Viele Einrichtungen sind auf sie angewiesen. Die jungen Helfer kümmern sich um ältere Menschen, Behinderte oder um Kita-Kinder.

Hamburg. Der Ball ist weg. Endlich wieder schönes Wetter, endlich wieder draußen spielen. Gerade kommen alle Kinder fröhlich quakend vom Spielplatz in die Kita zurück und dann das: Jemand hat den Ball vergessen.

Ein Fall für Paul. Der 21-Jährige sprintet los und macht sich auf die Suche. Nach ein paar Minuten: aufatmen. Paul hat den Ball gefunden. Alles ist wieder in Ordnung, kein Grund für Tränen. Der Tag ist gerettet.

Die Kita Bluma Mekler in Schnelsen. Osterhasen aus Pappe kleben an den Fensterscheiben, die Wände sind hellgelb gestrichen, etwa 150 Kinder zwischen zwei und fünf Jahren wuseln durch die Gänge und den Garten. Paul, das kann man sagen, ist hier so etwas wie ein kleiner Star. Alle Kinder mögen Paul. Und Paul mag die Kinder. Zwar kennt er noch nicht alle Namen auswendig, "aber schon ziemlich viele", sagt er.

Paul Millahn ist hier der Zivi. Seit September ist er dabei, im Mai dieses Jahres wird er seinen Dienst beenden. Neun Monate hat er dann in der Kita verbracht - als einer der Letzten mit dieser Dienstdauer. Schon ab Oktober, so die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung in Berlin, sollen der Grundwehrdienst und damit auch der Zivildienst auf sechs Monate verkürzt werden. Nicht mehr wie bislang geplant erst ab Januar 2011.

Für viele Wohlfahrtsverbände und Dienststellen ist das ein Problem: Oft sind sie auf ihre Zivis angewiesen - die neuen Laufzeiten würden sie massiv in die Bredouille bringen. Die Reaktionen in Hamburg wie im Rest der Bundesrepublik sind deshalb vor allem von Bedenken geprägt - und klingen unisono verzweifelt. "Die Betreuung von Alten, Kranken und Behinderten wird unter diesen Umständen fast unmöglich", sagt Jürgen Kaczmarek. Er ist beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Hamburg für die Zivildienstleistenden zuständig. "Unsere Patienten müssen sich an ihre Betreuer gewöhnen - und wenn die jetzt immer häufiger wechseln, ist das eine große Belastung." Dazu kommt die Einarbeitung. Erstens dauert sie eine gewisse Zeit, zweitens bedeutet sie für die Dienststellen einen gewissen Aufwand - verwaltungstechnisch, aber auch personell. "Unsere Zivis bekommen erst einen zweiwöchigen Lehrgang. Dann haben sie insgesamt vier Wochen Urlaub und sind vielleicht auch noch mal krank", schildert Michael Hansen von der Hamburger Caritas die Situation. "Dann bleiben im Endeffekt nur noch viereinhalb Monate oder sogar noch weniger übrig."

Die Caritas kümmert sich auch um die Betreuung von Obdachlosen. Diese müssten ihre Zivis kennenlernen, Vertrauen zu ihnen fassen, so Hansen. "Aber auch die Zivis selbst müssen erst den Umgang mit den Menschen lernen." Das sei in kurzer Zeit kaum möglich. "Da kann ich mir auch gleich einen Praktikanten nehmen", sagt Hansen.

Beim Deutschen Roten Kreuz ärgert man sich zudem darüber, von der nun schon im Oktober anstehenden Reform erst aus der Presse erfahren zu haben. "Das wurde entschieden, ohne uns oder andere Wohlfahrtsverbände mit einzubeziehen", sagt Michael Schröder, Vorstand des Deutschen Roten Kreuzes in Hamburg. "Jetzt müssen wir kurzfristig Ersatz schaffen. Das wird in der kurzen Zeit schwer werden."

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund denkt jetzt sogar laut darüber nach, künftig gar keine Zivildienstleistende mehr einzusetzen. Die jungen Männer in so kurzer Zeit ausreichend für ihre Arbeit zu qualifizieren sei so kaum noch möglich.

Auch in der Kita Bluma Mekler in Schnelsen überlegt Inhaberin Brigitte Klesse (58), auf Zivis zu verzichten. "Pauls Nachfolger ist zwar schon eingestellt", sagt sie, "es könnte aber sein, dass er dann mein letzter Zivi ist." Das Einarbeiten und der Verwaltungsaufwand seien ihr in einem Halbjahresturnus einfach zu groß. Dabei ist sie eigentlich auf helfende Hände angewiesen - in ihre Kita gehen auch Kinder mit Behinderungen, die besonders viel Aufmerksamkeit brauchen. Und auch für alle anderen sei es schön, wenn sie noch eine männliche Bezugsperson um sich herum hätten. "Sonst arbeiten hier ja vor allem Frauen", sagt Klesse. Die Kinder brauchen ihren Paul.

Derzeit gibt es 1873 Zivildienstleistende in Hamburg - sie helfen alten Menschen beim Einkaufen, pflegen Kranke, arbeiten mit Behinderten und bringen Obdachlosen Essen. Viele tun dies aus Überzeugung, andere, weil sie den Dienst an der Waffe verweigert haben und es deshalb tun müssen.

Paul Millahn zählt zur ersten Gruppe. "Anfangs dachte ich, das ist verschwendete Zeit. Aber heute muss ich sagen, dass der Zivildienst doch eine ganz wichtige Erfahrung ist. Ich habe viel gelernt."

Menschen wie Paul sind der Grund, weshalb viele Wohlfahrtsverbände auf die Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes hoffen. Remer Koch vom Arbeiter-Samariter- Bund in der Hansestadt ist sich sicher: "Es gibt viele junge Menschen, die nicht nur den Zivildienst leisten, weil sie es müssen, sondern auch, weil sie helfen wollen."

Michael Hansen von der Caritas ist da skeptischer: "Die meisten unserer Zivis sind Abiturienten. Und die wollen dann so schnell wie möglich an die Uni." Auf die freiwillige Verlängerung will er sich nicht verlassen. Für sinnvoller hält er da, mehr junge Leute zu beschäftigen, die ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvieren. "Aber das muss erst gesetzlich geregelt werden. Im Moment hängen wir in der Luft", beklagt Hansen die Situation: "Das ist eine Zumutung."