Nach dem Abendblatt-Interview muss Sozialsenator Dietrich Wersich viel Kritik von Gesundheitsexperten und Opposition einstecken.

Hamburg. Die Kritik war erwartbar und kam prompt: Sozialsenator Dietrich Wersich (CDU) weht der Wind ins Gesicht, nachdem er im Abendblatt gefordert hatte, künftig sollten Verwandte, Freunde und Nachbarn bei der Pflege alter Menschen einspringen. Seine Thesen: Die "Verstaatlichung des Zwischenmenschlichen" und die "Überprofessionalisierung des Sozialen" müssten eingeschränkt werden. Politik und Pflegebranche reagierten ablehnend.

"Nachbarn können helfen, aber sie sind keine Altenpfleger", sagt Dirk Kienscherf, sozialpolitischer Sprecher der SPD. "Jahrelang hat es der Sozialsenator wie seine Vorgängerin Birgit Schnieber-Jastram gehalten: Er hat die Fachkräfteproblematik geleugnet und es als Panikmache der Opposition abgetan. Jetzt holt ihn die Realität ein." Die Diskussion sei ein weiterer Versuch, die Öffentlichkeit auf soziale Einschnitte und Standardabsenkungen vorzubereiten.

Nach offiziellen Zahlen gibt es in Hamburg mehr als 30.000 Pflegebedürftige in privaten Haushalten. "Der Löwenanteil in der Pflege wird bereits von den Angehörigen geleistet", sagt Jens Stappenbeck von der Hamburgischen Pflegegesellschaft (HPG). Mehr als die Hälfte der Pflegebedürftigen werden ausschließlich von Angehörigen versorgt. Ein weiterer Teil werde von Angehörigen und ambulanten Pflegediensten unterstützt, ein kleiner Teil lediglich von professionellen Diensten betreut. "Wer die Pflege der ambulanten Dienste entprofessionalisiert, handelt grob fahrlässig", sagt Stappenbeck. Man müsse mehr Professionalität in die Pflege bringen, damit die Qualität verbessert werde.

"Die notwendige - und gesetzliche auch geforderte - hohe Qualität ist nur mit gut ausgebildeten Fachkräften zu erfüllen", sagt auch Diakonie-Vorstandsmitglied Stefan Rehm. Allerdings dürften sich Menschen nicht scheuen, einen Teil an der Verantwortung für ältere Nachbarn zu übernehmen. In entsprechenden Hilfsangeboten der Diakonie unterstützten etwa qualifizierte Freiwillige von Senior-Partner Diakonie pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen. Mit der AOK zusammen würden Kurse für pflegende Angehörige und Ehrenamtliche angeboten.

Für viele Pflegebedürftige sei jedoch oft eine anspruchsvolle medizinische Versorgung erforderlich, gibt Marion Goldschmidt, Geschäftsführerin von Pflegen & Wohnen, zu bedenken: "Schwere Erkrankungen müssen kompetent versorgt werden." Doch die gesetzlich vorgegebene Fachkraftquote von 50 Prozent sei nicht haltbar. "Hier müssen auch andere Qualifikationen zugelassen werden", sagt sie. "Wer von Entprofessionalisierung spricht, muss das auch in der Gesetzgebung ermöglichen."

Altenpflege sei ein "dankbares Feld" für Sparmaßnahmen, sagt Petra Büse aus dem Caritas-Pflegemanagement. "Es ist ärgerlich, dass wieder einmal der Rotstift bei einer Bevölkerungsgruppe angesetzt wird, die keine Lobby hat." Eine "Entprofessionalisierung" zu fordern sei unrealistisch: "Kein ambulanter Pflegedienst würde für hauswirtschaftliche Dienste jemanden mit Studium beschäftigen und entsprechend entlohnen."