Minister Rösler will aber unbürokratischeres Verfahren. Krankenstand in Deutschland steigt wieder leicht an.

Hamburg/Berlin. Zehn Euro Praxisgebühr pro Quartal werden die gesetzlich Versicherten auch in dieser Legislaturperiode zahlen müssen. Die seit 2004 bestehende Regelung will der neue Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) keineswegs ersatzlos abschaffen. "Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass die Lenkungswirkung der Praxisgebühr überprüft wird", sagte Rösler der "Saarbrücker Zeitung".

Für die Praxisgebühr, die den Krankenkassen zugute kommt, wolle man aber "ein unbürokratisches Erhebungsverfahren erarbeiten". Zu seinen weitreichenden Plänen für den Umbau des gesamten Gesundheitswesens sagte Rösler: "Da gibt es für keinen der Beteiligten einen Freibrief." Das ist an Kassen, Ärzte und Pharmafirmen gerichtet. Beim Sparen, so Rösler, dürften die Versicherten nicht allein belastet werden.

Viele der knapp 170 Krankenkassen werden 2010 Zusatzbeiträge von vermutlich acht Euro pro Monat erheben müssen. Der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske glaubt, dass die Extraprämie flächendeckend erhoben wird. Der CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn sagte der "Berliner Zeitung", das System der Zusatzbeiträge solle Gegenstand der geplanten Regierungskommission für die Gesundheitsreform werden. "So, wie die Zusatzbeiträge derzeit angelegt sind, sind sie auf Dauer leider nicht praktikabel", sagte Spahn.

Für die Zusatzbeiträge müssen die Kassen einen hohen bürokratischen und Kostenaufwand betreiben. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach nannte die Zusatzbeiträge in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" "eine oft nicht mehr verkraftbare Lohnkürzung". Rösler will die Kassenbeiträge von den Lohnkosten lösen und eine Kopfpauschale einführen. Ehegatten und Kinder sowie ein möglicher Sozialausgleich sollten über Steuern finanziert werden.

Derweil zeichnet sich ab, dass die Zahl der Krankschreibungen 2009 vermutlich wieder den Tiefstand der vergangenen Jahre erreichen wird. Doch die alte Gleichung "Wirtschaftskrise = weniger kranke Arbeitnehmer" geht nicht mehr auf. Die angespannte Situation in vielen Unternehmen mag dazu führen, dass viele Angestellte aus Angst um ihren Job auch gesundheitlich angeschlagen arbeiten. Die steigende Zahl der psychischen Erkrankungen und andere Faktoren werden aber den Krankenstand insgesamt leicht ansteigen lassen.

Eine erste Statistik des Bundesgesundheitsministeriums zeigte: Der Krankenstand 2009 wird gegenüber 2008 noch einmal sinken. Doch das Ministerium relativierte: Die Schweinegrippe sei darin noch nicht berücksichtigt.

Bei den einzelnen Kassen sieht es nach einer Abendblatt-Umfrage nach leicht steigenden Fehlzeiten für 2009 aus. Die Techniker Krankenkasse verzeichnete nach dem Tiefststand 2006 im Jahr 2007 pro Erwerbsperson 10,98 Fehltage, 2008 bereits 11,25 Fehltage. Die TK-Daten belegen einen wachsenden Krankenstand von Zeitarbeitern - vor allem bei den psychischen Malaisen.

Bei der KKH-Allianz weist der Krankenstand klar nach oben: Im Durchschnitt fehlte 2009 jeder dort versicherte Arbeitnehmer an 15,9 Tagen im Job. 2007 waren es noch 14,4 Fehltage gewesen, 2008 bereits 15,4 Tage.

Das Wissenschaftliche Institut der AOK (Wido) erkennt seit zwei Jahren ebenfalls wieder einen Trend zum höheren Krankenstand. Den Tiefstand 2006 erklärt die AOK so: Die Zahl der älteren Arbeitnehmer habe abgenommen, die Unternehmen hätten mehr für die Gesundheit am Arbeitsplatz getan, und die Zahl körperlich belastender Tätigkeiten sei zurückgegangen. Der erneute Anstieg der Fehltage resultiere vermutlich aus der höheren Beschäftigungsquote Älterer. Denn Ältere sind meist länger krank als Jüngere.

Der Bundesverband der Betriebskrankenkassen sieht ebenfalls einen kontinuierlichen Anstieg von 12,4 (2006) auf zuletzt fast 14 Fehltage (erste Zahlen für 2009). Bemerkenswert in dieser Statistik: Es gibt keine Hinweise für den "blauen Montag". Nichts deutet darauf hin, dass sich Arbeitnehmer häufiger nach dem Wochenende krankschreiben lassen als an anderen Tagen. Und: Auch Beschäftigte mit hohen Einkommen und guten Qualifikationen sind deutlich länger krank als zuvor.