Soziale Einrichtungen kritisieren die Pläne der schwarz-gelben Koalition und befürchten negative Auswirkungen.

Morgens um Viertel nach sieben kommt Martin Klemenz zur Arbeit. Meistens hat er dann noch den Schlaf in den Augen, das gilt auch für seine Kollegen. Es sind besondere Kollegen, sie sind geistig oder körperlich behindert, und sie schmieren Brötchen, sie backen Kuchen und sie kochen. Klemenz, 19 Jahre alt, betreut sie seit drei Monaten im Hauswirtschaftsbereich der Elbe-Werkstätten. Er ist Zivildienstleistender, sein "Einsatz" fürs Vaterland dauert neun Monate. Noch.

Denn die Pläne der neuen Bundesregierung gehen in Richtung einer Verkürzung des Wehr- und Ersatzdienstes auf sechs Monate (das Abendblatt berichtete). Das Vorhaben hätte also nicht nur Folgen für die Bundeswehr, sondern besonders für die vielen sozialen Einrichtungen, die ihren Alltag auch mit dem Einsatz der "Zivis" bewältigen. Wie zum Beispiel die Elbe-Werkstätten, die an sechs Standorten 1400 Mitarbeiter mit Behinderungen beschäftigen. "Für uns hätte eine Reduzierung der Dauer des Zivildienstes negative Folgen", sagt Karen Schierhorn, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei den Elbe-Werkstätten. Weil die Behinderten auf ein Vertrauensverhältnis zu den Betreuern angewiesen wären, sei ein halbes Jahr schlichtweg zu kurz, erklärt Schierhorn.

Klemenz, der Zivildienstleistende im "Betrieb Elbe 1" der Elbe-Werkstätten in Harburg, sagt dasselbe. Er hat bei seiner Arbeit auch mit Autisten zu tun, "das dauert seine Zeit, bis die Vertrauen zu mir fassen". Klemenz hat erstmals vor einem Jahr in die Werkstätten reingeschnuppert. Damals machte er ein Schulpraktikum und fand Gefallen am sozialen Gedanken. Man fühlt sich gut, wenn man hilft, sagt Klemenz, ein junger Mann, der bedächtig formuliert und aus offenen Augen blickt. Er sei zugänglicher, flexibler und irgendwie noch vernünftiger geworden durch die Arbeit mit den Behinderten.

Klar, er könnte jetzt auch sagen: lieber sechs Monate als neun. Dann könnte er früher an die Uni, er will Mediengestaltung studieren. Viele seiner Bekannten haben sich ausmustern lassen, irgendwie ist das auch ein bisschen unfair, findet er. Und trotzdem bricht er eine Lanze für den Zivildienst grundsätzlich und auch in seiner bisherigen Länge. "Die Arbeit bringt einen weiter im Leben", sagt er, "aber wenn man nur noch ein halbes Jahr in einer Einrichtung ist, bringt das nicht so viel."

Kaum da und schon wieder weg, das wäre ein Alptraum für Karen Schierhorn. 60 Zivildienstleistende arbeiten insgesamt für die Elbe-Werkstätten, "die brauchen wir langfristig". Wenn der Gesetzgeber die Neuerung in die Tat umsetzt, muss die Einrichtung, deren Standorte über die ganze Stadt verteilt sind und dort unter anderem Verpackungsaufträge von Kaffeeröstern und Cremeherstellern ausführt, vielleicht sein Geschäftsmodell umstellen. "Zivildienstleistende sind gute und preiswerte Arbeitskräfte, sie sind eigentlich alternativlos", sagt Schierhorn und seufzt.

Auf Ablehnung stoßen die Pläne auch bei anderen sozialen Einrichtungen. "Wir hoffen nicht, dass das so kommt", sagt Michael Hansen von der Hamburger Caritas. Hier arbeiten die Zivildienstleistenden mit Obdachlosen, im Krankenmobil oder in der Kleiderkammer. Die neun Monate Zivildienstzeit seien schon eng gewesen, nun wisse man nicht mehr, wie man die Stellen besetzen soll. "Die Zivildienstleistenden müssen teilweise bestimmte Sicherheits-Fortbildungen und mehrwöchige Lehrgänge besuchen. Zusammen mit den Urlaubstagen bleibt dann von den sechs Monaten nicht mehr viel übrig", rechnet er vor. Anders als in anderen Einsatzbereichen seien die Arbeitsbereiche hier sehr "sensibel", die Aufgaben würden sich nicht innerhalb weniger Tage erlernen lassen. In den sechs Monaten seien die Zivis gerade einmal eingearbeitet, eher wie in einem Praktikum. Beim Deutschen Roten Kreuz hat man wegen der vergangenen Einkürzungen bei Wehrpflicht und Zivildienst bereits die Stellen für Zivis abgebaut.

Ähnlich sieht man die Dinge auch bei der Diakonie. "Der sinnvolle Einsatz der Zivildienstleistenden würde so noch schwieriger als ohnehin schon werden", sagt Sprecher Steffen Becker. Um diesen Ausfall auszugleichen überlege man, die Stellen zunehmend für Freiwillige Soziale Jahre (FSJ) auszuschreiben.

Dieses Modell könnte Zukunft haben. Denn Teilnehmer des Freiwilligen Sozialen Jahres arbeiten ein Jahr in ihrer Einrichtung und sind daher für ihren Arbeitgeber verlässlicher, wertvoller und kämen auf diese Weise auch gleich als neue feste Mitarbeiter infrage. Gleichzeitig ist das FSJ als Ersatz für den Zivildienst anrechenbar. Alexander Becker, Geschäftsführer des Malteser Hilfsdienstes in Hamburg, beschwört den Gesetzgeber geradezu: "Angebote dürfen nicht zusammengestrichen werden, das wäre katastrophal für die zu betreuenden Menschen. Die Personalpläne müssten geändert werden, die Zivildienstleistenden wären nicht leicht zu ersetzen."

In Hamburg gibt es aktuell 832 Einrichtungen mit 2447 Stellen für Zivildienstleistende. Besetzt sind davon 1704. Seit 2001 hat sich allerdings die durchschnittliche Zahl der Zivildienstleistenden pro Jahr von knapp 2500 auf nur noch rund 1300 fast halbiert.

Zahlen, die den Bediensteten, den Patienten, Klienten und Mitarbeitern nicht egal sein dürften, weil ihr Alltag von ihnen abhängt.

Und manchmal hängen die betreuten Menschen auch an "ihren" Zivis. Es entsteht ein herzliches Verhältnis, berichtet Martin Klemenz, der Zivildienstleistende in Harburg. "Aber wenn der Zivi alle paar Monate wechselt, ist das einfach ein großer Stressfaktor für alle Beteiligten."