zu Hause will sie sich die Unterlagen durchlesen, die Nicola Byok ihr in die Hand gedrückt hat. Wenn sie dann auf den Wahlunterlagen ihr Kreuz an der richtigen Stelle macht, hat sich für Nicola Byok ihr ehrenamtlicher Einsatz gelohnt.

Genau wie Byok macht auch Stomporowski alles aus Überzeugung. Weil sie die Schulreform für wichtig hält, und aus ihrer eigenen Biografie heraus: "Ich selbst hatte damals nur eine Empfehlung für die Hauptschule. Schließlich kam ich aber auf die Realschule und habe sogar Abitur gemacht." Im Moment schreibt sie an ihrer Doktorarbeit in Erziehungswissenschaften. "Es ist einfach wichtig, dass jedes Kind eine Chance bekommt", findet sie. Stomporowski ist zweifache Mutter, ihre sechsjährige Tochter wird im Herbst eingeschult. Geht es nach der Mutter, soll es eine Primarschule sein.