Walter Scheuerl und Jobst Fiedler. Zwei Männer, zwei Meinungen und zwei Kampagnen - der eine gegen, der andere für die Schulreform.

Hamburg. Die Idee, eine Initiative gegen die geplante Schulreform zu schmieden, kam Walter Scheuerl am 18. April 2008. Morgens beim Rasieren. "Schon seit Wochen hatte ich verfolgt, welchen Unmut der schwarz-grüne Koalitionsvertrag in der ganzen Stadt auslöste", erinnert sich der Vater zweier Kinder. Bei vielen Eltern, zu denen er als Elternratsmitglied am Gymnasium Hochrad Kontakt hatte, und bei vielen Schulleitern renommierter Gymnasien rief die Abschaffung des Elternwahlrechts nach Klasse vier und die Einführung einer sechsjährigen Primarschule Sorge und Empörung hervor. "An diesem Morgen hatte ich den Eindruck, es müsse jemanden geben, der sagt, was man dagegen machen kann", erinnert sich Scheuerl. "Zu Hause sitzen und sich ärgern, das reichte nicht mehr."

Gesagt, getan. Der Jurist mit Schwerpunkt Medienrecht informierte Presse und Elternräte - und erreichte so, dass an der Gründungsversammlung in der Aula des Gymnasiums Hochrad am 7. Mai bereits mehr als 150 Menschen teilnahmen. Die Website "Wir wollen lernen" wurde eingerichtet, der harte Kern der Protestbewegung gebildet: Zum Team um Scheuerl gehörten ab sofort Rechtsanwalt Ulf André Bertheau, Versicherungskaufmann Ralf Sielmann und Rechtsanwalt Carsten Bittner.

Mit Feuereifer machten sich die Reformgegner ans Werk. "Bis zum Spätsommer 2009 war die Situation noch entspannt, da lag der durchschnittliche Zeitaufwand bei etwa einer Stunde am Tag", sagt Scheuerl. Da stand er wie die anderen ehrenamtlichen Mitstreiter auch auf der Straße und sammelte Unterschriften für die Bildung einer Volksinitiative. Binnen kurzer Zeit hatten sie 21 000 Unterschriften zusammen - nur 10 000 wären laut Gesetz nötig gewesen. Die erste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid war geschafft.

+++ Gibt es am 18. Juli Sekt oder Selters? +++

+++ Bildungsysteme in Europa - Das Lernen der anderen +++

+++ Bildungsstudien: Hamburger Schulsystem ganz unten +++

+++ Volksentscheid zur Schulreform: Der Hamburger Klassenkampf +++

Zweiter Schritt war das Volksbegehren, für das eine weitere große Unterschriftenaktion notwendig war. Organisiert wurde sie aus dem eigens gebildeten Kampagnenbüro "Cockpit" in der Altstadt. "Dann wurde es stressig. Wir waren oft den ganzen Tag im Einsatz", sagt Scheuerl. Seine Arbeit als Rechtsanwalt habe darunter aber nie gelitten. Mittlerweile hatten sich der Initiative etwa 1300 Menschen angeschlossen, die Zahl wurde täglich größer. Ihr Einsatz war erfolgreich: Im November sammelten sie in nur drei Wochen 184 500 Unterschriften - dreimal mehr als für den Volksentscheid nötig.

Das war der Zeitpunkt, als Jobst Fiedler den Entschluss fasste, sich für die Schulreform zu engagieren. 6200 Kilometer von Hamburg entfernt war er mit einer Gastprofessur bei der Columbia University in New York betraut - trotzdem verfolgte er das Geschehen rund um Unterschriftenaktion und anstehenden Volksentscheid. In der Hansestadt hatte sich bereits ein kleiner Kreis um den ehemaligen Schulleiter des Gymnasiums Hamm, Wolfgang Dittmer, und die Ärztin Dr. Constanze Petersen gebildet, um als "Die Schulverbesserer" für die Reform zu kämpfen. Fiedler, Vater zweier erwachsener Kinder, bot seine Mitarbeit an und wurde als Sprecher schnell zum Gesicht der Initiative. "Für uns war von Anfang an klar, dass wir parteiübergreifend arbeiten und uns auch an Leute aus dem Unternehmensbereich wenden wollen", sagt der ehemalige Leiter des Bezirksamtes Harburg. "Vor allem sollte es nicht darum gehen, dem Senat einen Gefallen zu tun." Der Initiative gehe es um nichts Geringeres als die Zukunftsfähigkeit Hamburgs, die mit der Qualifizierung junger Menschen erhalten bleiben soll. "Das ist für alle wichtig", sagt Fiedler. "Für die Wirtschaft, die Renten und die Rolle Deutschlands im internationalen Umfeld."

Zwei Männer, zwei Meinungen. Und zwei Kampagnen, mit denen sie die Menschen für ihre Seite gewinnen wollen - mit verschiedenen Mitteln und Unterstützern. "Wir sind eine klassische Elterninitiative", sagt Scheuerl. Außer von Müttern, Vätern und Großeltern werden sie noch von Gymnasiallehrern, konservativen Lehrerverbänden, Prominenten wie Sky Dumont, Joja Wendt und Justus Frantz, der FDP, den "Freien Wählern", Teilen von Junger Union und Schülerunion und mehreren Chefärzten unterstützt.

Viel breiter aufgestellt scheint die Initiative "Die Schulverbesserer" zu sein, unter deren Dach sich Schüler- und Lehrerkammer, der Paritätische Wohlfahrtsverband, der DGB mit Ver.di, GEW und IG Metall oder auch die Türkische Gemeinde angeschlossen haben - insgesamt mehr als 20 Gruppen. Sie unterstützen die Initiative mit Spenden, Infomaterial, ehrenamtlichen Helfern und ihrem Know-how. Die Zentrale, von der die Kampagne der Initiative gesteuert wird, liegt in Hammerbrook. Drei Hauptamtliche arbeiten hier, darunter Ingo Bokermann, Ex-Greenpeace-Meeresexperte und selbstständiger Kampagnen-Berater. Rund 500 Menschen helfen ehrenamtlich. Zu den Unterstützern gehören Prominente wie Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi, Regisseur Fatih Akin und Bestseller-Autor Michael Jürgs.

Jobst Fiedler hat durch seine Professorentätigkeit genug Freiräume, um sich zwei bis drei Tage pro Woche für sein Engagement nehmen zu können. Und gerade jetzt in Wochen vor dem Volksentscheid steigt die Intensität. "Das ist ein schönes Gemeinschaftserlebnis, was wir gerade erleben", sagt er. Der Kern der Initiative: "eine eng verschworene Gruppe von zehn Leuten. Einfach ein gutes Team."

Zusätzlich sind die Parteien mit an Bord. "Wir unterstützen auch die Positionen der Bürgerschaftsfraktionen und umgekehrt haben sich die Bürgerschaftsfraktionen entschieden, unser Plakatmotiv zu übernehmen", sagt Fiedler. CDU, SPD, GAL und Linkspartei haben mehr als 8000 Plakate in der Stadt aufgestellt. Unabhängig von der Initiative, aber gleichsam bedeutend ist die Kampagne des Hamburger Senats. Hierfür wurde eine ganze Reihe an Prominenten rekrutiert. Gezeigt werden sie auf Fotos aus Kindertagen, mit der Schultüte in der Hand, garniert mit einem persönlichen Statement, warum die Reform wichtig ist. "Ich würde niemals mit meinem Einschulungsfoto für unsere Initiative werben", kommentiert Scheuerl. "Im Übrigen war von diesen Menschen keiner auf einer Primarschule."

Während der Senat die Kosten der Kampagne mit etwa 200 000 Euro angibt, können die einzelnen Parteien sie noch nicht beziffern. Auch die "Schulverbesserer" können sich noch nicht festlegen - 190 000 Euro lauteten die Schätzungen vor einigen Wochen. Die Kosten für die "Wir wollen lernen"-Kampagnen lagen bislang bei 160 000 Euro. 3000 Plakate und Tausende Flyer wurden gedruckt. Die Letzten davon werden derzeit von etwa 500 Aktiven verteilt: auf Wochenmärkten, in Einkaufszentren und bei Veranstaltungen.